Illegaler Müllberg bei Hamburg: Er wächst und wächst
In Norderstedt sorgt ein illegaler Müllberg für Streit. Der Verursacher ist abgetaucht, während Stadt und Land weiter um die Zuständigkeit streiten.
Rund 15 Meter breit und 40 Meter lang ist der Berg mittlerweile; an manchen Stellen ragen Bauschutt, Plastikabfälle, Gipsplatten und Fässer mit Warnungen vor ätzenden Stoffen sechs Meter in die Höhe. Insgesamt handelt es sich wohl um ein Volumen von mittlerweile bis zu 30.000 Kubikmetern.
Ein Containerdienst hatte die Genehmigung, auf einem Grundstück im Gewerbegebiet Friedrichsgabe bestimmte Abfälle zwischenzulagern und zu sortieren. „Verwertet werden die Abfälle nach den Regeln und Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes“, warb das Unternehmen in den 1990ern mal im Hamburger Abendblatt. Höchstens zwölf Monate durfte der Müll auf dem Grundstück zwischengelagert werden.
Die erlaubte Lagermenge liegt laut dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) bei höchstens 2.900 Tonnen – der Großteil davon ist für Bauschutt vorgesehen, ein Teil für mineralische Abfälle. Aber das tatsächliche Volumen des Bergs überschreitet die erlaubten 2.900 Tonnen um ein Vielfaches. Unbemerkt wuchs der Berg über Jahre hinweg immer weiter.
Gelände in Privatbesitz
2019 fiel der örtlichen CDU der Berg auf, der zwischen einem Autorecyclinghof und einer Fleischfabrik liegt. Seither fordern die Stadtratsfraktionen von CDU bis Linken die Bürgermeisterin auf, endlich etwas gegen den Müll zu unternehmen. Doch dem stünden rechtliche Vorgaben entgegen. „Wir sind nicht diejenigen, die das Recht haben zu handeln“, sagt Roeder. Das Gelände ist seit Jahrzehnten im Privatbesitz des Containerdienst-Unternehmens.
Doch von dessen Chef fehlt jede Spur, der Betrieb ist längst eingestellt. Selbst die Staatsanwaltschaft weiß nicht, wo sich der Unternehmer aufhält. Und laut dem Hamburger Abendblatt hätten auch die Nachbarn seines Privatwohnsitzes ihn seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Die Stadt könne also nicht einfach die Abräumarbeiten selbst durchführen. Stattdessen sei das die Aufgabe des LLUR.
Doch dort versteht man sich als höchstens teilweise zuständig. Das LLUR müsste als überwachende Behörde erst handeln, wenn eine unmittelbare Gefahr von den gelagerten Stoffen ausginge. Das ist offenbar nicht der Fall. Eine über Monate hinweg durchgeführte Grundwasseruntersuchung im vergangenen Jahr habe Entwarnung gegeben, teilt das Landesamt mit. Das Grundwasser sei durch den Müll nicht in Gefahr.
Die Linksfraktion hält die Untersuchung allerdings für kaum aussagekräftig, da es nur eine oberflächliche Analyse gewesen sei. „Was unter den oberen Schichten des Dreckhaufens noch so alles schlummert, kann gar nicht sicher benannt werden“, sagt Christine Bilger, Stadtvertreterin der Linken.
Offenbar ist der Berg sogar in den vergangenen Monaten noch weiter gewachsen. Die Linksfraktion hat aktuelle Drohnenbilder mit älteren Fotos verglichen. „Das sind eindeutige Hinweise, dass der unkontrollierte Müllberg zur weiteren illegalen Müllentsorgung durch,Trittbrettfahrer’ genutzt wird“, analysiert die Linke anhand der Luftbilder.
Teilräumung reicht nicht
Das dem LLUR übergeordnete Schleswig-Holsteinische Umweltministerium hatte zwischenzeitlich erklärt, es wolle die krebserregenden Fasern entfernen lassen. „Die Vorwürfe der Untätigkeit sind insofern unzutreffend“, teilt der Kieler Umweltstaatssekretär Tobias Goldschmidt mit. Das sieht allerdings der Naturschutzverband BUND anders: Wenn nur Teile des Mülls herausgeholt werden, würden weitere giftige Substanzen freigelegt und damit eine zusätzliche Umweltbelastung in Gang gesetzt.
Dabei ist die Entsorgung auch eine Kostenfrage: Mehr als eine Millionen Euro müssten wohl aufgewendet werden. Die Grünen fordern, dass die Stadt nun zügig selbst in Aktion tritt. Hinterher könne sie sich die Kosten vom Land, genauer gesagt vom grünen Umweltminister Jan Philipp Albrecht, zurückerstatten lassen. Das sieht auch die Linke so: „Es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass eine weitere Gefährdung in Kauf genommen wird, nur um einen Machtkampf mit dem Land fortzusetzen, der bisher zu absolut nichts geführt hat“, sagt der ebenfalls für die Linksfraktion in Norderstedt tätige Miro Berbig.
Doch ein Eingriff scheint rechtlich kaum durchsetzbar. Eine Zwangsenteignung des Geländes durch die Stadt ist erst legal, wenn der bisherige Besitzer wieder auftaucht – was kaum jemand in Norderstedt erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte