Illegale Exporte in die USA: Ist ein Flugblatt eine Straftat?
Das Verwaltungsgericht Oldenburg verhandelt gegen Friesoythe: Die Stadt verbot, Flugblätter zu verteilen, die zum Whistleblowing aufriefen.
Darüber verhandelte am Dienstag das Verwaltungsgericht Oldenburg – in Abwesenheit der Stadt Friesoythe, die durch ihren Bürgermeister vertreten sein sollte, wie es im Gerichtsaushang hieß. Der SPD-Mann kam aber nicht.
Aus der Weltsicht der Stadt war Theisen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sein Flugblatt eine Straftat. Genauer gesagt, der strafbare öffentliche Aufruf zu einer Straftat: Laut dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) konnte man damals für den Verrat von Geschäftsgeheimnissen fünf Jahre in den Knast wandern.
Theisen wollte die „illegalen Exporte“ der Friesoyther Pharmafirma anprangern. Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung hatten zuvor ergeben, dass sie wohl mehrere Tonnen des Tierarzneimittels „Beuthanasia-D“ in die USA verschifft hatte – das Medikament wird üblicherweise dazu verwendet, Hunde einzuschläfern. Der Hauptwirkstoff, Pentobarbital, wird in den USA aber auch eingesetzt, um Menschen hinzurichten. Der Export dieses Mittels verstößt deshalb nicht nur gegen das Außenwirtschaftsgesetz, sondern auch gegen die Anti-Folterverordnung der EU.
Heute ist der Aufruf straffrei
Also rief Theisen die Mitarbeiter:innen der Firma per Flugblatt auf, die Öffentlichkeit „umfassend und rückhaltlos“ über mögliche illegale Exporte zu informieren. Und zwar nicht ohne eine „Rechtsbehelfsbelehrung“, die darauf hinwies, dass arbeitsrechtliche Konsequenzen und ein Strafverfahren drohen können.
Heute ist ein Aufruf wie dieser straffrei, denn eine Richtlinie der EU schützt seit 2018 Whistleblower:innen – den Paragrafen aus dem UWG gibt es nicht mehr, dafür ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Folgerichtig sprach das Oberlandesgericht Oldenburg Herrn Theisen 2019 frei, nachdem das Amtsgericht in Cloppenburg ihn 2018 zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt und 47 sichergestellte Flugblätter eingezogen hatte.
Theisen „verfolgte das Ziel, eine Diskussion anzustoßen“, attestierte ihm das Oberlandesgericht damals: „Der behauptete Export von Giftstoffen stellt ein ethisch zu missbilligendes Verhalten dar.“
2021 verurteilte das Landgericht Oldenburg den Geschäftsführer und eine weitere Mitarbeiterin von VET Pharma Friesoythe wegen der Exporte zu einer Geldbuße von 10.000 Euro und zog das damit verdiente Geld „in Höhe von 777.638,71 Euro“ ein.
Theisens Flugblatt war „eine Provokation“, sagte am Dienstag sein Anwalt Martin Heiming, und dass er nicht ernsthaft damit rechnen durfte, dass Mitarbeiter:innen wirklich Interna über den Giftdeal mit den USA ausplaudern. Haben sie auch nicht – bei ihm gemeldet habe sich keiner, sagte Theisen im Gericht.
Dass diese Provokation damals strafbar war, glaubt Heiming nicht, der die Stadt Friesoythe „versammlungsfeindlich“ nennt. Denn das UWG, mit dem Friesoythe argumentierte, sei hier „kein passendes Gesetz“. Es ziele auf Wettbewerbsverzerrung ab, und auf Menschen, die daraus Profit ziehen. Auch der Verwaltungsrichter erklärte, dass die Rechtsauffassung der Kommune in der Rechtsprechung „ziemlich umstritten“ und „eher wackelig“ sei.
Ein Urteil steht zwar noch aus, doch der Richter ließ durchblicken, dass die Stadt zumindest viel gründlicher hätte prüfen und besser argumentieren müssen, eh sie das Flugblatt verbot – zumal damals bereits rechtlich klar war, dass Whistleblower sehr bald viel besser geschützt sein würden.
Auch die Hamburger Zollfahndung war damals schon weiter: Sie bat Theisen um die Namen der Whistleblower:innen – „eine Schizophrenie des Rechtsstaates“, wie der Richter sagte. Schließlich war es dieselbe Staatsanwaltschaft, die Theisen, aber auch die Firma bestraft sehen wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance