Hintergrund des Begriffs „Remigration“: Angriff auf die Mitte
Die Idee der „Remigration“ basiert auf dem Begriff des „Ethnopluralismus“. Diesen nutzen Rechte seit Jahren, um die Gesellschaft zu infiltrieren.
D eportationsvorstellungen haben AfD-Politiker:innen und rechte Publizist:innen zwar schon seit Jahren ausgebreitet, aber nun ist ein Begriff in aller Munde: Die „Remigration“. Die Rede von Martin Sellner beim Treffen in Potsdam hallt nach. Ein diskursiver Sieg? In der AfD lavieren die führenden Personen zwischen Relativierungsbemühungen und Angriffsversuchen. Keine Überraschung, erstmals seit Jahren muss sich die Partei für ihre Positionen gesamtgesellschaftlich öffentlich rechtfertigen.
Gegen diesen Rechtfertigungsdruck aus der Mitte der Gesellschaft versucht sich das gesamte „patriotische“ Milieu zu stemmen, mitunter auch mit Verschwörungsnarrativen. Der Vorsitzende der niedersächsischen AfD-Landtagsfraktion, Stefan Marzischewski, spricht von einer „fehlerhaften Berichterstattung über ein privates Treffen“ und redet von einer „exzessiven Diffamierungskampagne“.
Dirk Nockemann, AfD-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft, geht von einer „politmedialen Hetze“ der SPD aus, es handele sich gar um eine „historische Desinformation“. In einer Bürgerstunde der Hamburger AfD-Fraktion war jüngst der Jurist und CDUler Ulrich Vosgerau zu Gast, der auch am Potsdamer Treffen teilnahm. Auch er versuchte das Thema abzuschwächen. Vosgerau schrieb schon in der neu-rechten Jungen Freiheit, dass Sellner nur ein „umstrittener Schriftsteller“ sei, der bloß sein Buch vorgestellt habe.
Diesen diskursiven Konflikt strebt die selbsternannte „Neue Rechte“ schon seit Jahrzehnten an. Im vorpolitischen Raum sollen Themen und Termini gesetzt werden, um im politischen Raum Einfluss und Macht zu gewinnen. Einen der ersten Versuche startete 1964 Lothar Penz in Hamburg. Mit dem Arbeitskreis „Junges Forum“, der auch eine Publikation mit dem selben Namen verantwortete, sollte „die theoretische Basis eines neuen Denkgebäudes“ geschaffen werden.
„Ethnopluralismus“ bedeutet „Ausländer raus“
Der „intellektuelle Führungskreis“ des Forums wusste, dass es geboten war, mit einer modifizierten Argumentation und moderater Rhetorik aufzutreten, um politische Positionen thematisieren und etablieren zu können. Aus diesem Kreis kommt auch der Historiker und Publizist Hennig Eichberg, der den Begriff des „Ethnopluralismus“ prägte und damit eine bis heute gültige Argumentationsbasis entwarf, ohne die letztlich die „Remigration“-Vision nicht zu denken ist.
Warum Rechte nicht von Rückführungen oder Deportationen sprechen, zeigt dieses Konzept auf: Der Ethnopluralismus geht von Ethnien aus, die historisch zu einer homogenen Gemeinschaft gewachsen sind, mit einer eigenständigen Identität und Kultur, die es zu bewahren gelte.
Die Argumentation klingt freundlich, doch schon die Prämisse, dass sich Ethnien eigenständig und ohne Einfluss von anderen Ethnien entwickelten, ist falsch. Die zugrundeliegende Botschaft, dass Ethnien vor fremden Einflüssen geschützt werden müssten, ist letztlich radikal. Sie bedeutet nichts anders als: Ausländer raus, Deportation, Remigration. In seinem Text „Strategie der Sammlung“ hebt Sellner selbst hervor, dass ein „homogenes ‚deutsches‘ Deutschland“ nicht aufgegeben werden sollte.
Ist es diesem Milieu 2024 gelungen, nach über 60 Jahren mit der Vision der „Remigration“, die ohne Ethnopluralismus nicht greift, die gesellschaftliche Mitte zu beeinflussen? In der Zeitschrift Sezession versucht Martin Sellner nun, die laufende Debatte als Erfolg zu feiern. Und das, obwohl die AfD leicht bei Umfragen verliert. Er schreibt: „Das strategische Ziel der Normalisierung durch anschlussfähige Provokation besagt auch, dass man unter Umständen für eine langfristige metapolitische 'Gebietseroberung’ temporär Verluste an Stimmen und Popularität hinnehmen muss.“ „Verschreckte Wechselwähler“ kämen später zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“