Impfen gegen Corona: Anfang vom Ende
Friedhelm Cario kümmert sich in Stendal um den Katastrophenschutz. Bisher hat er Hochwasser bekämpft, nun baut er das Corona-Impfzentrum auf.
Das Ende der Pandemie beginnt unter anderem hier: in einem ehemaligen Kindergarten, etwas versteckt hinter einer Wohnhausreihe am Rand von Stendal, Sachsen-Anhalt. Der weiße Flachbau liegt noch im Dunkeln, als sich am Dienstag nach Weihnachten Friedhelm Cario und sein Impfteam versammeln, um den bevorstehenden Einsatz in einem Seniorenheim zu besprechen.
Anwesend sind vier Sanitäter*innen der Johanniter, ein Sanitäter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), ein Apotheker, zwei EDV-Mitarbeiter des Landrats und Cario. Der 59-Jährige ist eigentlich Leiter der Kreissanitätsbereitschaft beim DRK und in dieser Funktion auch Katastrophenschutzbeauftragter. Doch für die kommenden Monate übernimmt er einen Job, den es vor ein paar Tagen noch gar nicht gab. Cario ist Leiter des Impfzentrums Stendal.
In Deutschland wurden in den vergangenen Wochen rund 440 solcher Impfzentren aufgebaut. In der ersten Phase der Impfkampagne sollen hier jene Menschen geimpft werden, die am dringendsten Schutz benötigen oder einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind.
Weil das vor allem alte Menschen und Pflegekräfte betrifft und weil die Terminvergabe für die Impfzentren in den meisten Bundesländern noch im Aufbau ist, beginnen die Impfungen aber zunächst nicht hier, sondern vor Ort in den Pflege- und Senioreneinrichtungen, durchgeführt von mobilen Impfteams.
Viele Landkreise und Städte lassen noch keine Medienbesuche in den Impfzentren zu – ganz zu schweigen von einer Begleitung der Impfteams in die Seniorenheime. In Stendal kann man immerhin – unter Einhaltung der Hygienebestimmungen – bei den Vorbereitungen der Impfteams dabei sein und sich ein Bild vom Aufbau des Zentrums machen.
Denn genug zu tun haben Cario und sein Team auch jetzt schon: 26 Alten- und Pflegeheime gibt es im Landkreis Stendal. Jedes muss in den kommenden Wochen zweimal angefahren werden, da die Impfung nach etwa drei Wochen wiederholt werden muss.
Angespannt, aber nicht hektisch geht es zu an diesem Dienstagmorgen. In einem der Räume des ehemaligen Kindergartens wurde eine Art Pop-up-Büro errichtet. Ein paar Schränke, zwei Tische, zwei Rechner, in der Mitte ein Drucker auf einem Metallwägelchen. Listen werden herumgereicht, die anzufahrenden Senioreneinrichtungen noch einmal abtelefoniert. Erste Erkenntnis des Tages: Das Impfteam kann heute nur zu einer der geplanten zwei Einrichtungen fahren. Im zweiten Seniorenheim konnten bisher nur drei Einwilligungen der Bewohner*innen eingeholt werden.
„Das spricht nicht zwangsläufig für eine geringe Impfbereitschaft“, erklärt Cario mit ruhiger Stimme. Viele Bewohner*innen hätten die Einwilligung nicht mehr selbst unterschreiben können, das Pflegeheim müsse erst den gesetzlichen Vormund kontaktieren, was einige Zeit dauern könne.
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Das, worum es hier eigentlich geht, liegt in einem abgeschlossenen Raum in einem Spezialkühlschrank. Der Biontech/Pfizer-Impfstoff kommt, in Pulverform abgefüllt, in kleinen Fläschchen in den Impfzentren an und muss bei mindestens minus 70 Grad Celsius gelagert werden. Ein Wachdienst sichert das Gebäude Tag und Nacht. Am Einsatzort muss das Pulver mit Natriumchlorid versetzt werden. Jedem Fläschchen kann man sechs Impfdosen entnehmen.
In Sanitätsuniform und mit Handschuhen zählt Cario die benötigte Menge für den heutigen Einsatz ab. 116 Einwilligungen liegen ihm für das Seniorenheim im nördlich von Stendal gelegenen Seehausen vor. Das macht 20 Fläschchen für den heutigen Einsatz, die der Apotheker zusammen mit Kühlakkus in einer Umhängetasche für den Transport verstaut.
Währenddessen lassen sich die vier Johanniter-Sanitäter*innen mit einem Schnelltest auf Covid-19 testen. Sollte eine*r positiv sein, müssen sie den Einsatz absagen. Als auch der Test des Apothekers negativ ist, machen sich die fünf auf nach Seehausen. Vor Ort werden sie von einer Ärztin unterstützt, die die Spritze verabreicht.
Cario nutzt die kurze Zeit der Ruhe, um draußen ein paarmal an der E-Zigarette zu ziehen. Man sieht die Abdrücke, die sein Mund-Nasen-Schutz hinterlassen hat, und auch die Müdigkeit. Erst Mitte Dezember hat er erfahren, dass er für den Aufbau des Impfzentrums zuständig sein soll. Das sei okay, dafür sei das Rote Kreuz schließlich da, sagt Cario. Er sagt aber auch: „Das ist ein bürokratischer Albtraum.“
Ständig ändern sich Abläufe
Neben Zeit- und Impfstoffknappheit bereitet die Dokumentation der Impfung Cario und seinen Kolleg*innen Kopfzerbrechen. Von jedem, der sich impfen lässt, muss das Impfzentrum den Einwilligungsbogen und das Aufklärungsmerkblatt archivieren. Außerdem müssen Details der Impfung dokumentiert werden.
Welche Vorerkrankungen gibt es, in welches Körperteil wurde injiziert, traten Beschwerden nach der Impfung auf? Cario zeigt einen gut gefüllten Leitz-Ordner. „Das ist allein von den 159 Impfungen gestern.“ Zwar tragen seine Mitarbeiter*innen einige Daten auch digital ein. Da die Technik aber noch nicht vollständig läuft, wird derzeit sowohl analog als auch digital gearbeitet.
Friedhelm Cario ist Krisen gewohnt. Durch den Landkreis Stendal fließen Elbe und Havel, er hat schon viele Hochwasserkatastrophen gemanagt. Da sei man auch oft an seine Grenzen geraten, die Situationen hätten sich ständig geändert. „Aber man wusste immer, was zu tun war.“ Bei dieser Krisenbekämpfung sei es andersherum. Die Aufgabe – so viele Menschen wie möglich impfen – bleibe immer gleich. Aber das Vorgehen und die Abläufe änderten sich fast im Minutentakt, sagt Cario.
Erst an diesem Morgen habe das Robert-Koch-Institut etwa entschieden, dass aus einem Fläschchen mit dem Wirkstoff statt wie bisher fünf jetzt sechs Impfdosen gezogen werden können. Das ist auf der einen Seite gut, weil sich so die Anzahl der knappen Impfdosen schlagartig um ein Fünftel erhöht. Auf der anderen Seite braucht Cario nun dringend mehr Impfzubehör – Kanüle, Tupfer, Pflaster. Fragt man ihn, ob er die Kritik teile, dass Deutschland bisher zu wenig Impfstoff besorgt hätte, zuckt er nur mit den Schultern. „Viel mehr hätten wir mit den Ressourcen derzeit eh nicht verimpfen können.“
Immerhin, die Impfstraße in seinem Zentrum ist so gut wie fertig. Anmeldung, zwei Wartezimmer, zwei Ärzt*innenzimmer, ein Ruheraum zur Beobachtung nach der Impfung und der Check-out. Alles recht karg – sieht man von den Papierblumen und Wandbildern der Kinder ab, die hier einst betreut wurden –, aber doch so gut wie einsatzbereit. Die Polsterstühle müssten noch ausgetauscht werden, da man sie nicht desinfizieren könne, sagt Cario. Dann kann es losgehen.
Wann es tatsächlich so weit sein wird, kann im Moment noch niemand sagen. Auf einer Pressekonferenz im Landratsamt, die am gleichen Tag stattfindet, bekräftigt Sebastian Stoll, Stellvertreter des Landrats, dass die Terminvergabe über die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigungen organisiert werden soll. Eine entsprechende Auswahloption gibt es unter 116 117 bereits. Noch sei jedoch unklar, wer die Vielzahl der Anrufe bearbeiten soll.
Die Organisation der Impfzentren und die Terminvergabe ist Ländersache. Anders als die Verteilung des Impfstoffes. Nachdem der Landkreis Stendal am 26. Dezember 490 Impfdosen zugewiesen bekam, erwartet Stoll nun für die kommenden Tage eine Lieferung im vierstelligen Bereich. Das könnte durchaus für die Erstimpfung der restlichen Senioren- und Pflegeeinrichtungen reichen – sofern sie dort überhaupt impfen können.
Laut bisherigen Vorgaben darf nur in Einrichtungen geimpft werden, die keine Infektionsfälle aufweisen. Das sind in Stendal mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 250 gerade mal sieben von 26. Man sei dabei zu prüfen, ob man auch häuser- oder stationsweise vorgehen könne, sagt Stoll.
Geklärt werden muss auch, wie Menschen, die das Impfzentrum nicht selbst erreichen können und nicht in Pflegeeinrichtungen wohnen, geimpft werden sollen.
Um kurz nach 16 Uhr kehrt das mobile Impfteam von seinem Einsatz in Seehausen zurück. Cario ruft alle zu einem kurzen Feedbackgespräch zusammen. Das Team ist unzufriedener als am Vortag – was vor allem daran liegt, dass viele Bewohner*innen den Impfausweis nicht bei sich hatten. Carios Mitarbeiter*innen mussten reihenweise Ersatzbestätigungen ausstellen. Dennoch konnten sie in knapp sieben Stunden alle 120 Impfdosen verabreichen. Die Impfbereitschaft sowohl unter Bewohner*innen als auch unter Pflegekräften sei sehr hoch gewesen.
Ein Eindruck, den Regine Roger-Knade, Leiterin des Seniorenwohnheims in Seehausen, einen Tag später am Telefon bestätigt. „Wir sind froh, dass wir geimpft wurden“, sagt sie. „Das gibt uns ein Stück Sicherheit.“ Die hohe Impfbereitschaft von etwa 80 Prozent führt sie auf eine gute Aufklärungsarbeit in ihrem Haus zurück. Und auch auf eine Vorbildwirkung. Sie selbst habe sich natürlich auch impfen lassen.
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