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Ilija Trojanows neuer RomanFolterer und Opfer

Ilija Trojanow erzählt in „Macht und Widerstand“ die Geschichte von Bulgariens Gewaltherrschaft – gründlich recherchiert.

Der Eingang des Hauses der kommunistischen Partei Bulgariens in Busludscha, 2012. Foto: dpa

Zu den vielen erschreckenden Einsichten, die dieser Roman bereithält, gehört die, dass Folterer gleichzeitig sture Handwerker und aufmerksame Leser sein müssen. „Nicht kreativ werden“, das ist eine der Vorgaben, die Metodi, der sich selbst als „Michelangelo des Verhörs“ bezeichnet und eine der beiden Hauptfiguren in Ilija Trojanows Roman „Macht und Widerstand“ ist, an einer Stelle rekapituliert.

Stattdessen gilt es für ihn immer, sich an die drei Stufen des Verhörs zu halten. Erste Stufe: Isolation und Reduktion. Zweite Phase: Druck aufbauen, Belastung kontinuierlich erhöhen. Wenn das nicht ausreicht, dritte Phase: erst einmal erholen lassen, Hoffnung gewähren, dann Schock auslösen. Um Effizienz geht es halt bei Folterungen.

Und an einer anderen Stelle formuliert Metodi eine weitere Vorgabe für Verhörspezialisten: „Wir sind Detaillisten […] Ihr müsst das Gesicht so aufmerksam lesen wie ein dickes Buch, bei dem ihr nicht wisst, auf welcher Seite die entscheidende Information vorkommt.“

Das Bulgarien, das Trojanow beschreibt, war zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der sogenannten Wende 1989 eine Spitzelgesellschaft. Die Zahl der Denunzianten wird auf drei Millionen geschätzt. Das lässt Trojanow, der viele Fakten in seinen Roman eingebaut hat, einen Generalstaatsanwalt sagen, um kurz darauf Konstantin, seine zweite Hauptfigur, der als Anarchist dem kommunistischen Regime Widerstand leistete und gefoltert wurde, resümieren zu lassen: „Wenn so viele Verrat begehen, dann ist Verrat normal, was soll man dagegen unternehmen?“

Buch „Macht und Widerstand“

Ilija Trojanow: „Macht und Widerstand“. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2015, 480 Seiten, 24,99 Euro

Eine glänzende Karriere

Folterer und Gefolterte – wer dieses dicke Buch aufmerksam liest, stößt auch noch auf viel mehr Geschichten. Da ist die junge Frau, Tochter einer Inhaftierten, die herausbekommen möchte, ob der Folterer ihr Vater ist. Da sind die vielen Repräsentanten des alten Regimes, die nach 1989 als „Biznismänner“ eine glänzende Karriere im Kapitalismus machten. Da sind die Hintergründe eines Anschlags auf ein Stalin-Denkmal 1953, die furchterregenden Haftbedingungen, die Geschichte des Archivs für Staatssicherheit, das sich in Bulgarien – während in Deutschland das Stasi-Archiv sorgfältig ausgewertet wird – als Aktengrab erweist, und viele andere Geschichten mehr.

„Macht und Widerstand“ ist ein Geschichts-Buch im doppelten Sinne. Es enthält die Rückseite der kommunistischen Herrschaft in Bulgarien seit dem Zweiten Weltkrieg. Und es sammelt viele der teils wahnwitzigen, teils hanebüchenen Geschichten ein, die dieses Regime im Alltag der Menschen hinterlassen hat. Dabei achtet Ilija Trojanow sehr auf Ambivalenzen.

Macht und Widerstand sind im gelebten Leben bei ihm nicht so klar zu trennen, wie es der Titel suggeriert. Verstrickungen sind die Regel, und auch die positiv besetzten Figuren laufen in diesem Roman immer Gefahr, sich bei ihrem Kampf um die eigene Erinnerung zu täuschen, weil sie sich selbst zu gut dastehen lassen.

20 Jahre Arbeit

Diese Fülle an Geschichten verdankt sich intensiver Recherche. Im Alter von sechs Jahren ist der 1965 geborene Ilija Trojanow mit seiner Familie nach Westeuropa und schließlich nach Deutschland geflohen (und später, als sein Vater dort Arbeit bekam, nach Nairobi weitergezogen). Den Kontakt mit seinem Geburtsland hat er aufrechterhalten. In einem Radiointerview erwähnte er kürzlich, dass er seit 20 Jahren immer wieder für den aktuellen Roman recherchiert und inzwischen mit Dutzenden Zeitzeugen Interviews geführt habe.

Die Frage ist natürlich, wie man solche Stofffülle literarisch organisiert. Trojanow hat sich für ein radikales Vorgehen mit weitreichenden Konsequenzen für die Anmutung des Romans entschieden. Immer wieder druckt er Akten der Staatssicherheit eins zu eins ab. Außerdem strukturieren kurze Erzählungen über einzelne Jahre in vielen verschiedenen Genres den Text. Vor allem aber erzählt er seinen Roman als Duell zweier innerer Monologe. Abwechselnd lässt er den Folterer Metodi und den ehemaligen Häftling Konstantin die Geschehnisse aus ihrer jeweiligen Ich-Perspektive ausführlich Revue passieren.

Erzählen statt zeigen

Das hat den Vorteil großer erzählerischer Gelenkigkeit. Um ein Thema vorkommen zu lassen – die Auswirkungen von Schlaflosigkeit etwa oder die Motive, warum man sich nach dem Zweiten Weltkrieg von den bulgarischen Sicherheitsbehörden rekrutieren ließ –, braucht Trojanow nur einen seiner beiden Ich-Erzähler darüber nachdenken zu lassen. Der Nachteil besteht in der Gefahr, dass damit ein Thema nur angesprochen, keineswegs aber literarisch gestaltet ist, und in diese Falle tappt Trojanow oft. Die Maxime „don’t tell, show“ scheint ihn nicht herauszufordern. Vieles wird in diesem Roman nur erzählt, nicht gezeigt.

Zumal beide Ich-Erzähler inzwischen ältere Herren sind und aus großem Abstand zurückblicken, selbst auf die eigenen Folterungen – ob aktiv ausgeführt bei Metodi, ob passiv erlitten bei Konstantin. Außerdem benutzt Trojanow die beiden Ich-Perspektiven als Lizenz, ausführlich Phrasen und Gemeinplätze in die jeweiligen Erinnerungs-Suadas einzubauen.

„Behaglich haben sich die meisten mit dem eigenen Verrat arrangiert. Der erste Verstoß gegen die eigenen Überzeugungen fällt einem schwer. Danach läuft es wie geschmiert.“ So etwas mag stimmen. Eindringlicher aber wäre es gewesen, man bekäme es als Leser aus dem Inneren einer Figur vorgeführt.

Dieser Roman hat schon euphorische Besprechungen bekommen, und in der Tat ist er ein interessanter Versuch, das Thema der Gewaltherrschaft literarisch in den Griff zu bekommen. Dass Trojanow sich als Autor sich hinter zwei alten Männern versteckt, die über ihre Rolle im vergangenen Jahrhundert nachdenken, hat aber letztlich etwas so Redliches wie am Reißbrett Entworfenes.

Anstatt den existenziellen Riss deutlich und durchfühlbar zu machen, der in einer Gesellschaft wie der bulgarischen bis heute herrschen muss, umkreist Trojanow das Thema, um den Preis, es zugleich in eine historische Ferne zu rücken.

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1 Kommentar

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  • Wie schade! Zwei alternde Helden, die ein wichtiges Thema irgendwo in der Vergangenheit abladen wie Schutt auf einem abgelegenen Feldweg - das ist vermutlich nichts, woran man sehen könnte, wie eine Gegenwart aus der Vergangenheit entsteht und in die Zukunft wirkt. Und zwar nicht nur in Bulgarien, sondern auch überall sonst im früheren Ostblock. Wobei. Im Westen etwa nicht? Was ist mit Westdeutschland und Österreich nach 1945? Was mit Italien und was mit den Spaniern? Was ist mit Frankreich oder Großbritannien kurz nach dem Aus der Kolonien? Was mit den USA kurz nach der Rassentrennung?

     

    Dass Menschen sich mit dem Verrat an den eigenen, für unerschütterlich gehaltenen Überzeugungen rasch arrangieren, stimmt doch überall auf dieser Welt. Es so eindringlich vorgeführt zu kriegen, dass man sich selbst nicht sicher fühlen kann, ist offensichtlich nichts, was sich die Kritiker, die dieses Buch sofort gepriesen haben, gewünscht hatten von Ilja Trojanow. Das Fremde soll wohl lieber doch fremd bleiben. Es wirkt dann weniger bedrohlich, denke ich. Und muss schon gar nicht zu Veränderungen führen. Im eignen Leben, meine ich. Schön, dass Dirk Knipphals das gespürt zu haben scheint.