piwik no script img

Housing Action DaysErst geschützt, jetzt schutzlos

Das Programm „Soziale Stadterneuerung“ sollte Mieter schützen. Mit Auslaufen der Bindungen droht nun die Verdrängung. Am Samstag wird demonstriert.

Protest von Mie­te­r:in­nen in der Florastraße Foto: Christian Mang

Berlin taz | Öffentliche Förderung: Das klang in den wilden neunziger Jahren in Ostberlin nach staatlichem Schutz vor der privaten Spekulation mit Wohnraum. Fast 18.000 Wohnungen wurden von 1990 bis 2003 im Rahmen des Programms „Soziale Stadterneuerung“ vom Senat und der Investitionsbank Berlin-Brandenburg gefördert. Diejenigen, die in den Wohnungen lebten, mussten zunächst nicht befürchten, verdrängt zu werden. Für viele ein Glücksfall.

Nun aber droht eine nachgeholte Verdrängung großen Ausmaßes. Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, spricht deshalb von einer „dramatischen Lage“. Denn die 20 oder 30 Jahre währenden sozialen Bindungen, die mit der öffentlichen Förderung von den Eigentümern erkauft wurden, laufen seit 2017 nach und nach aus – und das Rad dreht sich immer schneller.

„Vor allem in Pankow droht eine Welle von Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen“, sagt Hamann. Wie der Mieterverein fürchtet auch das Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn neue „Verdrängungswellen“. Im Rahmen der Aktionswoche zum Housing Action Day 2023 ruft es deshalb zu einer Demo am Samstag auf. Sie soll um 13 Uhr am Thälmann-Denkmal in Prenzlauer Berg starten.

Das die Demo dort beginnt, ist kein Zufall. Der Prenzlauer Berg, aber auch der Kiez rund um die Florastraße in Pankow – ebenso wie Kieze in Friedrichshain und Lichtenberg – sind besonders stark vom Auslaufen der Sozialbindungen betroffen. Das zeigt eine interaktive Karte, veröffentlicht vom „Kieztreffen Pankow“, einem Zusammenschluss von Mie­te­r:in­nen und Hausgemeinschaften.

Welle der Entmietung

Von den berlinweit 6.390 Wohnungen, die im Rahmen der „Sozialen Stadterneuerung“ modernisiert wurden und sich derzeit noch in der Sozialbindung befinden, liegen alleine 3.600 in Pankow. Deren Mie­te­r:in­nen drohen nicht nur drastische Mieterhöhungen, sondern in vielen Fällen auch Kündigungen wegen Eigenbedarfs.

Housing Action Days

Aktionswoche Für das Recht auf Wohnen finden jährlich europaweit Aktionen zwischen dem 24. 3. und 2. 4. statt – in Berlin organisiert vom Mietenwahnsinn-Bündnis. 2019 kamen 40.000 Menschen zur Demo.

Demo und Aktionen: Am Samstag startet um 13 Uhr die zentrale Demo am Ernst-Thälmann-Denkmal in Prenzlauer Berg. Bereits am Donnerstag gibt es einen Kiezspaziergang am Neuköllner Reuterplatz (18 Uhr). Am Sonntag folgt eine Anti-Abriss-Bustour. Start: 13 Uhr, Haus der Statistik. Das ganze Programm auf: mietenwahnsinn.info/aktuelles/events/.

„Es geht jetzt um die letzten bezahlbaren Wohnungen in Prenzlauer Berg“, sagt Hanna vom Kieztreffen Pankow. Jeder Förderauslauf sei für die Be­woh­ne­r:in­nen eine Hiobsbotschaft. Sie selbst wohnt in einem Haus im Helmholzkiez, in dem die Bindung bereits 2018 auslief. Die Ankündigung der Aufteilung folgte sofort, ebenso satte Mieterhöhungen und Luxusmodernisierung bis hin zu vergoldeten Briefkästen. Heute werden im Haus 80 Prozent der Wohnungen möbliert für maximal ein Jahr und zu Preisen von bis zu 30 Euro pro Quadratmeter vermietet.

Tatsächlich hat sich der Schutz von damals heute in eine Bedrohung umgewandelt. Zu den Sozialbindungen gehörte nicht nur eine weitgehende Reduzierung der Modernisierungsumlage, um Luxusmodernisierungen zu verhindern. Auch ein Verbot von Eigenbedarfskündigungen war festgeschrieben sowie ein Belegungsrecht der Bezirksämter bei frei werdenden Wohnungen, etwa um Sanierungsbetroffene oder WBS-Inhaber:innen mit Wohnraum zu versorgen.

Gefahr Eigenbedarfskündigungen

Was die Bindung freilich nicht untersagte, war die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das bestätigt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in der Antwort auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schenker. „Innerhalb der Förderungsverträge (…) wurde die Umwandlung in Wohnungseigentum zugelassen.“

Schnelle Kündigungen drohen nun jenen Mieter:innen, deren Wohnung in der Zwischenzeit weiterverkauft wurde. Denn nach einem Weiterverkauf beginnt die Zehnjahresfrist, in der eine Eigenbedarfskündigung ausgeschlossen ist. Liegt der Weiterverkauf schon zehn Jahre zurück, gilt nur noch die normale Kündigungsfrist, heißt es beim Mieterverein. Selbst bei langjährigen Mietverhältnissen liegt diese bei maximal neun Monaten. Laut Kieztreffen Pankow sind 50 Prozent der Häuser, die nun aus der Bindung fliegen, bereits aufgeteilt, so sagen es Rechtsanwälte, die mit ihnen zusammenarbeiten.

Das Kieztreffen versucht seit 2021 betroffene Mie­te­r:in­nen und Häuser zu vernetzen. Dass die Politik keine Konzepte habe, ihnen zu helfen, sei ein „Drama“, sagt Hanna. Mit dem Kippen des Vorkaufsrechts und des Mietendeckels seien die letzten Werkzeuge, die man hatte, außer Kraft gesetzt worden. Dennoch könne die Politik aktiv werden: Das zeige das derzeitige Bemühen um 500 Wohnungen an der Weberwiese, die von einem privaten Eigentümer nun einzeln veräußert werden sollen.

Die „akute Verdrängungsgefahr trifft Mie­te­r:in­nen in der ganzen Stadt“, sagt Hanna. Für die Demo hofft sie auf 1.000 Teilnehmer:innen. Vier Jahre ist es her, als 40.000 Menschen an einer Demo vom Mietenwahnsinn-Bündnis teilnahmen. Warum das Mobilisierungspotential inzwischen geringer ist? Neben den Einschlägen durch Corona sei es vor allem die Wegnahme der politischen Werkzeuge, so Hanna.

Die nachholende Verdrängung wird in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen. Dann fallen in allen Ostbezirken 1.914 einst sanierungsgeförderte Wohnungen aus der Bindung, heißt es in der Antwort des Senats auf die Anfrage von Niklas Schenker. Auch der Verlust der klassischen Sozialwohnungen wird sich fortsetzen. Von noch existierenden 89.000 Wohnungen werden in diesem Jahr 5.343 wegfallen. Ein Verlust, der durch Neubau nicht kompensiert wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare