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IGH Klima-GutachtenDeutschland ist haftbar

Nick Reimer
Kommentar von Nick Reimer

Staaten können für Klimaschäden juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Deutschland muss eine Kehrtwende machen, sonst könnte es teuer werden.

Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen, den Haag, am 23.7.2025 Foto: James Petermeier/imago

D ass es Frauen erlaubt werden soll, ein eigenes Bankkonto zu führen – vor 70 Jahren war das in der alten BRD höchst umstritten. Natürlich verwaltete der Mann das gesamte Vermögen, auch Gehalt und Zinsen seiner Frau. Zwar wurde die Gleichberechtigung der Geschlechter 1958 gesetzlich festgeschrieben. Trotzdem setzte sich das „Konto für die Frau“ erst in den 1960er Jahren durch.

Heute erscheint uns das so absurd wie die Sklaverei oder die Leibeigenschaft. Insofern stimmt ein Rechtsgutachten zuversichtlich, das der Internationale Gerichtshofs (IGH) in dieser Woche in Den Haag veröffentlichte. Im Kern besagt es: Wer Klimaschutzpflichten verletzt, muss die betreffenden Staaten, die Probleme durch die Erd­erwärmung bekommen, entschädigen.

Das Gericht legte seiner Begutachtung unter anderem den Klimavertrag von Paris zugrunde. Aus diesem und anderen internationalen Verträgen ergeben sich zentralen Pflichten zur Reduktion von Treibhausgasen, argumentiert der IGH. Wer neue Öl- oder Gasfelder erschließt, fossile Subventionen nicht abschafft, der verstößt gegen diese und kann dafür belangt werden.

Es ist nicht das erste Urteil dieser Art. Das Oberverwaltungsgericht in Hamm hatte im Mai geurteilt: Große Emittenten können für Klima­risiken haftbar gemacht werden. Zwar gab das Gericht dem Kläger, einem peruanischen Bauern, nicht statt. Prinzipiell nahmen die Richter das angeklagte Unternehmen RWE als großen Kohlendioxidproduzenten aber in die Verantwortung: Wer verursacht, haftet.

Wer verursacht, haftet

In 70 Jahren wird man sich über die Debatte zur Haftungspflicht wundern

Im April 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt: Zu wenig Klimaschutz verletzt die Rechte kommender Generationen. Damals hatte die Regierung von Angela Merkel (CDU) deshalb eiligst das Klimaschutzgesetz geändert. Ausgerechnet die Ampel-Regierung schwächte es aber wieder ab. Dagegen liegt eine neue Verfassungsbeschwerde vor, die noch in diesem Jahr entschieden werden dürfte.

Ein großer Vorteil des Pariser Klimaabkommens war, dass zu berechnen möglich wurde, wie viel Treib­hausgas jedes einzelne Land noch ausstoßen darf, wenn die Welt sein Ziel – die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad zu belassen – noch erreichen will. Die Bundesregierung hat sich einen Klimarat gegeben, der über ihre Klimaschutzpolitik urteilen soll. Im letzten Jahr berechnete dieser Rat, dass das Restbudget, das Deutschland für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziel noch zur Verfügung steht, aufgebraucht ist.

Trotzdem subventioniert auch die Regierung von Friedrich Merz (CDU) weiterhin fossile Energien, etwa mit den staatlich geförderten Flüssigerdgasterminals oder dem Dienstwagenprivileg. Trotzdem will Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche jede Menge neue Gaskraftwerke bauen lassen.

Wer verursacht, haftet. Dieser Grundsatz gilt seit dieser Woche auch für unterlassenen Klimaschutz. Zwar hat der IGH betont, dass die konkrete Haftung einer Einzelfallprüfung unterliegt. In 70 Jahren werden sich die Menschen aber vermutlich genauso über die juristische Debatte zur Haftungspflicht wundern, wie wir heute über das „Bankkonto für die Frau“.

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Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
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