Ibiza-Prozess in Österreich beginnt: „Ein eigenartiger Anschein“
Dem Macher des Ibiza-Videos wird Drogenhandel vorgeworfen. Es mehrt sich die Kritik: Nicht nur er selbst glaubt, dass der Vorwurf ein Vorwand ist.
In der Anklageschrift sieht es die Staatsanwaltschaft als erwiesen an, dass H. ein Viertelkilo Kokain verkauft habe. Der bereits wegen Suchtgiftdelikten vorbestrafte Mann bestreitet den Vorwurf. Und mehr als ein Dutzend NGOs teilen seinen Verdacht, dass es darum gehe, den Aufdecker mundtot zu machen. Die in Wien registrierte Organisation Epicenter Works, die gegen staatliche Überwachung im Netz und für Grundrechte im digitalen Raum eintritt, kritisiert, dass die Behörden „massive Überwachungsmethoden aufgefahren“ und „fast jeden Stein umgedreht“ hätten, um des Machers des Ibiza-Videos habhaft zu werden.
Für den Völkerrechtsprofessor und Menschenrechtsexperten Manfred Nowak erweckt es „einen eigenartigen Anschein“, dass die Staatsanwaltschaft „dem Whistleblower sehr viel mehr Aufmerksamkeit“ gewidmet habe, als den aus dem Video hervorgehenden Hinweisen auf Korruption des ehemaligen FPÖ-Chefs und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache.
15 österreichische und internationale Menschenrechtsorganisationen haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie sich hinter Julian H. stellen. Darin zeigen sie sich „besorgt“ darüber, dass die „ausufernde Strafverfolgung“ auf künftige Aufdeckerinnen und Aufdecker abschreckend wirken könnte. Sie fürchten negative Auswirkungen auf die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich.
Seltsam anmutende Zeugenaussagen
Die Anklage stützt sich unter anderem auf einen Zeugen, der seine Aussage zugunsten H.s später widerrufen hat und ihn jetzt belastet. Seltsam mutet auch ein weiterer Zeuge an, der als Informant für das österreichische Bundeskriminalamt im Bereich organisierte Kriminalität gearbeitet hat. Er soll auch Informationen an einen rechtsextremen Blog in Österreich verkauft und dort falsche Fährten gelegt haben.
Epicenter Works hat die teilweise geschwärzten 442 Seiten des Gerichtsakts ins Netz gestellt, damit jeder nachvollziehen kann, was man H. alles anhängen will. In Zusammenhang mit dem Ibiza-Video, das er aus eigener Tasche finanziert haben will, ist da vom „Vergehen des Missbrauchs von Tonaufnahme- oder Abhörgeräten nach dem § 120 Abs. 2 StGB“ die Rede.
Außerdem wirft man ihm vor, „eine falsche besonders geschützte Urkunde, nämlich die Kopie eines lettischen Reisepasses lautend auf ‚Alyona Makarov‘, somit eine ausländische öffentliche Urkunde“ verwendet zu haben, um Strache und dessen Adlatus Johann Gudenus vorzugaukeln, dass eine russische Oligarchennichte mit ihnen ins Geschäft kommen wolle. Beides keine Delikte, die jemanden hinter Gitter bringen.
Sollte H. wegen Drogenhandels verurteilt werden, so drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann