Hier boomt nichts mehr: Zurück in die Zukunft
Wenn man aus dem Ausland zurückkommt, kommt einem Deutschland manchmal sehr alt vor. Muss das eigentlich so? Und sind Juristen ein Teil des Problems?
E in paar Tage habe in einer wirklich vollkommen anderen Stadt bei einer Freundin im Ausland verbracht. Ich sage hier lieber nicht, welche, bitte denken Sie sich Ihren Teil. Es ist jedenfalls eine dieser Städte, die in den vergangenen dreißig Jahren ein brutales Wachstum mit einer erstaunlichen Dynamik erfahren haben.
Eine dieser Städte, in der sich selbst Einheimische regelmäßig verfahren, weil praktisch über Nacht neue Baustellen, Straßen, Hochhaustürme aus dem Boden wachsen, bis man nichts mehr wiedererkennt. Eine Stadt, in der gefühlt jeder von woanders kommt und drei Businesspläne in der Hosentasche hat. Hier blickt man nur zurück, um darüber zu staunen, wie weit man gekommen ist.
Das alles hat natürlich seine ganz eigenen Tücken, die sollen hier aber nicht das Thema sein. Wenn man zurückkommt, kommen einem dieses Land und diese Stadt jedenfalls plötzlich sehr alt vor. Und damit meine ich nicht nur den politischen Diskurs und die AfD, die ja andauernd zurückwill in eine Art von 50er Jahren, die es so nie gegeben hat. Auch die Antworten der demokratischen Parteien darauf scheinen mir verdächtig oft mit „Wir müssen zurück zu“ anzufangen.
Kann es sein, dass uns die Vorstellung, dass in der Zukunft vielleicht auch irgendwas besser wird, allmählich abhandenkommt? Ist das ein Mentalitätsproblem oder ein natürlicher Prozess in einer überalterten Gesellschaft? Es scheint ja oft so zu sein, dass da, wo die persönlichen Kräfte schwinden, Angst und Pessimismus Einzug halten.
Ingenieure ticken anders als Juristen
Der jetzige Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) schien mir bisher immer das Paradebeispiel eines unverbesserlichen Optimisten zu sein – jedenfalls solange er noch Minister war. Seit er Ministerpräsident ist, tauchen die Vokabeln „Sorge“ und „Besorgnis“ sehr viel häufiger in seinen Reden auf.
Ich habe das vorher immer darauf zurückgeführt, dass der Mann eben von Hause aus Ingenieur ist. In meiner privaten Berufe-Mythologie rangieren Ingenieure ziemlich weit oben, weil sie einem das angenehme Gefühl geben, dass die Probleme der Welt irgendwie schon lösbar sind.
O. k., oft erfinden sie Lösungen, die dann fünf neue Probleme erschaffen, aber das liegt sicher daran, dass sie gerne weiter tüfteln möchten. Politiker sind ja sonst eher darauf trainiert, einem zu erzählen, dass ein Problem entweder gar nicht so groß ist oder aber riesig und ganz sicher die Schuld von jemand anderem.
Irgendwo hörte ich neulich von jemandem, das größte Problem westlicher Politik sei, dass hier zu viele Juristen das Sagen hätten. Da könnte schon etwas dran sein. Natürlich hat die Juristerei viele faszinierende Seiten: die strenge, eigene Logik, die filigranen Abwägungen, der sorgsame Argumentationsaufbau.
Die beständige Selbstblockade
Man muss aber auch sagen: Der natürliche Modus operandi des Juristen ist die Verschlimmbesserung. Sie leben in dem Bewusstsein, dass das komplizierte, verschachtelte deutsche Recht durch unbedachte Änderungen stets von absurden Nebenwirkungen, Widersprüchen und Kettenreaktionen bedroht ist.
Deshalb sind sie in der Regel fantasielos und schnell bereit, einem zu erklären, warum das eigentlich alles gar nicht anders geht und vollkommen logisch genau so gewachsen ist. Aber gut, als jemand, der es zu seinem Beruf gemacht hat, von der Seitenlinie aus herumzunörgeln, sollte ich an dieser Stelle vielleicht nicht so herumtönen. Glashaus, Steine, Sie wissen schon.
Den Gegensatz vom Ingenieursstaat (China) und der Rechtsanwaltsgesellschaft (USA) hat übrigens der Analyst und Autor Dan Wang aufgemacht. Er warnt gleichzeitig vor den fatalen Auswirkungen, die diese chinesische Ingenieursmentalität im Sozialen hat – ist also niemand, der das chinesische Modell in den Himmel heben will.
Und trotzdem leuchtet seine Analyse der beständigen Selbstblockade in westlichen Gesellschaften erst recht mit dem Blick auf die deutsche Politik ein. Und so ein bisschen mehr Tatkraft und Zukunft wünscht man sich dann halt schon – vor allem, wenn man Kinder hat.
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