Illegale Praktiken des Boulevard: In die Paranoia getrieben
Die britische Doku „Tabloids on Trial“ berichtet über rechtswidrige Bespitzelung durch den Boulevard. Viele Opfer kommen zu Wort.
Prinz Harry sieht seine Prozesse gegen Mediengiganten als einen Kampf zwischen David und Goliath. Das behauptete der Prinz in der Doku „Tabloids on Trial“ („Boulevardmedien vor Gericht“) des britischen Senders ITV, die Ende Juli ausgestrahlt wurde. Es geht um Phone Hacking und widerrechtliche Beschaffung von Informationen durch die britischen Medien. Das Telefon von Prinz Harry etwa war von 1996 bis 2010 von Journalist:innen gehackt worden. Ein britisches Zivilgericht sah es als erwiesen an, dass Artikel teils auf abgehörten und anderweitig illegal beschafften Infos basierten.
Der Prinz hat im Dezember seine Klage gegen die britischen Zeitungen The People, Mirror und Sunday Mirror gewonnen. Im Urteil hieß es damals, dass Phone Hacking und die widerrechtliche Beschaffung von Informationen weit verbreitet gewesen seien.
Harry und andere Prominente versuchen weiterhin, gegen Medien vorzugehen, die Artikel etwa dank gehackter Telefonnachrichten, Täuschung und in einigen Fällen sogar Einbrüchen publizierten (wie bei dem britischen Schauspieler Hugh Grant). Korrupte Polizeibeamt:innen sollen mit den Medien zusammengearbeitet haben. Zum Arsenal britischer Boulevardzeitungen gehörten auch versteckte Mikrofone, Einsicht in medizinische Akten oder Tracker.
An sich ist all das nichts Neues. Doch die Leistung der Doku ist, dass ITV nicht nur mit dem Prinzen spricht, sondern viele Betroffene zu Wort kommen lässt. Dabei wird klar, dass die Veröffentlichungen viele Opfer sogar in paranoiden Wahnsinn trieben, bei dem sie niemandem mehr vertrauten. Am meisten scheint Ex-Fußballer Paul Gascoigne davon geschädigt zu sein. Er erzählt, dass er sogar seine Eltern beschuldigte, Infos an die Medien weitergeleitet zu haben.
„Wir taten es die ganze Zeit“
Journalist Paul McMullan, der für die nicht mehr existierende Boulevardzeitung News of the World schrieb, gesteht in der Doku, dass Hacking weitverbreitet war und dass es ihm insbesondere im Fall Gascoigne heute leidtue. Die Mirror-Gruppe musste an Gascoigne knapp 1,5 Millionen Euro Entschädigung zahlen, die Zeitung The Sun außergerichtlich eine Summe. McMullan gab an, dass die Abhörarbeit größtenteils von Journalist:innen weiter unten in der Rangordnung erledigt wurde. „Nahezu alle Telefonnummern wurden gehackt, das gehörte quasi zum Beruf. Wir taten es die ganze Zeit.“
Auch Teenager wurden gestalkt und zerstört. In der Dokumentation beschreibt die walisische Sängerin Charlotte Church, einst Kinderstar, wie die Daily Mail sie als Teenagerin für altersübliche Dinge zur gefallenen Person erklärte. Die Medien seien eine Art missbräuchlicher Stalker gewesen, dem man nicht entkommen konnte.
Aufgeflogen war die Arbeitsmethode 2011, als bekannt wurde, dass Reporter von News of the World 2005 das Telefon des ermordeten 13-jährigen Schulmädchens Milly Dowler abhörten. Das führte zur Leveson-Untersuchung, benannt nach Sir Brian Leveson, dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission. Die Kommission empfahl, eine Institution aufzubauen, die die Standards von Zeitungen prüft. Das wurde jedoch nie umgesetzt. Immerhin bedeutete es nach 168 Jahren Bestehen das Ende der News of the World und die Verurteilung des Chefredakteurs Andy Coulson.
Die Autor:innen der Doku „Tabloids on Trial“ erhoffen sich womöglich eine neue Untersuchungskommission durch die frisch gewählte Labour-Regierung. Doch Premierminister Keir Starmer gab bereits bekannt, dass er keine diesbezüglichen Absichten habe. Prinz Harry gab seinerseits an, dass die damaligen Veröffentlichungen und Harrys Entschluss, die Medien rechtlich zu verfolgen, für das Zerwürfnis in seiner Familie eine zentrale Rolle spielten. Harry leitet nächstes Jahr weitere Klagen gegen die Sun ein,weitere Verfahren gegen die Daily Mail und Mail on Sunday seien vorbereitet.
Doch Ermittlungen sind schwer, weil Medienhäuser Spuren verwischen. Laut ITV löschte Murdochs News Group 2010 30 Millionen E-Mails. Viele Chefredakteure gaben bei der Leveson-Untersuchung unter Eid an, niemals Phone Hacking benutzt oder davon gewusst zu haben. Seit dem Urteil im Dezember scheint klar, dass das wahre Bild ein anderes ist.
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