Im Haifischbecken: Filou again
Wieder ist die Bäckerei Filou bedroht – und diesmal auch die ganze Nachbarschaft. Das Vorkaufsrecht könnte aus Ferienappartements Wohnungen machen.
Die Hilferufe mehren sich: Ein Café hier, ein Buchladen da, ein Kindergarten oder gleich ein ganzes Mietshaus – überall in der Stadt fürchten MieterInnen und Gewerbetreibende um ihre Existenz. Sie werden hinausgentrifiziert, gekündigt, zwangsgeräumt. Und immer mehr von ihnen wehren sich. Wir erzählen an dieser Stelle ihre Geschichten. Auch betroffen? Dann schreiben Sie an haifischbecken@taz.de.
Die kleinen Fische: Die Kreuzberger Bäckerei Filou – bei diesem Namen werden Erinnerungen wach. Anfang 2017 erhitzte ihre Kündigung die Gemüter. Die stadtpolitische Bewegung zeigte damals, welchen Druck sie aufbauen kann – von Demonstrationen über Verhandlungen mit Eigentümern und Politikern bis hin zu militanten Aktionen, besonders gegen das nebenan neu eröffnete Restaurant Vertikal. Am Ende knickten die Eigentümer ein, das Filou durfte bleiben und erhielt sogar einen Mietvertrag zu besonders günstigen Konditionen.
„Der ist jetzt wieder hinfällig“, sagt Coni Pfeiffer von der Nachbarschaftsinitiative GloReiche, die aus den damaligen Auseinandersetzungen hervorgegangen ist. Insgesamt drei Häuser an der Ecke Reichenberger Straße/Glogauer Straße haben die Eigentümer verkauft. Betroffen sind zwei Wohnhäuser, das eine beherbergt das Filou, sowie der Neubau, in dem ausschließlich Ferienwohnungen untergebracht sind.
Der große Fisch: Die beiden bisherigen Privateigentümer David Evans und Charles Skinner, die sich nach den damaligen Protesten öffentlich geläutert gezeigt hatten, haben nun das große Geschäft gemacht. Die Häuser mit 16 Wohnungen und 12 Ferienappartements („Vintage- und Designer-Möbelstücke verleihen die besondere Note“) sollen sie für 11 Millionen Euro verkauft haben. Den Mietern mitgeteilt haben sie es nicht. Die erfuhren erst vom Bezirksamt von ihrem neuen Vermieter, der Project X-Berg S.a.r.l. mit Sitz in Luxemburg. Die Briefkastenfirma gehört zur Immobiliengruppe NAS Invest, die jährlich dreistellige Millionenumsätze macht. Der spekulative Kaufpreis von 5.000 Euro pro Quadratmeter ergibt sich vor allem aus dem Ferienwohnungsbau. Da es sich um Gewerbe handelt, können diese Wohnungen problemlos als Eigentum verkauft werden.
Wer frisst hier wen? „Es bietet sich hier eine echte Chance, durch Anwendung des bezirklichen Vorkaufsrechts Wohnraum zu schaffen“, sagt Pfeiffer mit Blick auf die Ferienwohnungen. Am Sonntag um 12 Uhr soll vor den Häusern demonstriert werden. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) spricht von einem „sehr hohen Preis“, weswegen auch der Kauf zum Verkehrswert geprüft werde. Das wäre ein Novum – und würde sicher vor Gericht landen. Ebenso sei auch nur der Kauf der Wohnhäuser eine Option.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles