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Hospize und Corona„Wir wollen uns nicht abschotten“

Im Ricam-Hospiz stellt sich die Frage: Wie geht Sterbebegleitung in Coronazeiten? Von der Politik fühlt sich Hospizleiterin Toska Holtz übersehen.

Außenansicht des Ricam Hospizes in Berlin-Neukölln Foto: imago
Manuela Heim
Interview von Manuela Heim

taz: Frau Holtz, der Berliner Senat hat strenge Besuchsregelungen für Pflegeheime und Krankenhäuser verordnet. War denn von Anfang an klar, dass das für Hospize nicht gilt?

Toska Holtz: Nein, war es nicht. Zunächst galt die Richtlinie des Senats tatsächlich für alle Pflegeeinrichtungen.

Das hätte bedeutet: maximal eine Stunde Besuch von einer Person pro Tag.

Genau. Dann haben aber die Berliner Hospize gesagt: Leute, das geht so strikt für uns nicht. Wir können und wollen uns nicht abschotten. Zu uns kommen Menschen, die ihren letzten Weg antreten, ihre letzten Tage und Wochen erleben. Wie könnten wir denen sagen, es darf jetzt niemand mehr zu euch?! Das wäre mit unserem Ethos nicht zu vereinbaren. Hospize sind entstanden, um Abschiede menschlich zu gestalten. Und das behalten wir bei.

Das heißt, es gelten keinerlei Beschränkungen für Sie, alles läuft wie vorher?

Nein. Jedes Hospiz versucht, seinen Weg zu finden auf dem schmalen Grat zwischen dem, was Menschen in diesem Lebensabschnitt brauchen, und dem nötigen Infektionsschutz. Bei uns heißt das: Wenn möglich, sollen Besucher nur zu zweit kommen und alle Hygienevorschriften streng beachten. Seit über einer Woche tragen unsere Mitarbeiter und Besucher auch selbst genähte Masken. Damit haben wir lange gehadert.

Weil?

Stellen Sie sich einen Patienten vor, der nur noch eingeschränkt Dinge wahrnimmt. Wir wollten unsere Patienten nicht zusätzlich verunsichern und ängstigen.

Ein Stückchen Stoff statt eines Lächelns …

Das war eine schwere Entscheidung. Aber das sind die Dinge, die wir jetzt abwägen müssen, und es klappt auch gut. Allerdings sind uns die ersten 50 Masken geklaut worden. Es ist uns ein Rätsel, von wem, ich will darüber auch nicht mutmaßen. Zum Glück hat uns jetzt eine Berliner Brauerei Masken und Desinfektionsmittel angeboten. Im Gegensatz zu anderen Gesundheitseinrichtungen haben wir Schutzbekleidung nicht auf Lager – dafür wird uns bislang kein Geld zur Verfügung gestellt.

Fühlen Sie sich vergessen?

Im Interview: Toska Holtz

54, arbeitet seit neun Jahren für die Ricam Hospizdienste und ist seit zwei Jahren deren Geschäftsführerin.

Das ist etwas, was mich, und ich glaube, auch viele andere aus der Hospizarbeit, wirklich stört. Wenn so wie jetzt über zusätz­liche Gelder für Pflegekräfte entschieden wird.

Sie meinen die 150 Euro Coronabonus, die Mitarbeiter der landeseigenen Krankenhausbetriebe erhalten sollen?

Genau. Da fallen Hospize wieder raus. Warum? Weil unsere Patienten eh sterben? Unsere Finanzierung ist so knapp, ich könnte nicht mal an Prämien denken. Und ich befürchte jetzt noch Schlimmeres.

Inwiefern?

Im Hospiz

Das Hospiz 14 stationäre Hospize gibt es in Berlin. Das Ricam Hospiz in Neukölln war 1998 das allererste, gegründet von zwei Krankenschwestern, die wollten, dass Menschen anders und besser sterben, als sie es damals in Krankenhäusern erlebten. Im Februar hat die gemeinnützige Organisation ein zweites Haus in Rudow eröffnet.

Die Patienten In den insgesamt 25 stationären Betten der Ricam Hospize können jährlich rund 270 Menschen betreut werden. Die Nachfrage übersteige das Angebot aber um Längen, sagt Geschäftsführerin Toska Holtz. „Wir haben im Schnitt 1.400 Menschen, die sich jedes Jahr für einen Platz anmelden.“ Es kommen Erwachsene zwischen 20 bis weit über 80 Jahre, alle Berufsgruppen, alle Gesellschaftsschichten, Alleinlebende, aber auch Mütter und Väter kleiner Kinder, unheilbar an Krebs oder Muskelerkrankungen wie ALS oder MS erkrankt. Im Durchschnitt bleiben sie 27 bis 35 Tage im Hospiz. Manchmal aber auch nur einen einzigen. (mah)

95 Prozent der täglichen Bedarfssätze für die stationären Patienten bekommen wir von den Krankenkassen, 5 Prozent müssen wir über Spenden einwerben – nicht für zusätzliche Aktivitäten, sondern für unsere tägliche Arbeit. Das sind allein für unser eines Haus rund 100.000 Euro im Jahr. Gerade habe ich eine E-Mail an unsere Förderer rausgeschickt, dass wir auch in Coronazeiten auf ihre Unterstützung angewiesen sind. Jede dritte E-Mail ist mit einer Abwesenheitsnotiz zurückgekommen, weil die Geschäfte geschlossen sind. Viele unserer Spender haben nun selbst keine Einnahmen mehr. Das wird auch für uns nicht einfach werden.

Was verlangt Ihnen Corona noch ab?

Massive und sehr schmerzliche Einschnitte haben wir – wie alle Hospizdienste – im ambulanten Bereich. Also wo Menschen sich entschieden haben, sich zu Hause begleiten zu lassen. Normalerweise kommt da ein- bis zweimal pro Woche ein Ehrenamtlicher und verbringt Zeit mit diesen Menschen, liest vor, geht spazieren, hilft bei Besorgungen, begleitet Angehörige in ihrem Trauerprozess. Das geht nun nicht mehr. Auch im stationären Bereich haben wir aus Schutzgründen die Arbeit der Ehrenamtlichen eingestellt.

Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich denn normalerweise bei Ihnen?

Wir haben um die 65 fest angestellte und über 100 speziell geschulte ehrenamtliche Mitarbeiter. Die Hingabe und Liebe, mit denen sich die Ehrenamtlichen in ihrer Freizeit engagieren, das flasht mich immer wieder. Diese Ehrenamtlichen stehen bereit, um Menschen im Sterben zu begleiten, und können es nicht, obwohl diese Menschen doch weiterhin sterben. Das ist für alle Beteiligten sehr traurig.

Es bedeutet auch, dass Ihre Festangestellten sich nicht zuhauf mit Corona infizieren dürfen, oder?

Wir hatten noch keinen Coronafall. Drei Kollegen wurden getestet, glücklicherweise alle negativ. Der Krankenstand ist eh schon hoch, wie überall in der Pflege. Wenn mir jetzt noch viele Mitarbeiter wegfallen würden, dann könnten wir Betten nicht neu belegen.

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