Immobilienriese meldet Konkurs in USA an: Chinas Krise verschärft sich weiter
Der Immobilienkonzern Evergrande hat Gläubigerschutz beantragt. Der Crash kann die gesamte Volkswirtschaft Chinas in die Tiefe ziehen.
Kurz darauf berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass der chinesische Immobilienriese Evergrande in den USA Gläubigerschutz beantragt hat. Somit kann die Firma ihre Werte in den Vereinigten Staaten schützen, während sie gleichzeitig an einem Deal zur Umstrukturierung ihrer Schulden arbeitet. Insgesamt hat der Konzern mit Sitz im südchinesischen Shenzhen bereits Verbindlichkeiten von 335 Milliarden US-Dollar angehäuft.
Der Crash in Fernost scheint somit immer größer zu werden. Das beunruhigt auch Börsianer in Europa: Am Freitagmorgen ging der Dax in den Keller. Der deutsche Leitindex notierte zum Handelsstart am Freitag 0,7 Prozent schwächer bei 15.571 Punkten.
Der spektakuläre Fall von Evergrande, einst der zweitgrößte Bauentwickler des Landes, ist nur die jüngste in einer endlosen Reihe von Hiobsbotschaften, die derzeit in China an die Öffentlichkeit gelangen. Zuletzt ist auch der – noch vor wenigen Monaten als ökonomisch solide geltende – Bauentwickler Country Garden in die Negativschlagzeilen geraten. Das Unternehmen musste Anfang des Monats zwei Zahlungsfristen für US-Dollar-Anleihen verstreichen lassen.
Pessimismus der Anleger in Fernost
Auch wenn es sich mit 22,5 Millionen Dollar um vergleichsweise geringe Beträge handelt, löste die Nachricht einen sofortigen Aktiensturz aus. Vergleicht man den Kurs von Country Garden mit dem Zeitraum kurz vor der Pandemie, so sind die Papiere des Konzerns auf ein Zwanzigstel des damaligen Werts geschrumpft. Der Pessimismus der Anleger in Fernost ist durchaus begründet: Sollte die Immobilienfirma ihre Schulden bis Anfang September nicht begleichen können, dann droht ihr ebenfalls eine schmerzliche Umstrukturierung.
Für unzählige chinesische Familien wäre dies ein harter Schicksalsschlag. Denn selbst konservativ kalkuliert dürften allein von Country Garden mindestens 150.000 Apartments, welche bereits gekauft wurden, vorerst nicht fertiggestellt werden. Dahinter stehen oft jahrzehntelang angehäufte Ersparnisse, die nun möglicherweise wertlos sind. Auch für die kommunistische Partei, die immer stark um soziale Stabilität bemüht ist, ist dies eine alarmierende Entwicklung.
Ob es sich in China bereits um eine klassische Immobilienblase handelt, darüber herrscht unter Experten zwar kein Konsens. Doch dass der kriselnde Markt das Potenzial hat, die gesamte Volkswirtschaft in die Tiefe zu stürzen, liegt auf der Hand: Der Bausektor mit all seinen zugehörigen Industrien generiert rund 30 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Allein die Privathaushalte haben bis zu drei Viertel ihrer Ersparnisse in den Häusermarkt geparkt – oft aus Ermangelung alternativer Anlagemöglichkeiten.
Doch die einst boomende Branche funktionierte zuletzt nur mehr auf Pump. Viele der hochverschuldeten Entwickler nahmen immer riskantere Kredite auf, um ihr Geschäft am Laufen zu halten. Im Sommer 2020, als sich die chinesische Volkswirtschaft gerade vom ersten Corona-Schock zu erholen begann, proklamierte Staatschef Xi Jinping in einer richtungsweisenden Rede, dass Immobilien als Wohnraum dienen sollten – und nicht als Spekulationsobjekte.
Etliche Bauentwickler in Zahlungsschwierigkeiten
Doch die beschlossene Verschärfung der Kreditvergabe löste in Windeseile einen Dominoeffekt aus, von dem sich die Branche bislang nicht erholen konnte: Etliche Bauentwickler gerieten in Zahlungsschwierigkeiten, weil sie bei den Banken keine weiteren Schulden mehr aufnehmen konnten.
Die Causa Evergrande wurde schließlich zum prominentesten Symbol für die chinesische Immobilienkrise. Bezeichnend ist, dass die Nachricht über den aktuellen Konkursantrag im Reich der Mitte bis auf einige Beiträge in den sozialen Medien praktisch nicht durchgedrungen ist. Auch am Freitagmittag Ortszeit hatten die führenden Wirtschaftszeitungen nicht über den Fall berichtet. Ganz offensichtlich hatten die Zensoren einen Maulkorb verhängt – aus Angst, die Information könnte Unruhe innerhalb der Bevölkerung auslösen.
Der Staat reagierte bislang auf die Krise mit eher kleineren Maßnahmen. Am Donnerstag gab die chinesische Zentralbank bekannt, dass sie ihr im November beschlossenes Kreditprogramm für die angeschlagenen Immobilienentwickler bis Mai 2024 verlängern wird. Es handelt sich dabei um Sonderdarlehen in Höhe von umgerechnet knapp 26 Milliarden Euro. Für eine nachhaltige Erholung der Branche ist dies jedoch nicht einmal ansatzweise ausreichend.
Bislang jedoch scheute Peking davor zurück, grundlegend zu intervenieren. Doch für den Fall, dass die Immobilienkrise eskalieren sollte, dürfte die Regierung wohl oder übel einen finanziellen Rettungsanker werfen. Der Immobiliensektor ist schließlich zu wichtig für die chinesische Volkswirtschaft, als dass man den Niedergang der Branche riskieren würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen