piwik no script img

Historikerstreit über DDR-ForschungDie Aufarbeitung ist gescheitert

Ilko-Sascha Kowalczuk kritisiert seine Forscherkollegen. Diesen Text über die DDR-Aufarbeitung wollten einige nicht veröffentlicht sehen.

Symbol des Kalten Krieges: Autoschlangen am Kontrollpunkt Helmstedt-Marienborn zu Ostern 1975 Foto: dpa

Es gibt Bücher, die liest man von vorn nach hinten und von hinten nach vorn und weiß dennoch nicht, was sie wollen. Das Buch „Die DDR als Chance“ gehört nicht dazu. Die Absicht ist zu offenkundig.

Der Band enthält neben einer Einleitung des Herausgebers, Ulrich Mählert, 17 Essays von 21 Autoren und Autorinnen, die zum Establishment der zeithistorischen Forschung gehören. Mählert selbst gehört der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur an. Sie alle wollen nun erklären, was bei der Erforschung der DDR besser gemacht werden sollte.

Gründe dafür gibt es wahrlich genügend. Niemand von den Autorinnen und Autoren jedoch preist oder offeriert eine Position, ein wissenschaftliches Paradigma, das man von ihnen so nicht erwartet hätte und von ihnen nicht seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bestens kennen würde.

Am Beginn steht eine Art Bestandsaufnahme von Dierk Hoffmann, Michael Schwartz und Hermann Wentker, allesamt vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ). Was hier als wissenschaftlicher Aufsatz firmiert, trägt seine Herkunft als Diskussionspapier für den Vorstand der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur stilistisch und intellektuell im Gepäck. Das Papier ist weder ausgewogen noch umfassend, weder originell noch enthält es innovative Überlegungen. Die Einlassungen der drei Forscher, die zu den wenigen in diesem Band gehören, die empirisch zur DDR-Geschichte arbeiten und regelmäßig eindrucksvolle Monografien vorlegen, gipfeln in vier Empfehlungen, die vielleicht den intellektuellen Zustand der DDR-Forschung spiegeln.

Sie schlagen vor: 1. „Gesprächsforen“ zu etablieren, „um Projektformen und Projektinhalte […] zu diskutieren und zu priorisieren“; 2. eine „gezielte neue Welle von Forschungsförderung“ zu initiieren; 3. größere „Projekte als ‚Leuchttürme‘ in der Wissenschaftslandschaft“ einzurichten; sowie 4. die „Etablierung oder Förderung von Foren für Vermittlung von DDR-Geschichte, die sich wissenschaftlich basiert gezielt an professionelle Multiplikatoren wie Lehrer oder Journalisten richten“.

Ilko-Sascha Kowalczuk

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter in der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Kowalczuk ist zudem assoziierter Forscher bei der Robert-Havemann-Gesellschaft Berlin.

Bei dem hier von der taz dokumentierten Text, handelt es sich um einen Artikel, den das an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelte Fachforum „H-Soz-Kult“ lieber nicht veröffentlichen wollte.

Das ist also der Ertrag von drei hochspezialisierten Forschern, wenn sie sich Gedanken über die „DDR als Chance“ machen. Um Missverständnisse auszuklammern, hätte der Herausgeber übrigens sagen müssen: „DDR-Geschichte als wissenschaftliche Chance“. Natürlich ist manches zutreffend, was die drei Autoren sonst noch so schreiben. Aber es ist überwiegend auch so banal und allgemein, so wenig inspirierend oder anregend, dass oft sogar auch das Gegenteil ihrer Ausführungen richtig ist.

Die „Antworten“ der von der Stiftung eingeladenen Autoren auf diese Empfehlungen stehen dahinter nicht zurück. Hier haben wir es allerdings nur in Ausnahmefällen mit Forscherpersönlichkeiten zu tun, die sich in letzter Zeit auf einer eigenen erarbeiteten empirischen Grundlage mit der DDR beschäftigt hätten. Das könnte sogar zum Vorteil gereichen, wenn dabei mehr herauskäme als allgemeines Geschwätz, professorales Oberseminargerede und antragstaugliche Wissenschaftsprosa, die auf Fördergelder statt Erkenntnis zielt.

Eigentlich fällt mir zu diesem Buch nur noch das Protestgedicht „Fisches Nachtgesang“ von Christian Morgenstern als trefflicher Kommentar ein. Aber das Buch verdient dennoch Beachtung. Denn damit scheint die Stiftung Aufarbeitung eine Absicht zu verfolgen, die vielleicht nicht für alle sofort auf der Hand liegt.

Das Buch

Ulrich Mählert (Hg.): „Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema.“ Hrsg. im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Metropol Verlag, Berlin 2016, 220 Seiten, 19 Euro

Die „Aufarbeitungslandschaft DDR“ erstarrt immer mehr. Ermüdungserscheinungen und Langeweile sind unübersehbar. Immer neue Kommissionen versuchen, die Aufarbeitungslandschaft neu zu ordnen. Bislang geschah nichts. Tatsächlich aber ist der Tanker der Aufarbeitung, die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU), erheblich ins Schlingern geraten.

Die Stasi-Akten kommen demnächst ins Bundesarchiv. Was mit dem Rest der Behörde geschehen soll, vor allem der kleinen Forschungsabteilung, ist ungewiss. Es soll eine neue Institution gebildet werden für die nicht einmal ein Dutzend fest angestellten Forscherinnen und Forscher.

An den Unis eine Nischenexistenz

Das erscheint völlig unsinnig. Denn die außeruniversitäre zeithistorische Forschung ist stark und breit aufgestellt, während die zeithistorische DDR-Forschung an den Universitäten im Vergleich zur Forschung über Vietnam, Aserbaidschan oder den Balkan eine Nischenexistenz führt.

Der nun in Bedrängnis geratenen Tanker erzeugt Strudel und lässt auch die anderen geschichtspolitischen Akteure ins Schlingern geraten. Diese versprechen sich allerdings vom Untergang des einzigen ostdeutschen Revolutionsexportartikels so einiges für ihre eigene Zukunft.

Die mit Milliarden Steuergeldern finanzierten Institutionen sollten tatsächlich neben vielen anderen Aufgaben eine genuin geschichtspolitische Aufgabe erfüllen: Aus der Reeducation wurde kurzerhand eine „historical education for present and future“ apostrophiert. Das erfolgte ganz im Sinne des historischen Betrachtungsgegenstandes: statt „learning“ lieber „education“, statt wissen lieber dozieren. Wenn man sich heute das extremistisch, vorwiegend rechtsextremistisch infizierte Ostdeutschland anschaut – NSU und Pegida sind nur die Leuchttürme der auf lange Zeit verstrahlten Regionen, die im gesamten ehemaligen Ostblock nationalistische und rechtsextreme Pendants und Bewegungen kennen –, dann kann man ja gar nicht anders, als zu konstatieren, dass der geschichtspolitische Auftrag der staatlich geförderten Aufarbeitung gescheitert ist. Da die Geschichtspolitik gescheitert ist, soll nun von der Stiftung Aufarbeitung ein anderes Terrain erobert werden: die Wissenschaft.

Wenn man sich das extremistisch infizierte Ostdeutschland anschaut, kann man gar nicht anders, als zu konstatieren, dass der geschichtspolitische Auftrag der staatlich geförderten Aufarbeitung gescheitert ist.

Die Stiftung will die wissenschaftliche Beschäftigung mit der DDR und dem Kommunismus majorisieren. Statt die wissenschaftliche Insellage der DDR-Forschung zu überwinden, kann die Stiftung gar nicht anders, als die Insellage zu zementieren. Ihre bloße Existenz hat schon vor Jahren dazu geführt, dass viele Wissenschaftsfördereinrichtungen DDR-Themen unberücksichtigt lassen.

Öffentliche Gelder für die gesellschaftliche Aufarbeitung

Die Stiftung dehnt unwidersprochen ihre Aufgabenbereiche immer weiter aus. Nun, da die Stasi-Unterlagenbehörde nur noch als ein „lame duck“ erscheint, ist angesichts der vielen Stiftungsabhängigen gar keine Kritik mehr an ihrer Tätigkeit zu erwarten. Niemand scheint mehr da zu sein, der die Stiftung an ihren eigentlichen gesetzlichen Auftrag erinnern könnte: öffentliche Gelder für die „gesellschaftliche“ – nicht wissenschaftliche – Aufarbeitung zu verteilen. Tatsächlich soll von der Geschichtspolitik also der Schritt zur Geschichtswissenschaft getan werden.

Der Stiftungsherausgeber des Bandes hat das geschickt eingefädelt. Er bittet die Mitglieder seines „Beirates Wissenschaft“ um Statements zu einem „Gutachten“. Herauskommt dabei, dass altbekannte Platzhirsche ihre hinlänglich bekannten Positionen vertreten. Was hat die Stiftung daran gehindert, mal innovativ zu sein, und statt der Torwächter und Platzanweiser, der Rentner oder Fast-Rentner mal jene zu fragen, um deren Zukunft als Forscher und Forscherinnen es eigentlich geht? Warum sitzen in Zukunftskommission und Zukunftsausschüssen immer nur die Alten? Warum entscheiden jene über eine Zukunft, die nicht die ihre sein kann?

Die Autorenzusammenstellung des Bandes ist konventionell, zum Einschlafen langweilig. Die Stiftung hat so wichtige Akteure auf ihrer Seite: wer mitmacht, kann nicht kritisieren. Irgendwann scheint dann aufgefallen zu sein, dass die honorigen Forscherpersönlichkeiten zwar zentrale Funktionärsposten aufweisen, aber niemand von ihnen einen ostdeutschen Hintergrund aufweist. Wer kann schon etwas dafür, dass kein ostdeutscher Zeithistoriker mit irgendeiner Relevanz irgendwo irgendetwas zu sagen hat?

Wer kann schon etwas dafür, dass kein ostdeutscher Zeithistoriker mit irgendeiner Relevanz irgendwo etwas zu sagen hat?

Mählert scheint den Notstand erkannt zu haben und lud als einzigen ostdeutschen Historiker Matthias Middell aus Leipzig ein. Er versucht, die DDR im Rahmen der Globalgeschichte zu verorten – keineswegs uninteressant, aber Middell gehört genau zu jenem universitären Machtkartell, das die Stiftung für sich zu gewinnen sucht. Das könnte man sogar hinnehmen, wenn nicht zugleich jene Kritiker der DDR-Geschichtswissenschaft vor 1989, zu denen nun Middell wahrlich nicht zählte, und der zeithistorischen Forschung seit 1990 mit ostdeutscher Prägung ausgegrenzt bleiben würden.

Ein durchsichtiges Unterfangen

Mit anderen Worten: Die wenigen, die den Forschungsgegenstand auch aus eigener lebensweltlicher Erfahrung (darum geht es so vielen Autoren in diesem Band!) noch kennen, bleiben außen vor – und zwar allein, weil sie der Stiftung nicht nützlich sind. Und da auch andere Kritiker, etwa aus dem SED-Forschungsverbund oder der Gedenkstätte Hohenschönhausen, nicht zu Wort kommen und man somit ganz bewusst auf deren Expertise, Stellungnahmen und deren Forschungsperspektiven verzichtet (die man nicht teilen mag, die man aber debattieren sollte!), wird so das ganze Unterfangen durchsichtig und intellektuell peinlich. Von der Geschichtspolitik zur Wissenschaft – und es blieb bei Geschichtspolitik, muss man konstatieren.

Die Beiträge erweisen sich durchweg als Ansagen von Platzanweisern, die sich ihrer Macht bewusst sind. Die Autoren preisen Ansätze, die nur völligen Outsidern nicht als die Ansätze und aktuell laufenden Forschungsprojekte des jeweiligen Autors bekannt sind. Ist es nicht lächerlich, dass die Torwächter und Platzanweiser lamentieren, was alles zu tun sei, anstatt es einfach zu tun?

Ich schlage Folgendes vor: In Zukunft unterbleiben solche von Steuergeldern geförderten unnütze Bändchen. Dafür fangen wir mal an, stärker über umgesetzte Projekte zu debattieren und überlassen es künftigen Historikern, über unsere Zukunft zu forschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ilko-Sascha Kowalczuk ist offenkundig beleidigt, dass seine "lebensweltliche" Expertise für diesen, tatsächlich sehr konventionellen, Band nicht gefragt wurde. Zudem ist er selbstverständlich auch Teil des zeithistorischen Establishments und profitiert seit Jahren von Fördermitteln der Bundesstiftung Aufarbeitung und den konservativen Aufarbeitungsstrukturen.

  • Ob das Buch etwas taugt oder nicht, ist doch nebensächlich angesichts der Weigerung von H-Soz-Kult, diesen erfreulich deutlichen Beitrag abdrucken. Sollte das tatsächlich so sein, fragt man sich, welche anderen Beiträge H-Soz-Kult sonst noch alles unterdrückt, ohne daß man das erfährt.

  • Vermutlich ist mehr "Ertrag" von "Forschern", die mit ihrem Gebiet bereits vor Jahren abgeschlossen haben, einfach nicht zu erwarten. Wer die Welt einmal erklärt hat, darf sich nicht mehr irren. Zumindest dann nicht, wenn er weiter als Koryphäe durchgehen will.

     

    Gegründet wurde das IfZ 1949 auf Betreiben der Alliierten in München, nicht 1989 aus eigenem Antrieb in der ostdeutschen Provinz. Aktuell gehören neben dem Bund zwei "neue" und fünf "alte" Bundesländer dazu. Ursprüngliches Ziel des IfZ war die Aufarbeitung der Nazi-Zeit. Die ist offenbar auch abgeschlossen, sodass man freie Kapazitäten hatte. Mit dem "Erfahrungsschatz" früherer Jahre bewaffnet hat man sich nun der DDR angenommen. Die eigentliche Arbeit scheint dabei im Sammeln und Verleihen von Publikationen zu besteht. Mit mehr als 220.000 Medieneinheiten ist das IfZ offenbar so eine Art Spezialbibliothek mit angeschlossenem Debattierclub.

     

    Prof. Dr. Dierk Hoffmann hat in München studiert bzw. promoviert und ist erst 2009 Privatdozent in Potsdam geworden, wo er zuvor habilitiert wurde. Prof. Dr. Hermann Wendtker stammt aus Bonn, wo er studiert und promoviert hat. Prof. Dr. Michael Schwartz zieht es vor, keine Lebensdaten preiszugeben im Internet. Ich kann also nicht abschätzen, wie er sozialisiert wurde. Dass man mit Leuten, die nicht so recht zu einem passen, keine Bücher schreibt, halte ich aber für ausgemacht. Nein, ich will nicht behaupten, dass man ohne persönlichen Bezug zum Forschungsfeld kein guter Wissenschaftler sein kann. Aber ich kann mir doch sehr gut vorstellen, dass sich der Drang, zum eigentlichen, womöglich unergründlichen Kern einer Sache vorzustoßen, arg in Grenzen hält bei den "Externen". Die haben es zum Ausgleich dafür leichter, gewisse Regeln zu akzeptieren. Auch solche, schätze ich, die von Leuten gemacht werden, denen es (aus Gründen) gar nicht schnell genug gehen kann mit dem "Schlussstrich". Womöglich also wären Ossis auch gescheitert. Nur schöner.

  • Wir können ja mal anfangen im Westen die DDR Geschichte aufzuarbeiten. Nach fast 30 Jahren hat sich im Westen so viel DDR-Denken und Handeln integriert , besonders auch im politischen Establishment oder wie Frau Merkel eingeführ in der Elite dass man die DDR Geschichte gar nicht mehr braucht. Die wichtigen Stasi Akten werden ohnehin verschlossen aufbewahrt, die kleinen Mitläufer und Gedungenen sind nicht so wichtig und waren einzusehen. Mehr bekommen wir eh nicht zu wissen. BRD DDR austauschbar.

    You no ???