Höhere Leitzinsen in der Eurozone: Die begrenzte Macht der EZB
Zu wenig, zu zögerlich: Die angekündigte Zinswende der EZB steht in der Kritik. Dabei werden die Möglichkeiten der Währungshüter überschätzt.
E s ist eine Zeitenwende in der Geldpolitik: Zum ersten Mal seit elf Jahren wird die EZB im Juli ihre Zinssätze erhöhen, um 0,25 Prozentpunkte, weitere Erhöhungen im September sollen kommen. Außerdem wird sie die gigantisch hohen Ankäufe von Anleihen zum 1. Juli einstellen. Dadurch soll die Inflation, die im Mai im Euroraum die 8-Prozent-Marke knackte, 2024 wieder die angestrebten 2 Prozent pro Jahr erreichen.
Höhere Zinsen bedeuten lukrativeres Sparen und teurere Kredite. Menschen konsumieren also weniger und Unternehmen fahren ihre Investitionen zurück. Die Zinswende birgt also ein Risiko, denn sie könnte jetzt, mitten im Ukraine-Krieg und der Corona-Erholung, die Konjunktur abwürgen. Zu einem gewissen Grad soll genau das jedoch auch passieren. Denn die Krisen bleiben akut – oder fangen gerade erst an.
Seit die russische Armee im Februar in die Ukraine einmarschiert ist, reduziert der Westen die Öl- und Gasimporte aus Russland. Weniger Ware, höhere Preise: Die Kosten für Energie in der Eurozone sind zuletzt um fast 40 Prozent angezogen. Der Krieg verhindert außerdem Weizenexporte aus der Ukraine, eine beispiellose Hitzewelle in Südasien hat auch große Teile der dortigen Getreideernte vernichtet. Hier derselbe Mechanismus – und gut 9 Prozent höhere Lebensmittelpreise in der Eurozone im Mai. Und auch die Corona-Pandemie ist nicht vorbei: Die Lockdowns, die China zuletzt lahmlegten, stören weiterhin die globalen Lieferketten.
Die derzeit steigenden Preise bilden den Arbeitsaufwand ab, der betrieben werden muss, um ein Gut zu produzieren. Werden Rohstoffe knapp, wird dieser Aufwand größer. Wir können mit unserer Technologie und Arbeitskraft weniger herstellen und weniger konsumieren – genau das indiziert die Verteuerung.
Gleiche Preise bei sinkender Produktion
Wenn wir unser Öl nicht mehr auf dem billigsten Weg kaufen, wenn Ernten ausfallen und Millionen von Menschen monatelang nicht wie gewohnt arbeiten, mindert das die Produktivität und damit den Wohlstand. Ebenso die Entscheidung, die Klimakrise anzuerkennen: Ein steigender CO2-Preis signalisiert nichts anderes, als dass nicht mehr im gewohnten Ausmaß konsumiert werden kann, soll der Planeten langfristig bewohnbar bleiben.
Wenn nun aber trotz der sinkenden Verfügbarkeit alle Güter genauso stark nachgefragt werden wie zuvor, steigen die Preise. Das ist die Inflation, die wir derzeit erleben. Höhere Zinsen können in diesem Fall die Nachfrage zügeln, die den Wohlstandsverlust bislang nicht berücksichtigt – und dadurch auf dem bisherigen Preisniveau mit der verringerten Produktion in Einklang bringen. Eine befürchtete Abschwächung der Konjunktur würde, so sehr sie schmerzt, letztendlich nur die neue Lage anerkennen.
Nun wird der EZB vorgeworfen, sie handele viel zu wenig und viel zu spät. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die Mittel der Geldpolitik sind letztlich begrenzt, die EZB ist inmitten der Megakrisen Krieg, Pandemie und Lieferketten zum Moderieren verdammt: Die Knappheiten kann die Zentralbank nicht beeinflussen, den Krieg und die Pandemie nicht beenden und fossile Brennstoffe auch nicht weniger klimaschädlich machen. Die Währungshüter können lediglich Anreize schaffen, weniger zu verbrauchen.
Warum dann nicht einfach Zinsen Zinsen sein lassen und mit den Verteuerungen leben? Weil ein einigermaßen stabiles Preisniveau extrem wichtig ist: Erwarten Unternehmen und Konsument*innen erst einmal eine hohe Inflation, erfüllt diese Prophezeiung sich selbst: Um in Zukunft noch die eigenen Kosten decken zu können, heben sie die Preise an und fordern höhere Löhne. Eine fatale, sich selbst verstärkende Spirale kommt in Gang, der entgegengesteuert werden muss – je früher, desto besser.
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