Ilija Matusko über Klasse: „Pommes sind für mich hochwertig“
Essen sagt viel über soziale Herkunft aus. Der Autor Ilija Matusko versucht in seinem Buch, Ästhetik zu sehen, wo andere sie nicht sehen wollen.
taz: Ilija, was haben Pommes mit deiner sozialen Herkunft zu tun?
Ilija Matusko: Meine Eltern haben eine Gastwirtschaft in Bayern betrieben, ich habe als Kind viel mitgeholfen. In der Schule habe ich gemerkt, dass man, wenn man oft hinter der Fritteuse steht, einen gewissen Duft mit sich herumträgt. Meine Mitschüler*innen haben mich damit gehänselt und aufgrund meines Pommesgeruchs deklassiert. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass meine Herkunft mit Abwertung verbunden sein kann.
Im Erwachsenenalter hast du viel dafür getan, deinen „Stallgeruch“ loszuwerden. Wie?
43, hat hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert und arbeitet bei der taz. Sein Debüt „Verdunstung in der Randzone“ erschien 2023 bei Suhrkamp.
Ich habe einen Bildungsaufstieg absolviert. Wobei ich den Ausdruck nicht mag, weil ein Leistungsnarrativ mitschwingt. Als könnte es jeder schaffen, der sich nur genug anstrengt. Dabei hat man vieles nicht in der Hand. Ich ging als Erster in meiner Familie aufs Gymnasium und schloss ein Studium ab. Aber das war nicht mein Plan, um meine Herkunft abzustreifen. Ich wollte einfach aufs Gymnasium, weil meine Freunde da hingingen. Deshalb sage ich, es ist auch viel Glück dabei. Ich habe den Prozess erst im Rückblick als Klassenreise verstanden.
Muss man seine soziale Herkunft aufgeben, um den Klassenübergang zu schaffen?
Es sind sehr ambivalente Gefühlswelten, wenn man sich zwischen den Klassen befindet. Man gewinnt viel, man verliert aber auch viel. Der Soziologe Pierre Bordieu spricht vom „gespaltenen Habitus“.
Was meint das?
Man fühlt sich in den verschiedenen Milieus unwohl, tendiert zur Flucht, aber wohin? Die Vertrautheit der eigenen Welt geht verloren, man spricht nicht mehr die Sprache seiner Eltern. Man gibt viel auf, ohne das zu wollen, das bemerkt man erst im Rückblick. Gleichzeitig ist da das Gefühl, in der anderen Welt nie richtig anzukommen. Die Unsicherheit, sich im akademischen Feld nicht flüssig zu bewegen, weil man vieles erst spät erlernt hat. Das Mangelgefühl, die Angst entlarvt zu werden, wird man nie los.
In deinem Buch geht es auch um den Zusammenhang von Arbeit, Essen und Klasse. Wie prägt Essen die Klassenkultur?
Geschmack ist vermeintlich etwas sehr Persönliches. Aber über Geschmack und Essen werden Klassenpositionen manifestiert. Wie eine Familie beim Abendtisch sitzt, sagt viel über ihre Klasse aus. Es gibt Geschmackshierarchien: Pommes sind etwas vermeintlich Trashiges, für mich aber sehr Hochwertiges. Ich versuche im Buch, die Hierarchien infrage zu stellen und Schönheit und Wertigkeit in Dingen zu sehen, die als nicht hochwertig gelten. Zum Beispiel Gespräche am Stammtisch, oder wie meine Mutter die Teller trägt. Für mich liegt da viel Ästhetik drin.
Wie war die Essenskultur in eurer Familie?
Paradox: Einerseits hat Essen durch den Gastrobetrieb eine große Rolle gespielt. Es war immer vorhanden, und als Kind durfte ich mir immer alles aussuchen, ob Pommes, Schnitzel, Eis, oder Kuchen, das war wie im Schlaraffenland. Gleichzeitig war aber keine Zeit, zusammen zu essen, weil meine Eltern immer gearbeitet haben. Dadurch hatten die Mahlzeiten nicht diese kommunikative, sozial bindende Bedeutung. Sie liefen eher so nebenher.
Wie hat deine Familie auf dein Buch reagiert?
taz Salon "Es riecht nach Klasse!" Gespräch und Lesung, Haus 73, Schulterblatt 73, Beginn 19:30, Einlass 19:00.
Natürlich war es anfangs nicht leicht, sondern auch schambehaftet. Aber es war ein sehr guter Prozess, den meine Schwester und mein Vater eng begleitet haben. Sie waren die ersten, die mein Textmaterial gelesen haben. Wir haben viel Erinnerungsarbeit gemacht und können uns jetzt besser zugestehen, unterschiedlich zu sein, ohne uns persönlich dafür in Haft zu nehmen. Es hat gesellschaftliche Gründe.
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