Hilfstransporte nach dem Erdbeben: „Syrien im Stich gelassen“
Die UN werden für ihre zögerliche Erdbebenhilfe in Syrien kritisiert. Noch immer wird über mehr Zugang zu den Rebellengebieten gestritten.
![Zwei vollverschleierte Frauen stehen vor einem zerstörten Haus und halten ein Protestplakat gegen die UN in die Kamera Zwei vollverschleierte Frauen stehen vor einem zerstörten Haus und halten ein Protestplakat gegen die UN in die Kamera](https://taz.de/picture/6100162/14/32178223-1.jpeg)
Männer graben mit den Händen in Trümmern und ziehen einen Teddy hervor, der ein T-Shirt mit dem Logo der Vereinten Nationen (UN) trägt. „Die Syrer haben die UN in Nordwestsyrien gefunden“ ist der Titel dieses Youtube-Videos von „Creative Syria“. In Nordsyrien ist die Wut über die langsame Reaktion der Weltorganisation groß. Nach dem Erdbeben vor über einer Woche wurden aus Syrien zuletzt 5.900 Tote und 350.000 Vertriebene gemeldet, 8,8 Millionen Menschen im Land sind laut UN betroffen. Viele Tausende sind noch vermisst und nicht geborgen, noch immer fehlt es an Baggern, Werkzeug, Stromgeneratoren.
Die Weißhelme sind die einzige Organisation vor Ort mit der Ausrüstung und dem Training, um schwere Such- und Rettungsaktionen durchzuführen. Ihr Chef Raed al-Saleh beschwerte sich auf der Webseite von CNN: „Die Weißhelme erhielten während der kritischsten Momente der Rettungsoperationen keine Unterstützung von der UN.“ Seine Mitarbeiter haben Erfahrung im Bergen: Seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 befreien sie nach Bombardements Menschen unter Trümmern.
UN-Hilfschef Martin Griffiths gab bei seinem Besuch an der syrisch-türkischen Grenze am Sonntag zu: „Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen.“ Offiziell dürfen Hilfslieferungen der UN nur über einen einzigen Grenzübergang stattfinden, Bab al-Hawa; weitere Durchgänge haben Russland und China im UN-Sicherheitsrat wiederholt mit Vetos blockiert. Russland ist ein starker Verbündeter des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Dieser möchte, dass UN-Hilfen über Damaskus laufen. Die UN argumentierten, dass sie auch für Hilfsaktionen an die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gebunden sind.
Die erste UN-Delegation, die den Nordwesten Syriens besucht hat, überquerte am Dienstag die türkische Grenze: eine Bewertungsmission zur Koordinierung von Hilfen. Mittlerweile hat Assad zugestimmt, zwei weitere Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien zu öffnen. Bab al-Salam und al-Ra’ee sollten für drei Monate geöffnet bleiben. Die Grenzübergänge liegen in Gebieten unter Kontrolle von bewaffneten Oppositionsgruppen.
Am Dienstag meldete Griffiths über Twitter, dass 11 Lastwägen mit UN-Hilfen über den Grenzübergang Bab al-Salam in den Nordwesten gefahren seien, 26 UN-Lastwägen hätten den Grenzübergang Bab al-Hawa überquert. Die Chefin der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID), Samantha Power, schrieb am Mittwoch bei Twitter, die Freigabe zweier weiterer Grenzübergänge sei eine gute Nachricht. „Aber eine Resolution des UN-Sicherheitsrats bleibt der beste Weg, um sicherzustellen, dass Hilfe auf verlässliche Weise weiterhin fließen kann, selbst nachdem die Kameras aus sind.“ Der Sicherheitsrat möchte eine neue Resolution noch diese Woche verabschieden.
Hilfe von Russland
In den von Assad kontrollierten Gebieten lief mehr Hilfe an. Latakia am Mittelmeer und Aleppo zählen zu den stark betroffenen Regime-Gebieten. Humanitäre Hilfe kommt hier unter anderem von UN-Behörden wie dem Welternährungsprogramm sowie aus Ländern, die mit der Assad-Regierung verbündet sind, etwa Russland und Iran. Unter anderem kam ein erstes Flugzeug mit Hilfslieferungen nach Damaskus aus Algerien.
Am Dienstag landete eines aus Saudi-Arabien in Aleppo, mit 35 Tonnen an medizinischer Hilfe, Lebensmitteln und provisorischen Unterkünften. Es war das achte Flugzeug, das Saudi-Arabien entsandt hat. Die Luftbrücke nach Aleppo ist nach Angaben der Hilfsorganisation von König Salman (KSRelief) mit dem Syrischen Roten Halbmond abgestimmt. Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten bereits am Tag nach dem Erdbeben 50 Millionen Dollar für Syrien und ebenso viel für die Türkei zugesagt.
Laut staatlichen syrischen Medien haben inzwischen mehr als 50 Flugzeuge Hilfsgüter aus arabischen und asiatischen Ländern zu Flughäfen in den von der Regierung kontrollierten Gebieten gebracht. Italienische medizinische Hilfe traf am Sonntag in Damaskus ein und war damit die erste europäische Erdbebenhilfe in den von der Regierung kontrollierten Gebieten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?