Historie des Antifaschismus als Hörbuch: Auch formal widerständig
Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ gibt's nun als Hörbuch. Es ist anspruchsvoll und harte Arbeit. Zwei Lesungen helfen weiter.
Fast 1.200 Seiten in drei Bänden, entstanden zwischen 1971 und 1981. Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss gilt als zentraler Roman der deutschen Nachkriegsliteratur. Vor der Folie eines namenlos bleibenden Ich-Erzählers beschreibt Weiss, der am 8. November 100 Jahre alt geworden wäre, die Geschichte des kommunistischen Widerstands gegen den Faschismus und unterstreicht dabei die Bedeutung von Bildung für die Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen.
Für seine Hörspielversion, die 2008 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet wurde, hat Karl Bruckmaier den Text dieses „Großromans der Moderne“ auf ein Drittel zusammengekürzt, detaillierte Überlegungen zu den „ideologischen Unterschieden in Spaniens Linker“ oder die Analyse eines Gemäldes von Géricault fehlen in der Hörspielfassung (der Hörverlag, 12 CD, 630 Minuten). Überdies denkt Bruckmaier das Genre Hörspiel weit. Er bleibt der erzählenden Struktur des Romans treu, wendet filmische Mittel wie Montage und Überlagerungen an, die Weiss, der auch Filmemacher, Fotograf und bildender Künstler war, gleichsam im Roman nutzte.
Um den „Text aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten zu können“, hat Bruckmaier die Erzählerfigur aufgespalten in ein „zeitgenössisches“ Ich – mit aufgeklärtem Tatendrang von Robert Stadlober interpretiert – und in ein „schreibendes, reflektierendes“ Ich, das Peter Fricke sich mit sonorer Ruhe zu eigen macht. Der Plan geht auf, die Audio-Lektüre des Romans ist immer noch harte Arbeit, aber die Verschiebung der Perspektiven und auch die eindringlich wiederholten Sätze geben dem Hören Orientierung und Struktur. Die nur punktuell eingesetzte Musik des Avantgardemusikers David Grubbs übernimmt eher die Funktion von Geistesblitzen.
Hilfsmittel fürs Verständnis sind angebracht
„Die Ästhetik des Widerstands“ hören und verstehen zu wollen, ohne einen Handapparat von Lexika und Kunstbänden zu konsultieren, ergibt indes wenig Sinn. Das Booklet des Hörbuchs kommt seinen Hörer*innen auf halbem Wege entgegen, die im Roman angesprochenen und analysierten Kunstwerke sind abgebildet, und eine ausführliche Namensliste informiert über den historischen Hintergrund der Figuren.
Auch auf andere Weise lässt sich Weiss jetzt hören: Das Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) veranstaltete im Oktober anlässlich von Weiss’ 100. Geburtstag das Festival „Ästhetik des Widerstands – Peter Weiss 100“. Zentraler Bestandteil war eine 17-teilige Lesung des Romans. Um die Dauer der einzelnen Teile auf 90 Minuten zu begrenzen, hat der Dramaturg Arved Schultze den Text gekürzt, die seitenlangen Schilderungen der schwedischen Sozialdemokratie müssen im Roman nachgeschlagen werden.
In den via Soundcloud oder auch über die Website des Theaters nachzuhörenden Lesungen wechseln sich die Schauspieler*innen Nina Kronjäger, Sandra Hüller, Mira Partecke, Valery Tscheplanowa, Judica Albrecht, Agnes Mann, Mark Waschke, der Philosoph Joseph Vogl und der Musiker Andreas Spechtl in loser Folge ab.
Sich immer wieder auf eine neue Stimme, einen anderen Sprachduktus einlassen zu müssen, hilft, dem nicht nur inhaltlich „widerständigen“ Text die Stange zu halten. Dass Robert Stadlober, der an den meisten Lesungen beteiligt ist, sich schon für die oben genannte Hörspielproduktion in die Materie eingearbeitet hat, ist nicht zu überhören. Souverän und dem Text verpflichtet meistert er die Herausforderung der den Text auch formal widerständig machenden Endlossätze. Einzig die Lesung von Fabian Hinrichs kann das hohe Niveau der Livelesungen nicht halten, nuschelnd holpert er sich durch seinen Part.
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