piwik no script img

Hertha BSC und Union BerlinDer Fluch der alten Dame

Martin Krauss
Kommentar von Martin Krauss

Braucht Berlin die Hertha noch? Oder geht der vermeintliche Big-City-Club bald den Weg aller Faxgeräte?

Zusammenhalt ist auch nicht alles: Die Hertha auf dem Spielfeld Foto: IMAGO / Matthias Koch

H ertha BSC muss an diesem Samstag zur Eintracht nach Frankfurt reisen, während der 1. FC Union in Köpenick mitmachen darf, wenn die Profifußballer des FSV Mainz sich um wenigstens einen Punkt bemühen. Schon seit einer Weile kann sich der über Jahrzehnte wichtigste und größte Fußballklub dieser Stadt, Hertha BSC, nur noch mit Hängen, Relegation und Würgen da oben halten.

Was Erfolg und Bedeutung angeht – und bald wohl auch die Sympathien -, steckt die, wie sie in der bekloppten Sprache des Fußballs genannt wird, „alte Dame“ in einem sehr langen Abstiegskampf. Der Klub droht schon jetzt das Faxgerät des deutschen Fußballs zu werden. Weitgehend überflüssig, aber wenn man doch mal damit zu tun hat, macht es nur Kriiiietschgrrrkokkriietsch.

Dabei hat Hertha in der Fußballgeschichte etliche berlinerische Herausforderer bezwungen: Tasmania, Tennis Borussia, Blau-Weiß 90. Alle drei wirkten zu Westberliner Zeiten, das ist die eine Besonderheit, und, sieht man von Tasmania ab, waren sie Vertreter bürgerlicher Milieus aus dem Westend und Mariendorf.

Gerade die Ähnlichkeit der beiden ist es, die ihr Nebeneinander so schwierig macht.

Tasmania ist deswegen untypisch, weil die Neuköllner ihr einjähriges Bundesligagastspiel 1965/66 nur dem Umstand verdanken, dass Hertha wegen versuchter Spielmanipulation gerade rausgeflogen war und die Regel galt, dass immer ein Berliner Verein in der Bundesliga sein müsse, um die Anbindung Westberlins an die Bonner Republik zu demonstrieren.

Für die Ambitionen von TeBe und Blau-Weiß 90 hingegen gilt das, was in fast allen Großstädten gilt, auch ohne Mauer und Berlinzulage: Es gibt die Konkurrenz zwischen eher bürgerlichen und eher proletarischen Fußballklubs; man sieht es an „HSV vs. St. Pauli“ oder „Bayern vs. 1860“.

Proletarische Wurzeln

Von TeBe und Blau-Weiß, den bürgerlichen Herausforderern Herthas über die Macht an der Spree, unterscheidet sich Union sehr deutlich. Union kommt aus dem Osten und hat mit bürgerlicher Provenienz nüscht zu tun. Union hat seine Wurzeln im proletarischen Oberschöneweide und Hertha seine im Wedding. Kein Zufall, dass in den Mauerjahren eine eiserne Freundschaft zwischen Hertha und Union beschworen wurde.

Zur Herkunft aus der Arbeiterklasse gesellt sich in beiden Fällen der Ruf des Skandalklubs. Bei Hertha wurden mehr als einmal in der Geschichte Gelder veruntreut, Spiele manipuliert, und 1965 ließ der Hertha-Schatzmeister, im Hauptberuf Bestattungsunternehmer, an der Steuer vorbei 55.000 illegale Eintrittskarten drucken, die er in einem Sarg verstaute. Allerdings muss sich Union mit seiner gefälschten Bankbürgschaft da nicht verstecken. Die faxte der Klub 1993 an den DFB, um ausgerechnet so seine Solidität für die Zweite Liga nachzuweisen.

Doch gerade die Ähnlichkeit der beiden ist es, die ihr Nebeneinander so schwierig macht. Jede Großstadt braucht einen Klub, der die Mehrheit der Menschen begeistert und zugleich mit solchen Skandalen für große Geschichten sorgt. Aber eben nur einen Klub, nicht zwei. Je mehr Berlin sozial und kulturell eine Stadt wird, desto weniger braucht’s Hertha. Die einzige Chance der „alten Dame“ dürfte sein: noch mehr „Big City Club“, viel absurdere Verpflichtungen, als Union sie je bieten könnte. Dann bleibt Berlin doch Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Haha. Bin mal auf die Antwort von Herrn Sotschek gespannt. Der ist ja genau so "objektiv" in Fußballfragen. Fast 60 Jahre alte Dinge hervorkramen, um einer offensichtlichen Trümmertruppe im Tabellenkeller noch eine mitzugeben, ist eher was für Stammtisch im Fanclub. Leichen hat jeder im Keller. Und so sympathisch wie Union grad die Liga aufmischt, so wenig braucht man zum Beispiel Fanauftritte wie die in Haifa.

    • Ralf Sotscheck , Autor , Korrespondent Irland/GB
      @Deep South:

      Martin Krauß stammt aus Koblenz. Sein Heimatverein ist TUS Koblenz, ein Dorfverein wie Union. Und TUS Koblenz spielt in blau-schwarz, Hertha dagegen in blau-weiß. Das sagt doch wohl alles.

      • @Ralf Sotscheck:

        Vermutlich, haha. Ich sag mal so. Fußball und die Farbe Blau ist generell eine schwierige Kombination.

        • Ralf Sotscheck , Autor , Korrespondent Irland/GB
          @Deep South:

          Friedrich Küppersbusch schrieb mir gerade: "Irgendetwas blauß-weißes steigt ab; nicht Bochum."

  • "Jede Großstadt braucht einen Klub, der die Mehrheit der Menschen begeistert und zugleich mit solchen Skandalen für große Geschichten sorgt. Aber eben nur einen Klub, nicht zwei."

    AS Rom und Lazio Rom, Celtic Glasgow und Glasgow Rangers, Tottenham und Arsenal, etc. Die Liste ließe sich noch länger fortsetzen, dass Großstädte (oder gar Metropolen) locker zwei Klubs in der 1. Liga haben können mit vielen Fans. Aber in der Berliner Provinz soll nur Platz für einen Klub sein? Ernsthaft?