Hurenkongress in Berlin: Gegen die Kriminalisierung
BDSM-Praktiken, Mythos Menschenhandel oder die Bedürfnisse von trans Sexarbeiter_innen: Die Themen beim diesjährigen Hurenkongress waren vielfältig.
Der Hurenkongress findet dieses Jahr in einem stillgelegten Supermarkt in Berlin-Mitte statt: Überall stehen riesige Zelte, und rote Regenschirme hängen von den Decken. Sie sind ein internationales Symbol der Hurenbewegung und stehen für die Forderung nach Dekriminalisierung. Damit ist gemeint, dass alle Gesetze, die Sexarbeit verbieten oder regulieren, abgeschafft werden sollen. Auch in Deutschland, wo Sexarbeit historisch nie verboten war, kämpfen Sexarbeiter_innen und Feminist_innen aktuell wieder gegen einen konservativer werdenden Diskurs. So gründete die SPD-Politikerin Leni Breymaier Anfang Juli einen fraktionsübergreifenden Parlamentskreis zur Illegalisierung von Prostitution. Der Hurenkongress kam also zu rechten Zeit.
Organisiert haben ihn der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen BesD e.V. und weitere Aktivist_innen. Dieses Jahr ist er erstmalig nur für Sexarbeiter_innen zugänglich. Am ersten Tag konnten 200 Sexarbeiter_innen an praxisorientierten Workshops auf Deutsch und Englisch teilnehmen oder die Zeit nutzen zu netzwerken. Am zweiten wurde im Stil eines Barcamps über alle Themen gesprochen, die die Teilnehmer_innen interessieren. Sozialarbeiter_innen und andere, die an der Branche interessiert sind, aber selbst darin nicht arbeiten, durften nicht teilnehmen. Für sie war lediglich die Messe „World of Whorecraft“ vorgesehen, die im Anschluss an den Kongress am Samstag stattfand.
Traditionell werden Sexarbeiter_innen in zwei Extreme eingeordnet – einerseits sind wir arme Opfer von Menschenhandel oder unserer eigenen Naivität, andererseits sind wir selbstbestimmte Gutverdiener_innen, die mit Genuss sexuelle Dienste anbieten. Unter den Begriff sex work, den die US-amerikanische Sexarbeiterin Carol Leigh prägte, fallen alle Formen von Lohnarbeit, die erotisch oder sexuell sind, nicht nur die Prostitution, in der Geschlechtsverkehr angeboten wird. Auch Stripper_innen, Pornodarsteller_innen oder Sugar Babies zählen dazu. Der Gedanke dahinter: Wir werden alle von der gleichen, hurenfeindlichen Logik unterdrückt und für unsere Arbeit beschämt und verfolgt. Darum wollen wir vereint gegen diese Logik kämpfen, und uns nicht in gute und schlechte, prekäre und privilegierte Arbeiter_innen spalten lassen.
Unter dieser Leitlinie steht auch der Hurenkongress. Mein Beitrag dazu ist ein Workshop, den ich gemeinsam mit einer Kollegin gebe. Wir wollen die Bedürfnisse von uns transgender, transsexuellen und nicht-binären Sexarbeiter_innen in den Mittelpunkt stellen. Obwohl überdurchschnittlich viele trans Personen der Sexarbeit nachgehen, weil sie vom traditionellen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, sind wir nicht so stark auf dem Kongress vertreten. Als meine Kollegin und ich die Kongressteilnehmer_innen zu unserem Workshop einladen, starren uns manche Huren ungläubig an. Sie schauen so, wie die braven Bürger_innen draußen wohl starrten, würden wir sie zum Bordellbesuch bitten. Immer wieder sagen sie: „Aber ich bin nicht trans!“ Und wir sagen: „Der Workshop ist für alle, denn transgender Fragen gehen uns alle an.“
Christian Schmacht, Jahrgang 1989, ist queerer Autor und Sexarbeiter. Im Herbst 2017 erschien seine erste Novelle „Fleisch mit weißer Soße“ bei der Edition Assemblage.
Die Zeit reich kaum aus
Es stellt sich heraus, dass wir deutlich mehr Workshops mit transgender Fokus gebraucht hätten, denn die Themenbreite ist groß: Trans Sexarbeiter_innen werden von Onlineplattformen diskriminiert, in denen sie sich unter beleidigenden Begriffen wie „Shemale“ einordnen müssen und die nicht zwischen trans Männern und trans Frauen unterscheiden. Sie erfahren Gewalt und Diskriminierung von ihren Kund_innen, die ihre internalisierte Trans- und Homofeindlichkeit auf sie projizieren. Sie wünschen sich mehr Solidarität von anderen Sexarbeiter_innen. Sie würden sich gern besser vernetzen, um einander Tipps zu geben, die andere Sexarbeiter_innen ihnen nicht geben können. Sie sind oft isoliert und werden von anderen Sexarbeiter_innen nicht ernst genommen.
Die kurze Zeit des Workshops reicht kaum aus, um die Bedürfnisse zu formulieren. Ein Sexarbeiter stellt das Berliner Projekt Trans Sexworks vor, das vor allem von migrantischen trans Sexarbeiter_innen auf dem Straßenstrich in Anspruch genommen wird. Dort können sie essen, sich austauschen, duschen und sich für die Arbeit schminken. Da viele von ihnen obdachlos sind, steht die Betriebsgründung oder eine Tantrafortbildung bei ihnen aktuell nicht im Vordergrund.
Am Nachmittag sprechen zwei Referent_innen von der Gruppe Tamppep, einem europäischen Netzwerk für die Förderung der Rechte und Gesundheit migrantischer Sexarbeiter_innen, in einem anderen Workshop über den Trafficking-Mythos. Mit dem Thema Menschenhandel werden früher oder später alle konfrontiert, die über Sexarbeit sprechen möchten. Viele haben eine Meinung, doch kaum jemand kennt sich wirklich damit aus. Die sogenannte Rescue-Industrie, die es sich auf die Fahne schreibt, Opfer von Menschenhandel in der Sexarbeit retten zu wollen, ist ein mit Millionen finanzierter Komplex, an dessen Ende immer wieder Angebote stehen, die gar keine Abnehmer_innen finden. Denn die Stereotype eines Trafficking-Opfers entsprechen nicht der Realität, und all das Geld kann nicht an Personen gehen, die gar nicht existieren.
Zugleich verursacht die Rescue-Industrie große Schäden, da Projekte, die für Sexarbeiter_innen sind, ihre Ausrichtung verändern müssen, um weiter finanziert zu werden. Die Definition von Trafficking umfasst drei Punkte: Eine Person muss im Herkunftsland rekrutiert, in ein anderes Land gebracht und dann zum Arbeiten gezwungen worden sein. So geraten migrantische Sexarbeiter_innen in den Fokus der Behörden, die vorgeben, Menschenhandel zu bekämpfen.
„Nicht über uns ohne uns“
„Wer lange Sexarbeit macht, wird früher oder später Migrant_in“, sagt eine Teilnehmerin: „Wir bleiben ja nicht an dem Ort, an dem wir anfangen, sondern viele von uns probieren unterschiedliche Städte und Länder aus.“ Manche werden dabei als gute Migrant_innen, als Expats, gesehen, die meisten jedoch gelten als schlechte. Die einen können ihren europäischen Pass zücken und damit in das Land ihrer Wahl einreisen, die anderen müssen Dienstleister kontaktieren, die teuer eine illegale Einreise organisieren. Sie kalkulieren ein, dass sie in ihrem Zielland Sexarbeit machen werden, um diese Grenzüberschreitung abbezahlen zu können. Wenn sie Pech haben, werden sie von der Polizei dieses Landes aus der selbst gewählten Arbeit geholt und abgeschoben.
„Wir gehen davon aus, dass die Sexarbeiter_innen Agency besitzen“, erklärt eine Referentin. „Sie haben verschiedene Möglichkeiten und entscheiden sich für die, die ihnen am besten erscheint. Darum lautet die Devise: Nichts über uns ohne uns.“
Die einen lernen Tantra, die anderen wollen endlich nicht mehr als „Shemale“ beschimpft werden. Die einen stellen eine Rechnung mit 19 Prozent Umsatzsteuer, die anderen werden in bar bezahlt, weil sie kein Bankkonto besitzen. Die Workshops beim diesjährigen Hurenkongress sind vielfältig: Sie reichen von praktischen Fragen, wie man sich selbstständig macht, bis zu einem BDSM-Kurs für Anfänger_innen.
Die Stärke der Hurenbewegung liegt in ihrer Diversität, die Schwäche in Klassismus, Rassismus und Transfeindlichkeit. Wir Huren kämpfen gegen Stigmatisierung und Verbote, während der Parlamentskreis von Leni Breymaier glaubt, dass nur Polizei und Verdrängung uns befreien können. Dazu sagt eine der Tampep-Referentinnen treffend: „Die Polizei weiß nicht, wie sie Menschenhandel bekämpfen soll, aber sie weiß, wie man eine Razzia im Bordell durchführt.“ Ein jährliches Treffen wie der Hurenkongress, in dem Sexarbeiter_innen sich vernetzen, weiterbilden und Politik machen können, ist deshalb ein wichtiges Mittel, um diesen sinnlosen Verbotsversuchen entgegenzutreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland