Hoffnung für Berliner Alternativprojekte: Vorfahrt für Freiräume
In Berlin organisieren viele bedrohte Alternativprojekte clever ihre dauerhafte Rettung. Stiftungen und Genossenschaften spielen eine entscheidende Rolle.
Anja Gerlich ist immer noch baff. „So richtig haben wir das noch nicht realisiert“, sagt die 36-Jährige mit den kurzen feuerroten Haaren. Seit zwölf Jahren arbeitet Gerlich ehrenamtlich im Schokoladen, einem Besetzerrelikt in Berlin-Mitte. Hier bereiten Kleinmusiker seit mehr als zwei Jahrzehnten ihre Karrieren vor, es gibt ein Theater und im „Club der polnischen Versager“ werden Wodka und Poesie verquirlt. Doch im Februar sollte der Schokoladen geräumt werden, dieser kleine unkommerzielle Freiraum inmitten von schicken Macchiato-Cafés und Galerien. Der Eigentümer wollte das Haus profitabler verwerten.
Die letzten zwei Jahre hat Anja Gerlich an der Rettung des Projektes gebastelt – mit Erfolg. Der Schokoladen verbündete sich mit der Schweizer Edith-Maryon-Stiftung und dem von SPD und CDU gestellten Senat: Berlin verkaufte dem räumungswilligen Eigentümer ein landeseigenes Ersatzgrundstück, die Stiftung kaufte das Kulturhaus – und überlässt es nun per Erbpachtvertrag gleich für mehrere Jahrzehnte den Künstlern. Der Schokoladen ist gerettet.
Dies war nur der jüngste Streich. Denn in Berlin ist es in den letzten Jahren gleich einer Reihe gefährdeter Alternativprojekte gelungen, ihre Existenz dauerhaft zu sichern. Die Hauptstadt zeigt damit beispielhaft, wie man zumindest einige Häuser und Grundstücke dem Verwertungsdruck entziehen kann. Es sind dabei immer wieder die gleichen Instrumente, auf die die Projektbetreiber zurückgreifen.
Der Kauf über eine Stiftung war für Anja Gerlich „die beste Lösung, weil so das Haus langfristig der Spekulationsspirale entzogen wird“. Die Käuferin, die Maryon-Stiftung, nennt Orte wie den Schokoladen „soziale und ökologische Keimzellen“: Immobilien als Gut, das möglichst Vielen zu dienen habe statt nur wenigen Profiteuren.
Diesen und andere spannende Texte lesen sie in der aktuellen sonntaz vom 14. und 15. April, die sich anlässlich des taz-labs voll und ganz um „Das gute Leben“ kümmert. Wir fragen, was genau das eigentlich ist, was es in einer Bank bedeuten kann und was gutes Leben mit Zuckerschlecken und italienischen Zahnkronen zu tun hat. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Neun weitere Kultur- und Hausprojekte haben sich in Berlin inzwischen über die Maryon-Stiftung eine Zukunft verschafft. Ebenso viele sind es bei der ähnlich arbeitenden Trias-Stiftung aus dem Ruhrgebiet. Das Mietshäuser-Syndikat, über das Mieter ihre Häuser selber kaufen, hat zehn Projekte unter seiner Obhut. Wieder andere versuchen es über Genossenschaften.
Häuser für Höchstbietende
Als im Februar 2011 die letzte große Räumung in der Stadt durchgesetzt wurde, als 3.800 Polizisten das linke Hausprojekt Liebig 14 im Bezirk Friedrichshain beendeten, da erinnerte man sich an das Jahr 2003, in dem das Nachbarhaus zum Verkauf stand. Die Bewohner verhinderten damals ihre Vertreibung, indem sie sich selbst einen Käufer suchten: die Berliner Alternativ-Genossenschaft „Bremer Höhe“.
Daniela Brahm vom Bündnis „Stadt Neudenken“ und ein Vertreter des Schokoladens diskutieren beim tazlab auf der Veranstaltung „Stadt machen – zwischen künstlerischen Interventionen, ökonomischer Verwertung und Politikbetrieb“
Die übergab das Haus wieder an die Bewohner zur Selbstverwaltung, mit auf sieben Jahren festgesetzten Minimalmieten. Die Idee färbte ab: Heute gehört auch eine Wagenburg gleich um Ecke zur „Bremer Höhe“. Berlinweit sind es 600 Wohnungen – und ein ganzes Dorf samt 150 Einwohnern: Hobrechtsfelde, am nordöstlichen Stadtrand.
Nun drängen die neuen Kollektiv-Hauptstädter auch das Land Berlin zu einem Politikwandel. In der Vergangenheit verfuhr die Stadt meist nach einer schlichten Maxime, sobald es landeseigene Grundstücke veräußerte: Der Höchstbietende bekam den Zuschlag. Nur in wenigen Fällen ging es anders. In den Achtziger Jahren gelang es etwa den Besetzern des Tommy-Weisbecker-Hauses im Bezirk Kreuzberg, von der Stadt einen langjährigen Erbpachtvertrag zu erhalten. Und das Künstlerhaus Schwarzenberg am durchgeschniegelten Hackeschen Markt im Bezirk Mitte befindet sich im Besitz einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft.
Für eine neue Liegenschaftspolitik
Im vergangenen Sommer formierte sich das Bündnis „Stadt Neudenken“ aus Architekten, Künstlern und Wissenschaftlern: Statt den gleichen Kampf bei jedem Projekt immer wieder neu zu führen, brauche es eine „neue Liegenschafts- und Bodenpolitik“. Diese müsse „einen substantiellen Beitrag zum Erhalt und der Weiterentwicklung der kulturellen Vielfalt in der ganzen Stadt leisten“, heißt es in dem Aufruf, der inzwischen mehr als 500 Unterstützer gefunden hat.
Daniela Brahm ist einer der Unterzeichnerinnen. Die 45-jährige Künstlerin gehörte 2007 zu den ersten in Berlin, die auf eine Stiftung setzten: Gemeinsam mit Mitstreitern rettete sie das einstige Druckmaschinenwerk Rotaprint im Nordberliner Bezirk Wedding als Kunststätte über die Maryon-Stiftung. Brahm fordert den Wandel des Eigentumsbegriffs – „weg vom Profit des Einzelnen, hin zu soziokulturellem Mehrwert“.
Für dieses Ziel wollen die Stadtaktivisten, dass das Land Berlin selbst Erbpachtverträge anbietet. „Dann bräuchten wir die Stiftungen gar nicht“, sagt Brahm. Dem Land brächte das einen doppelten Gewinn: Alternativprojekte erhielten Unterschlupf und der Senat könnte mitbestimmen, was auf seinen Geländen passiert. Er gäbe den Besitz ja nicht aus der Hand, sondern verpachtet ihn nur.
Neue Töne vom neuen Berliner Senat
Im Berliner Senat bahnt sich tatsächlich ein Umdenken an. Seit elf Jahren regiert Klaus Wowereit die Stadt – nach der letzten Landtagswahl im September 2011 musste der SPD-Politiker sich jedoch von seinem langjährigen Koalitionspartner, der Linkspartei, trennen. Jetzt regiert Wowereit mit der CDU, und im neuen Senat hört man plötzlich Töne wie die von Baustaatssekretär Ephraim Gothe (SPD). Er mag die Erbpachtidee, räumt der 47-Jährige mit dem fast jugendlichen Habitus unumwunden ein. Wegen der Gestaltungshoheit für die Stadt. Und wegen der steten Pachteinnahmen.
Gothe kennt allerdings auch die Nachteile der Erbpacht. Was, wenn ein Projekt auseinanderbricht, wenn es pleitegeht? Was, wenn es das ihm anvertraute Gelände „unbrauchbar“, wie Gothe sagt, zurückgibt?
Dennoch: Bereits im Mai, kündigt Gothe an, werde der Senat sein neues Liegenschaftskonzept vorstellen, Erbpacht inklusive. Ein neue, zivilgesellschaftliche Stadtpolitik, durchgesetzt von einer als beinhart verschrienen rot-schwarzen Koalition – eine interessante Wendung nach zehn Jahren rot-roter Regierung in Berlin.
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