Hungerstreik in Hannover: Flüchtlinge vor der Staatskanzlei

Unmittelbar vor dem Regierungssitz von Niedersachsens Ministerpräsidenten sind 35 Asylsuchende aus dem Sudan in den Hungerstreik getreten.

Fordern das Recht, zu bleiben: Sudanesische Flüchhtlinge vor der Hannoveraner Staatskanzlei Foto: Ole Spata/dpa

HANNOVER taz | Wenn Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil in diesen Tagen seinen Regierungssitz verlässt, hat er die Sorgen vieler Flüchtlinge direkt vor Augen: Gegenüber seiner Staatskanzlei, nur wenige Meter vom Haupteingang entfernt, protestieren seit Montag rund 50 Schutzsuchende aus dem Sudan. 35 von ihnen sind in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. „Wir werden so lange nichts essen, bis unsere Forderung nach einem dauerhaften Bleiberecht in Deutschland erfüllt ist“, sagte deren Sprecher Diefala Alrieh.

Mit einem Protest-Camp auf dem innerstädtischen Weißekreuzplatz, nur wenige 100 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, weisen die Asylsuchenden bereits seit Mai vergangenen Jahres auf ihre deprimierende Situation hin. Obwohl mit Umar al-Baschir ein mit internationalem Haftbefehl gesuchter Kriegsverbrecher ihr Heimatland Sudan regiert (siehe Kasten), habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) viele ihrer Asylanträge abgelehnt, klagten sie schon 2014.

Außerdem droht ihnen nach der sogenannten Dublin-Verordnung die Abschiebung in das Land, in dem sie die Europäische Union zuerst betreten haben – also etwa nach Griechenland oder Italien, wo Schutzsuchende keine staatliche Hilfe erwarten können. In einer Resolution forderten die Camp-Bewohner deshalb „mindestens subsidiären Schutz“ – also ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Das fordern sie immer noch. Außerdem baten sie um sofortige Arbeitserlaubnis und dezentrale Wohnunterbringung: Nichtstun in drangvoller Enge zermürbe sie.

Hilfe erhielten die Flüchtlinge nicht nur von einer stetig wachsenden Unterstützerszene, sondern auch von Parteien wie Grünen und Linken. „Als Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe hat sich aber auch die Sozialdemokratin Doris Schröder-Köpf in Berlin für die Leute aus dem Camp eingesetzt“, sagt der grüne Landtagsabgeordnete Belit Onay.

Der Haftbefehl gegen Sudans PräsidentenUmar al-Baschir ist eine Premiere: Erstmals ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag damit gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt vorgegangen.

Al-Baschir werden Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Im seit 2003 anhaltenden Bürgerkrieg in der Provinz Darfur soll er versucht haben, ganze Völker wie die Fur, die Masalit oder die Zaghawa zu vernichten.

Wegen mangelnder Kooperation des UN-Sicherheitsrats hat der Strafgerichtshof seine Ermittlungen gegen den 71-Jährigen trotzdem vorerst eingestellt. Im April 2015 ließ sich Baschir prompt als Präsident wiederwählen – mit angeblich 94 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Trotz des Widerstands mancher Anwohner und Geschäftsleute – der Weißekreuzplatz liegt am Anfang einer Einkaufsstraße, der Lister Meile – wurden Teile des Camps deshalb dauerhaft toleriert. Allerdings ist es in Hannover ein offenes Geheimnis, das die Polizei die verbliebenen vier Großzelte nur als eine Art Dauer-Demonstration duldet; übernachten dürfen dort nur wenige.

Geholfen werden konnte schon vielen: „Wir hatten sehr intensiven Kontakt zu den Flüchtlingen“, sagt der Grüne Onay. Zusammen mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen beriet die Unterstützerszene die Schutzsuchenden. Nicht wenige von ihnen konnten tatsächlich ihr Asylrecht als politisch Verfolgte durchsetzen, andere werden dauerhaft geduldet. Genaue Zahlen dazu hat aktuell allerdings niemand.

Die Gruppe hat sich im Sommer 2015 gespalten: Der damalige Sprecher Maissara Saeed bewertete die ursprüngliche Forderung nach einer Art kollektivem Asyl für alle Sudanesen als nicht durchsetzbar, kündigte ein Ende des Camps an – und erntete massiven Protest derjenigen, die erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen waren: Erst wer 18 Monate in Deutschland gelebt hat, wird nicht mehr per Dublin-Verordnung nach Südeuropa abgeschoben.

„Im Sudan werden auch heute noch jeden Tag Menschen getötet“, klagt der Flüchtling Mohamed al Dadir vor Niedersachsens Staatskanzlei – stellvertretend für viele. Die Sudanesen können nicht verstehen, warum nicht auch für sie eine Aufhebung der Dublin-Abschiebungen in Betracht kommt, wie sie das BAMF für Schutzsuchende aus Syrien im August über Twitter verkündet hat.

Ministerpräsident Weil aber will den Asylsuchenden vor seiner Tür keine Hoffnung machen – schließlich gilt der BAMF-Tweet als Auslöser der Flüchtlingswelle aus Syrien, die mittlerweile auch SPD-Chef Sigmar Gabriel über die „Grenzen unserer Möglichkeiten“ nachdenken lässt. „Wir werden das beobachten“, sagt eine Sprecherin Weils über den Hungerstreik vor ihrer Tür nur, „und uns zu gegebener Zeit verhalten.“

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