Impfen gegen Corona: Hoffen auf guten Stoff
Drei Impfstoffe stehen kurz vor der Zulassung. Wie sie wirken, was sie kosten, wer sie kriegt.
So sehr der Corona-November aufs Gemüt schlägt – bei der Impfstoffentwicklung gibt es gute Nachrichten. Nachdem das Mainzer Unternehmen Biontech und das US-Unternehmen Moderna bereits in den letzten zwei Wochen vielversprechende Ergebnisse präsentiert haben, legte am Montag auch der britisch-schwedisch Pharmakonzern AstraZeneca positive Daten zu einem Corona-Impfstoff vor.
Experten rechnen, dass in einigen reichen Ländern Impfungen noch in diesem Jahr beginnen können. In den USA will die Arzneimittelbehörde FDA am 10. Dezember über einen Eilantrag auf Zulassung der Mittel von Biontech und Moderna entscheiden. Binnen 24 Stunden nach der Zulassung könnten die Impfzentren beginnen, sagte der Leiter der Impfstoff-Arbeitsgruppe der US-Regierung, Moncef Slaoui, dem Sender CNN.
In Europa haben die drei Konzerne bei der Europäischen Arzneimittelagentur Daten eingereicht. Sollte sie grünes Licht geben, könnte das Impfen auch in Europa bereits im Dezember starten.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte an, bundesweit würden die Impfzentren bereitstehen. Das heiße nicht, dass die Vergabe sofort starte, betonte er. „Wir wollen aber auf alle Fälle vorbereitet sein.“ Bis dann in Deutschland die für einen Sieg über das Virus nötigen 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, wird es jedoch sechs bis acht Monate dauern. Für Weihnachten 2021 wird es also reichen.
Der Günstige: AstraZeneca
Wirkung: Beim Vakzin des schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca und der Oxford University handelt es sich um einen Vektorimpfstoff. Das heißt, dass ein anderes Virus die Erbinformation von Stücken des Coronavirus in menschliche Zellen hineinträgt.
Jens Spahn (CDU)
Diese Viren selbst lösen keine Krankheit aus, alarmieren aber das Immunsystem. AstraZeneca vermeldete aus laufenden Studien eine Effektivität von 70,4 Prozent. Nach einer halben und einer ganzen Dosis im Abstand von einem Monat erreiche der Wert sogar 90 Prozent.
Vorteile: Dieser Impfstoff lässt sich schnell herstellen. Die Anwendung von Vektorimpfstoffen ist zudem bereits seit Jahrzehnten erprobt. Die Viren lassen sich in Bioreaktoren kostengünstig vermehren. Sie müssen außerdem nicht so gründlich tiefgekühlt werden. Die Impfung könnte also in jeder Arztpraxis stattfinden. Zudem kostet eine Impfdosis etwa 2,50 Dollar und ist somit wesentlich günstiger als die anderen beiden.
Nachteile: Weil nach der Impfung eben doch ein Virus im Körper herumschwirrt, reagiert das Immunsystem des Impflings in einigen Fällen mit Entzündungen und anderen deutlichen Reaktionen. Die Zahl der Nebenwirkungen wird also vermutlich höher sein als beim mRNA-Verfahren.
Verfügbarkeit: Im kommenden Jahr sollen 3 Milliarden Impfdosen ausgeliefert werden. Rund 700 Millionen davon haben sich die EU und die USA bereits gesichert.
Der Neuartige: Biontech
Wirkung: Das Verfahren des Mainzer Start-ups Biontech ist neu. Anders als bei klassischen Impfstoffprojekten sind hier keine Viren im Spiel, sondern die Wissenschaftler*innen lassen den eigentlichen Impfstoff in den Körperzellen des Impflings herstellen.
Dazu nutzen sie die biochemische Maschinerie der Zellen. Diese wird von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) programmiert. Im Kern der Impfung liegt ein Strang mRNA, der die Stachel auf der Oberfläche des Coronavirus beschreibt. Darauf reagiert das Immunsystem, der Impfling entwickelt Abwehrkräfte. Die Wirksamkeitsrate liegt bei rund 95 Prozent.
Vorteile: Es lassen sich große Mengen in kurzer Zeit produzieren. Weil keine echten Viren in den Körper gelangen, gibt es auch kaum Nebenwirkungen.
Nachteile: Die Substanz von Biontech ist nur bei minus 70 Grad stabil, kann also nur bei tiefen Minustemperaturen aufbewahrt und transportiert werden. Nebenbei ist der Impfstoff mit etwa 20 Dollar relativ teuer. Außerdem sind die praktischen Auswirkungen der Anwendung auf große Gruppen von Menschen bislang nicht erprobt.
Verfügbarkeit: Zusammen mit seinem US-Partner Pfizer verspricht Biontech im kommenden Jahr eine Produktionskapazität von 1,3 Milliarden Dosen. Die EU und etwa ein Dutzend der reichsten Länder haben jedoch bereits Lieferungen von etwa 1,2 Milliarden Dosen mit Biontech/Pfizer vereinbart. Der größte Teil ist also verplant.
Der Reisefreundliche: Moderna
Wirkung: Nur eine Woche nach Biontech hat vergangene Woche auch US-Konkurrent Moderna einen Erfolg mit seinem Corona-Impfstoff vermeldet. Er habe eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent, teilte das Unternehmen mit. Dabei setzt Moderna wie Biontech auf das völlig neue mRNA-Verfahren.
Vorteile: Anders als Biontech ist es Moderna gelungen, den Impfstoff bei normalen Kühlschranktemperaturen transportieren und lagern zu können. Das könnte bei der Vergabe besonders in armen Ländern von Vorteil sein. Zudem gab Moderna Auskunft über die sehr wichtige Frage, ob der Impfstoff nicht nur leichte, sondern auch schwere Covid-19-Erkrankungen verhindern kann. „Kann er“, versichert Firmenchef Stéphane Bancel.
Nachteile: Moderna berichtet von leichten bis mittelschweren Nebenwirkungen, etwa Müdigkeit, Muskel-, Gelenk- oder Kopfschmerzen, und Schmerzen bei der Einstichstelle. Alle seien aber nur von „kurzer Dauer“ gewesen.
Verfügbarkeit: Bis zu einer Milliarde Dosen könnten im ersten Jahr hergestellt werden. Preis: 15 bis 20 Dollar pro Dosis. Den USA hat Moderna bereits 100 Millionen Dosen fest zugesagt plus 400 Millionen Dosen optional. Weitere etwa 100 Millionen haben sich Kanada, Japan, Katar, Großbritannien, Israel und die Schweiz gesichert. Die EU verhandelt derzeit mit Moderna über bis zu 160 Millionen Dosen. Sollte der Vertrag zustande kommen, wäre der größte Teil der Jahresproduktion verbucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene