Hochhäuser und Brandgefahr: Wuppertal teilweise unbewohnbar
Nach der Brandkatastrophe im Grenfell Tower wird deutlich: Auch in Deutschland können Hochhäuser zur Todesfalle werden.
Die Wuppertaler Stadtverwaltung hatte das elfstöckige Gebäude im sozialen Brennpunkt Hilgershöhe am späten Dienstagnachmittag für unbewohnbar erklärt. Nach dem Brandinferno im Londoner Grenfell Tower sei eine „Neubewertung der Gefahrenlage notwendig“ geworden, erklärte Baudezernent Frank Meyer während der Räumungsaktion: Für die MieterInnen bestehe „unmittelbare Gefahr für Leib und Leben“.
Grund dafür ist die Fassade des 1959/60 errichteten, knapp 30 Meter hohen Gebäudes: Deren Kunststoff-Abdeckplatten sind auf eine Holzkonstruktion montiert – und dahinter steckt als Dämmmaterial leicht entflammbare Holzwolle. Bekannt gewesen sei das bereits seit 2010, so Désirée Ackermann, Mitarbeiterin der Pressestelle der Wuppertaler Stadtverwaltung, zur taz. Zur Räumung aber entschloss sich Baudezernent Meyer aber erst unter dem Eindruck der Londoner Katastrophe: Ihm sei „bewusst“, wie „einschneidend“ der überhastete Auszug für die MieterInnen sei, sagte Meyer – aus den Wohnungen durfte zunächst nur ein Koffer mit Habseligkeiten mitgenommen werden.
In den fünfziger und sechziger Jahren sei der Einbau von Holzwolle „Standard“ gewesen, sagte Ackermann zur Erklärung. Allein in Wuppertal gebe es eine ganze Reihe mit Holzwolle gedämmter Hochhäuser – allerdings müssten die nicht alle geräumt werden: Auf der Hilgershöhe sorgten enge Fluchtwege, die nur über einen Außenbalkon führten, für zusätzliche Gefahr:
Seit Jahren habe die Stadtverwaltung deshalb per Zwangsgeld versucht, die schnell wechselnden Hauseigentümer zu besserem Brandschutz zu bewegen – bisher vergeblich. „Vom aktuellen Besitzer haben wir nicht einmal eine Telefonnummer oder eine Mailadresse – nur die Postanschrift“, klagte Ackermann. Immerhin: Am Mittwochnachmittag erklärte sich der Eigentümer, eine Immobiliengesellschaft aus Berlin, zu Nachbesserungen bereit. Doch das kann dauern.
Baudezernent Meyer
Völlig unklar bleibt, wie viele Gebäude bundesweit ähnliche potenzielle Todesfallen sind wie das Hochhaus auf der Hilgershöhe. Eine Sprecherin von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach zunächst von einem „Einzelfall“, zog das aber später zurück. Denn eine bundesweite Datensammlung zu Gebäuden mit brennbaren Fassaden gebe es derzeit gar nicht. „Welche und wie viele Häuser ein ähnliches Gefährdungspotenzial“ wie in Wuppertal haben, solle nun in Zusammenarbeit mit den Bundesländern erhoben werden.
Allerdings: Auch die dürften kaum verlässliche Zahlen parat haben. Für Nordrhein-Westfalen blieb eine entsprechende Anfrage der taz bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. „Zuständig für die Überwachung von Hochhäusern sind die unteren Bauaufsichtsbehörden auf der kommunalen Ebene“, hieß es aus Niedersachsen: Das Bauministerium in Hannover habe keine Kenntnisse über den Stand des Brandschutzes bei Hochhäusern. Der Sprecher des Bremer Bauressorts, Jens Tittmann, regte deshalb die Gründung einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe an.
Aktiv werden dagegen einzelne Kommunen: In NRW kündigten Münster, Bielefeld und Recklinghausen Überprüfungen der Sicherheit des Hochhausbestands an. Auch in Köln laufen Beratungen. „Eine Überprüfung sämtlicher Berliner Häuserfassaden ist nicht geplant“, erklärte dagegen die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung der Bundeshauptstadt – und verwies bei „begründetem Verdacht“ auf die Bezirke.
Der Vermieterverband „Haus und Grund“ in NRW warnte unterdessen, gefährdet seien nicht nur Hochhäuser mit mehr als 23 Meter Höhe: Auch in kleineren Gebäuden sei auf Druck der Politik brennbares Dämmmaterial verbaut worden, so Geschäftsführer Erik Uwe Amaya. Sollten nun brandsichere Fassaden her, müsste es Subventionen der öffentlichen Hand geben – sonst werde es nicht nur für Hausbesitzer, sondern gerade für MieterInnen teuer.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße