Lovecraft theatral in Hamburg-Harburg: Vom Kopf auf die Tentakel gestellt
Schatten über Hamburg-Harburg: Einer der bekanntesten Texte des Grusel-Autors H.P. Lovecraft kommt auf eine Kleinstbühne – mit viel Mut zum Albernen.
Albern. Der Kapitän schnackt breitestes Norddeutsch, zur Handvoll Requisiten gehören ein aufblasbarer Abendanzug und ein vermeintlich den Schädel spaltendes Hackebeil, Partyzubehör also. Und dann auch noch musikalische Einlagen? Textblätter liegen aus, Mitsingen ist ausdrücklich erwünscht, wenn nicht gar sanft gruppendruckerzeugte Pflicht.
Dabei ist es kein munterer Stoff, den das Zwei-Leute-Privattheater/Kino „Antikyno“ im Hamburger Süden hier inszeniert, noch dazu als „Weltpremiere“, so schreiben die Betreiber:innen Nisan Arikan und Lars Henriks. Nein, es ist „Schatten über Innsmouth“, einer der bekanntesten Texte von H. P. Lovecraft; eines notorisch vor Fremdem sich ekelnden Fließband-Autors, des Erfinders des „kosmischen Horros“ voller tentakelbewehrter Geschöpfe; stilistisch angreifbar (die ganzen Adjektive!) und viel zu selten bezeichnet als Säulenheiliger von Incelbewegung und toxischem Fantum.
Als „Autor, dessen Aktualität uns noch einholen wird“, hat der Bremer Regisseur Levin Handschuh Lovecraft einmal bezeichnet, im Zusammenhang mit seiner eigenen, musiktheatralen beabeitung von „In the Mouth of Fire“: Lovecrafts kosmischer Horror sei „Zusammenspiel von Heimlichem und Unheimlichem“, reagiere auf zeitgenössische Flucht- und Migrationsbewegungen ebenso wie die Infragestellung tradierten Wissens durch so etwas vie Einsteins Relativitätstheorie.
Von „einem der einflussreichsten Autoren der Moderne“ sprechen auch Arikan und Henriks, die hier von Kasse und Getränken über alle Rollen und bis zum Licht alles machen, ihrem „Lovecraft-Sommer“ voraus. Im Juli kommt noch „Dagon“ auf die Bühne, und es gibt einen gruseligen Spaziergang im Harburger Stadtpark.
Weitere Vorstellungen: 2., 6., 7., 8. + 9. 7., Antikyno, Hamburg, Neue Straße 35
Erst mal aber „Innsmouth“, 1931 fertiggestellt und 1936 zum ersten Mal veröffentlicht; nun entschlackt um allerlei Rahmung und Rassismus (und, ja: viele Adjektive auch) – zugunsten einer neuen: Wo Lovecraft im Prinzip sich selbst als Ich-Erzähler in den heruntergekommenen Küstenort schickt, ist die doppelbödige Identifikationsfigur nun eine prekär beschäftigte junge Frau, die mit dem so fremden Ort viel mehr verbindet, als es den Anschein hat; aus der Anreise per klapprigem Bus wird eine per Fähre, und irgendwann singen wir die Pixies: „Where is my mind? Way out, in the water, see it swimming“ …
Für die mitunter zutiefst ernsten Fans des Gruselmeisters könnte dieser gut gelaunte Abend die blanke Ketzerei sein. Aber Mut zur Albernheit ist vielleicht der richtige, wenn nicht gar der einzige Weg, um umzugehen mit diesem Material.