piwik no script img

Historische WendeAbdullah Öcalan verkündet Auflösung der PKK

Vertreter der kurdischen Partei DEM haben eine Erklärung des inhaftierten PKK-Anführers verlesen: Öcalan ruft zum Ende des bewaffneten Kampfes auf.

Historischer Moment: Jugendliche feiern die Veröffentlichung eine Erklärung von Öcalan durch die Partei für Gleichheit und Demokratie (DEM) Foto: Metin Yoksu/dpa

Nach 40 Jahren Krieg hat Abdullah Öcalan, Gründer und historischer Anführer der kurdischen PKK (Arbeiterpartei) seine Partei dazu aufgerufen, den bewaffneten Konflikt zu beenden. Auf einer völlig überfüllten Pressekonferenz in Istanbul, unter einem großen Bild von Abdullah Öcalan, verlasen Vertreter der kurdischen Partei DEM, die am Morgen Öcalan auf seiner Gefängnisinsel İmralı besucht hatten, den schon vorab als „historisch“ titulierten Aufruf des PKK-Führers. Öcalan ruft darin unmissverständlich dazu auf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen. Die Partei solle einen Kongress einberufen, um darüber zu beraten, wie man die Arbeit für das kurdische Volk unbewaffnet fortsetzen könne.

Bis Redaktionsschluss war nicht bekannt, ob die türkische Regierung Öcalan eine Gegenleistung versprochen hat. Sogar über seine Entlassung war spekuliert worden. Allerdings ist fraglich, ob der 75-Jährige die Insel verlassen will, weil er nur dort sicher ist. Völlig unklar ist auch, ob andere führende kurdische Politiker wie Selahattin Demirtaş oder Figen Yüksekdağ eine Chance haben, aus dem Gefängnis entlassen zu werden.

Für die türkische Regierung ist nun entscheidend, wie die PKK-Führung im Nord­irak auf Öcalans Aufruf reagieren wird. Allerdings gab es im Vorfeld Kontakte und Absprachen, sodass man davon ausgehen kann, dass sie Öcalans Vorgaben nachkommen werden.

Eingeleitet hatte den sogenannten Friedensprozess ausgerechnet der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, der im Oktober letzten Jahres Abdullah Öcalan aufforderte, ins türkische Parlament zu kommen und dort die Auflösung der PKK zu verkünden. Nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Unterstützung Bahçelis öffentlich verkündet hatte, erhielten anschließend Vertreter der legalen kurdischen Partei DEM, die als drittgrößte Fraktion im türkischen Parlament sitzt, erstmals nach mehr als zehn Jahren wieder die Erlaubnis, Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı zu besuchen. Öcalan sitzt seit seiner Festnahme 1999 weitgehend isoliert auf der Insel und durfte jahrelang von niemandem besucht werden.

Nach diesem ersten Treffen, zu dem Pervin Buldan und Sırrı Süreyya Önder zu Öcalan gefahren waren, zwei führende DEM-VertreterInnen, die schon in der Vorgängerpartei HDP eine wichtige Rolle gespielt hatten, verlasen die beiden eine Erklärung Öcalans, die zeigte, dass dieser gewillt war, auf die Forderungen von Bahçeli und Erdoğan einzugehen. Wörtlich sagte er, „die Wiederherstellung der türkisch-kurdischen Brüderlichkeit ist nicht nur eine historische Verantwortung, sondern auch eine Dringlichkeit für alle Völker“.

Nach diesem Besuch trafen sich Buldan, Önder und der Senior der DEM, Ahmet Türk, über mehrere Wochen mit allen im Parlament vertretenen Parteien, um einschätzen zu können, ob eine Mehrheit im Parlament einen Friedensprozess unterstützen würde. Das Ergebnis: ja. Auch die beiden inhaftierten ehemaligen HDP-Vorsitzenden Demirtaş und Yüksekdağ erklärten, man müsse jede Gelegenheit ergreifen, um zum Frieden zu kommen. Nach einem zweiten Besuch bei Öcalan von Buldan, Önder und Türk drang nur durch, dass Öcalan bereit zu einer wichtigen Ankündigung sei. Bevor am Donnerstag dann gleich sieben Vertreter der DEM Öcalan aufsuchten, reisten die drei Hauptverhandler für zwei Tage in den Nordirak, um dort Masud Barsani, den Patriarchen der Demokratischen Partei des Nordiraks, zu treffen. Barsani hat zwar offiziell kein Regierungsamt mehr in der Autonomen Zone inne, sein Neffe führt dort nun die Regierung an, ist aber immer noch der entscheidende Mann im Hintergrund. Er hat auch einen ständigen Kontakt zu Erdoğan.

Was die Führung der Kurden in Syrien zu dem ganzen Prozess sagt, ist offiziell nicht bekannt. Die kurdische Miliz YPG ist offiziell nicht Teil der PKK, allerdings sind die Kontakte sehr eng und die türkische Regierung betrachtet die YPG als direkten Ableger der PKK. Die neue syrische Regierung drängt darauf, dass alle Milizen im Land ihre Waffen abgeben, was die Kurden bislang noch verweigern. Auch deshalb drängten Bahçeli und Erdoğan auf eine „historische“ Erklärung Öcalans.

Tatsächlich könnte eine solche Erklärung zur Niederlegung der Waffen auch Auswirkungen in Syrien haben. Salih Muslim, ein wichtiger Funktionär der syrischen Kurden, sagte bereits am Mittwoch: Auch für uns wird die Erklärung Öcalans eine wichtige Rolle spielen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • In der Tat kann die Erklärung Öcalans als historisch betrachtet werden, denn die Konflikte mit den Kurden - nicht nur in der Türkei, sondern auch im Irak, in Syrien und selbst im Iran - sind ein nicht unwesentlicher Teil des gesamten Nahostkonfliktes. Sie stehen halt immer nur im Schatten des israelisch-palästinensischen Konflikts.



    Im Grunde ist die Auflösung der PKK - auch als bewaffnete Organisation - nur ein Scheinfrieden, denn in keinem der genannten vier Staaten herrschen demokratische Verhältnisse, wird das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie des 30-Mio.-Volkes der Kurden geachtet.



    Insofern muss die Erklärung Öcalans auch als Niederlage der kurdischen Nationalbewegung betrachtet werden: schon lange ist die Gründung eines kurdischen Nationalstaates aufgegeben worden und jetzt werden die Waffen gestreckt, OHNE dass andererseits von Erdogan irgendwelche politischen Zugeständnisse signalisiert wurden.



    Die Kurden im syrischen Rojava werden das zuerst zu spüren bekommen, wenn sie von den türkischen Panzern niedergewalzt werden.



    Oder glaubt irgendwer, dass mit diesem einseitigen Friedensschluss die Türkei sich zu einer Anerkennung der Rechte der Kurden bewegen lässt?

  • Ein Schritt näher am kurdischen Genozid, den Erdogan anstrebt.



    Schade, die PKK sollte weiterkämpfen.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Vom Sofa aus ist das leicht gesagt.