Horror im Stadtpark in Hamburg-Harburg: „Lovecraft hatte unerklärliche Angst“

Das Zwei-Leute-Privattheater „Antikyno“ performt Open-Air die Horror-Komödie „Dagon“ und macht einen Spaziergang durch Harburg.

Ein Mann mit Hut und Anzug vor einem Haus

H.P. Lovecraft in Brooklyn 1922. Ein Jahr später wurde die Erzählung „Dagon“ zum ersten Mal gedruckt Foto: Wikimedia Commons/gemeinfrei

taz: Lars Henriks, wie modern ist Horror­autor H. P. Lovecraft (1890–1937)?

Lars Henriks: Da kommt es ein bisschen darauf an, wie wir Moderne definieren, das hat viel zu tun mit der Aufklärung: mit der Ablösung traditioneller, religiöser Werte durch eher wissenschaftliche. Das Weltbild, das Lovecraft aufbaut, dieser ganze „Kosmizismus“, englisch „cosmicism“, die Idee von der Bedeutungslosigkeit des Menschen im Universum: Das ist ja eine fast perfekte Metapher für das ideologische Vakuum, das auch Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ beschreiben. Also für dieses Gefühl: Nicht nur unser Wertesystem, sondern auch, wie wir uns den Kosmos und das Leben und den Sinn des Lebens erklärt haben – das fällt jetzt alles weg. Was machen wir damit? Das ist eine der Grundfragen Lovecrafts. Und er kommt mit super unangenehmen Antworten um die Ecke. Ich meine ja, er war seiner Zeit weit voraus: Da stecken Ideen in seinen Texten, Sachen, die teilweise jetzt erst so richtig relevant werden.

Woran denken Sie da genau?

Das ist jetzt nichts, das jetzt gerade erst relevant wird, aber es ist mir neulich aufgefallen: Wir machen dieser Tage ja auch einen ­Lovecraft-Spaziergang, bei dem wir Texte als Monologe vortragen. Da gibt es einen, der heißt „Nyarlathotep“. Lovecraft hatte ja vor vielen ­Sachen unerklärliche Angst, unter anderem auch vor Nikola Tesla.

Dem Konkurrenten Thomas Edisons.

Jahrgang 1991, Regisseur und Autor, betreibt gemeinsam mit Schauspielerin und Produzentin Nisan Arikan seit April das „Antikyno“ in Hamburg-Harburg.

Und das hat ihn eben inspiriert zu diesem Text: Darin geht es um eine göttliche Figur, die in Menschengestalt erscheint, als Anführer, und für Chaos sorgt. Die ihm willens folgenden Menschen führt er in die Finsternis. Da steht am Ende ein Satz: „… durch dieses widerwärtige Grab des Universums dröhnen das gedämpfte, in den Wahnsinn treibende Schlagen von Trommeln und das dünne, monotone Wimmern blasphemischer Flöten aus unfassbaren, unerleuchteten Kammern jenseits der Zeit“, dazu „tanzen langsam, unbeholfen und grotesk die gigantischen, düsteren, allerletzten Götter“, und ich denke immer: Wäre er nicht 1920 veröffentlicht worden, dann wäre das ein Text über Auschwitz.

Angesichts dessen, was er über andere „Rassen“ und Fremde so gesagt und geschrieben hat: Möchte man wirklich wissen, was ­Lovecraft zu Auschwitz eingefallen wäre?

Heute ist Lovecraft – paradoxerweise, nimmt man seine Ansichten – gerade bei Progressiven, auch bei LGBT-Leuten wahnsinnig beliebt. Ja, er war ziemlich schlimm, sogar für seine Zeit – aber nicht unbedingt schlimmer als Bram Stoker. Der hat ein widerwärtiges Buch geschrieben, „The Lair of the White Worm“. Aber bei Love­craft fällt uns das Abzulehnende mehr auf. Er hatte wohl sein Leben lang das Gefühl, in jeder Hinsicht ein Außenseiter zu sein, und ist, glaube ich, aus seinem Kopf nicht richtig rausgekommen. Und das ist, was so viele Leute heute anspricht. Und das sind eben so Sachen, die ich in immer wieder in diesen Texten finde.

Es gab und gibt Versuche, Lovecraft zu adaptieren, zu verfilmen – mit sehr unterschiedlich gelungenen Ergebnissen. Bieten seine Texte sich an für die Bühne?

Theater: „Dagon“,Stadtpark Hamburg-Harburg, Freilichtbühne, 25.–28. 7., 18 Uhr

Spaziergang: „Das Grauen von Harburg“, Treffpunkt Marmstorfer Weg (Nord), 29. 7., 18 Uhr, sowie 30. 7., 16 und 18 Uhr, Infos: www.antikyno.com

Aus meiner Sicht tun sie das. Was Lovecraft liefert, sind fantastische Ideen, Welten. Was er nicht liefert: Charaktere und Plot. Ich wiederum erfinde gerne Charaktere und strukturiere auch ganz gern Plot. Wir sind da aber super textfern. Ich meine „Dagon“, da ist die Vorlage eine Seite lang, und ich habe da sogar noch Elemente rausgenommen. Was ich drin gelassen habe, ist die Idee von einer Insel, die plötzlich irgendwo im Pazifik auftaucht, uralt ist und die Spuren einer längst vergangenen Zivilisation trägt. Das ist doch sehr inspirierend – mir kann niemand erzählen, dass Damon Lindelof und J. J. Abrams sich darauf nicht bezogen haben, als sie die Serie „Lost“ konzipiert haben.

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