Hermes Phettberg über das Alleinsein: „Alle waren weg, nur ich war da“
Vor seinen Schlaganfällen war Phettberg ein Superstar – und er ist es noch immer. Ein Gespräch, das zu einem Theaterstück für vier Personen wurde.
Alles falsch an diesem Wiener Nachmittag. Erst das Haus nicht gefunden. Dann einen wildfremden Menschen mit dem Fotografen verwechselt und herzlich begrüßt. Und dann geht es doch einfach los mit dem Gespräch. Dank „eze“, einer von Hermes Phettbergs Helferinnen, die seine seit mehreren Schlaganfällen undeutlich ausgesprochenen, aber weiterhin klaren Gedanken übersetzt. Und doch: Alle sprechen durcheinander. Hermes Phettberg, eze und der Interviewer. Der richtige Fotograf ist auch noch im Raum.
taz: Herr Phettberg, die Wände sehen ja wunderbar aus. Ihre Wohnung wurde saniert?
Hermes Phettberg: Ronnie Niedermeyer, der hat meine Wohnung wunderbar fotografiert, bevor sie grundgereinigt wurde.
eze: Ronnie Niedermeyer ist einer seiner „Nothelfys“ – also immer statt „Freunde“ verwendet Hermes den Ausdruck „Nothelfys“. Und Ronnie Niedermeyer ist Fotograf und Galerist. Der hat seine Wohnung im alten Zustand als Letzter noch mit so einem Panoramafoto abgelichtet.
Hermes Phettberg: Total! Da könnten Sie dann vergleichen, wie es vorher ausgeschaut hat und wie es jetzt ausschaut, grundgereinigt. Grundgereinigt, a Waunsinn! Ich möchte nicht mehr hier leben. In der Wohnung möcht’ ich jetzt nicht mehr leben.
eze: Jetzt sieht die Wohnung halt normal aus. Und vorher …
Hermes Phettberg: Eine einzige Scheiße. Jetzt ist es eine einzige Scheiße. Funktioniert denn das Aufnahmegerät?
taz: Ja. Aber ist denn die Miete wenigstens gleich geblieben?
Person: Geboren 1952 in Hollabrunn als Josef Fenz, lebt der Schauspieler, Schriftsteller, Talkshowmoderator und Performancekünstler heute in Wien.
Ausbildung: Von 1969 bis 1973 Bankangestellter. Von 1975 bis 1979 zunächst als Pastoralassistent in der Erzdiözese Wien tätig, bevor er Kanzlist im Amt der niederösterreichischen Landesregierung wurde (82–89).
Karriere: Schauspieler im „Sparverein Die Unzertrennlichen“ um Kurt Palm, Moderator der „Nette Leit Show“ im ORF, Kolumnist der Wiener Stadtzeitung Falter („Phettbergs Predigtdienst“).
Hermes Phettberg: Ich hab’ einen sehr guten Sachwalter.
taz: Wie?
eze: Hermes ist finanziell besachwaltet.
Hermes Phettberg: Ich hab’ einen sehr guten Sachwalter, seine Homepage ist: www.jus.at.
taz: Ah ja. Okay.
eze: Er ist finanziell besachwaltet, also nur finanziell, und das auf eigenen Wunsch.
Hermes Phettberg: Ja. Ein total lieber Gentleman.
taz: Ihnen geht es soweit aber gut, finanziell jetzt, oder? Sie hatten auch Schulden und alles, nachdem Sie in den Neunzigern großen Erfolg im Fernsehen hatten.
Hermes Phettberg: Ich bin bettelarm. Ich bin bettelarm. Klar. Im Moment hab ich zehn Euro in der Tasche. Zehn Euro. Das ist mein Niveau, da sehen Sie alles. Da sehen Sie eh alles, das ist mein Niveau. Jetzt ganz unten. Ganz unten. Ganz weit unten.
taz: Ich fange noch einmal ganz woanders an. Gestern war doch das Fest beim „Falter“, der Wiener Stadtzeitung, bei der sie eine Kolumne haben, oder? Wie war’s denn?
Hermes Phettberg: Traumhaft. Es war traumhaft.
taz: Gab’s da was Gutes zu essen?
Hermes Phettberg: Ja. Ja.
taz: Was gab’s?
Also – was hat’s gegeben? Ich hab’ jedenfalls ein gebackenes Hühnerschnitzel gegessen.
eze: Es gab so ein Buffet dort.
Hermes Phettberg: eze hat mir Essen zugeteilt, eze ist total streng!
eze: Du hast gesagt: „Bring mir was mit vom Buffet!“ Und ich hab gefragt: „Willst du mehr Fleisch, oder?“
Hermes Phettberg: Du ruinierst meinen ganzen Ruf. Früher war ich immer stolz schwul und jetzt (weist auf eze) eine Frau! Was soll ich machen, ich bin sehr gern dein Sklave!
eze: (lachend) Du ruinierst meinen Ruf!
Hermes Phettberg: Ja, ohgottohgott, ohgottohgott, ohgottohgott.
taz: Ich frag’ natürlich auch nach dem Essen, der Gesundheit wegen. Sie essen doch seit längerem Diät?
Hermes Phettberg: Na ja, ich fresse schon wieder. Ich bin schwer fresssüchtig. Fresssüchtig. Oh Gott, was soll ich machen? Mein Leben ist vorbei. Mein Leben ist vorbei. Mein Leben ist vorbei.
eze: Wobei seine Gesundheit – er hatte ja einmal Diabetes, und er geht immer regelmäßig zu ärztlichen Kontrollen, und da waren alle Werte immer in Ordnung.
taz: Das ist sehr gut, ja. Super. Und dann wollte ich fragen, wie war denn Ihre Lesung?
eze: Die Nikolo-Lesung. In der Buchhandlung Löwenherz in der Berggasse.
Hermes Phettberg: Da war mein Buch, mit mir als Witzfigur, kannst du es herbringen? Der Comic ist soeben erschienen.
taz: Das ist die Graphic Novel?
eze: „Blue Jeans – Der Phettberg-Comic“. Die Bücher wurden per Crowdfunding von Interessenten bestellt.
Hermes Phettberg: (zeigt auf die Tippfehler im Phettberg-Comic): Mein Ist-Zustand – damals, vor drei Jahren konnte ich noch selber tippen!
taz: Das geht nicht mehr?
Hermes Phettberg: Jetzt geht’s nicht mehr.
taz: Wer tippt denn den Blog?
Hermes Phettberg: Sir eze. – Die Tippfehler sind im Comic alle absichtlich gelassen. eze, eze, komm doch her!
eze: Der Fotograf wollte gerade was von mir.
Hermes Phettberg: Die hinter der Kamera sind immer schöner als die vor der Kamera. Und die Tippfehler sind absichtlich gelassen.
eze: Momentan diktiert er mir seine „Gestion“, aber damals hat er sie noch selbst geschrieben, und durch die drei Schlaganfälle ist sein Lesezentrum gestört. Also er ist geistig voll da, und er konnte damals auch noch selber tippen. Aber halt nicht nachlesen, und musste es blind tippen, und hatte entsprechend viele Tippfehler drin.
Hermes Phettberg: Ah Waunsinn!
eze: (lacht) Du hast doch gesagt, ich soll’s erklären!
Hermes Phettberg: Aber konzis! Konzis! Nicht so ohne Ende, ohne Ende. Die Tippfehler sind absichtlich gelassen. Weil das waren meine original Tippfehler. Und heute kann ich überhaupt nicht mehr schreiben, das war noch ein letztes Aufzucken.
taz: Wollen wir jetzt die Fotos machen?
Hermes Phettberg: Ich bin zu Ende fotografiert.
taz: Aber den Fotografen geht’s ja auch gar nicht so gut, da muss man froh sein, wenn die Aufträge bekommen.
eze: Aber du bist sehr fotogen!
Hermes Phettberg: Ja, weil ich bin einfach schön, gib’s zu! Wissen Sie, ich trag’ jetzt immer Windelhosen.
taz: Lederhosen?
Hermes Phettberg: Windelhosen!
eze: Am Abend zum Fortgehen, weil er hat eine ganz arge Blasenschwäche.
Hermes Phettberg: Ich kann ohne Ende brunzen! Kannst du ihm die Windelhosen zeigen?
eze: Die gestreiften oder die anderen?
Hermes Phettberg: Nicht die gestreiften, die jetzigen! Die ich heute anhabe, die ich jetzt live trage!
eze: In die kann man reinschlüpfen, wie in eine kurze Hose.
Hermes Phettberg: Ja, richtige Windelhosen. Schauen Sie! Wollen Sie ein Foto machen? Machen Sie ein Foto!
Fotograf: Ich weiß nicht, ob wir das brauchen für das Heft, weil es kommt nur ein einziges Foto, und das soll von dir sein!
Hermes Phettberg: Machen Sie ein Foto!
eze: Hermes, es kommt nur ein einziges Foto von dir hinein – da kommt nur ein einziges Foto von dir.
taz: Eventuell zwei.
Hermes Phettberg: Machen Sie ein Foto!
eze: Aber ob das dann das ausgewählte ist, hat er noch nicht versprochen!
Hermes Phettberg: Ist doch wurscht! Das ist meine Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit ist das.
Fotograf: Also kurz zu mir schauen, bitte!
Hermes Phettberg: So ist das Leben. Meine Wirklichkeit!
taz: Am Anfang und am Ende des Lebens stehen Windeln.
Hermes Phettberg: Aber du bist ja noch nicht am Ende!
taz: Da sind wir wieder beim Thema. In einer hiesigen Gratiszeitung habe ich gelesen, dass dreißig Prozent der Österreicher Depressionen haben. Herr Phettberg, Sie sind demnach eine Art Nomalbürger?
Hermes Phettberg: Ich hab keine Depressionen. Ich bin insofern nur deppat. Und fresssüchtig.
taz: Okay.
Hermes Phettberg: Alles, was meine Seele betrifft, steht auf www.phettberg.at/gestion.htm. Da können Sie alles nachlesen. Haben denn die Deutschen weniger Depressionen?
taz: Ich glaub, die haben auch alle Depressionen, ja.
Hermes Phettberg: Na, sehen Sie! Genau dasselbe. Immer dassöbe. Immer dassöbe. Egal, ob Deutsche oder Österreicher, wir sind immer dieselben Deppen.
taz: Aber, wenn wir von Krankheiten sprechen …
Hermes Phettberg: Ich verehre jetzt eure Bundeskanzlerin, die jetzige. Wie heißt die Frau?
eze: Angela Merkel.
taz: Merkel.
Hermes Phettberg: Weil sie sagt „Keine Grenzen!“ – dafür knie ich vor ihr!
taz: Sie waren sicher nicht immer ein Fan von ihr?
Hermes Phettberg: Na ja, nicht wirklich, ich bin kein Schwarzer. Als Kind schon. Die katholische Kirche …
taz: Aber Sie ist ja Protestantin, sie ist ja Pfarrerstochter!
Hermes Phettberg: Des is wurscht!
taz: Sie sind gläubig?
Hermes Phettberg: Na ja. Es wäre so schön, wenn es Gott gäbe.
taz: Da wären wir bei der Hoffnungslosigkeit. Dieses Interview erscheint in der ersten Ausgabe des Jahres 2016. Und das Motto ist „Am Arsch“, aber eher im übertragenen Sinne …
Hermes Phettberg: Schade! Schade!
taz: Es geht darum, dass man am Anfang des Jahres total am Ende ist.
Hermes Phettberg: Wenn Sie Jeans sehen – ich liebe Bluejeans!
taz: Ja meine ist leider grau, und die des Fotografen ist leider auch nicht blau.
Hermes Phettberg: Das ist wurscht. Die Farbe ist wurscht, aber der Arsch muss passen, der Arsch muss passen – exakt muss der Arsch passen.
taz: Das stimmt natürlich. Wobei – wie finden Sie dann Skinny-Jeans? Die sitzen ja oft nicht so wirklich gut, oder?
Hermes Phettberg: Die lieb ich! Je enger, desto exakter liegen sie. Und jetzt kommt Gelb groß in Mode. Alle Männer hier tragen gelbe Hosen.
taz: Um Gottes willen! Gelb?
eze: Mir ist es noch nicht so aufgefallen, aber ich bin auch nicht sehr modebewusst.
Hermes Phettberg: Ich glaube schon.
taz: Rote Schuhe, die sind mir aufgefallen. Tragen alle, auch ein Wahnsinn.
Hermes Phettberg: Na, sehen Sie! Na, sehen Sie! Bei Hosen ist es Gelb
taz: Aber sprechen wir über Politik. Viele Menschen haben Angst im Moment, der politischen Lage wegen.
Hermes Phettberg: Ich nicht.
taz: Nicht?
Hermes Phettberg: Wenn jetzt viele aus Syrien kommen, sind ja auch viele Jeansboys dabei!
taz: Das stimmt. Es heißt, es seien bis zu zwei Drittel Jeansboys.
Hermes Phettberg: Was will man mehr!
taz: Die Rechten in Deutschland scheinen das anders zu sehen.
eze: Zumindest in Österreich ist es so: Je weniger Migranten real vor Ort sind, desto ärger sind die rechten Auswüchse.
taz: Wie in Ostdeutschland. Fremdenfeindlichkeit ohne Fremde.
Hermes Phettberg: Wir können nur hoffen, dass Europa besteht.
taz: Die Flüchtlinge haben ihre Heimat verloren. Hätten Sie sich je vorstellen können, aus Wien wegzugehen?
Hermes Phettberg: Nein. Aber wenn mich jemand einlädt, da komm ich glatt hin. Ich lass mich nicht bitten ohne Ende.
eze: Er war ja jetzt im Juni in Berlin – das wissen Sie, oder?
taz: Im Berghain.
eze: Genau, im Berghain.
Hermes Phettberg: Wir fahren über Weihnachten sogar nach Bonn!
eze: Ja, und über Weihnachten fährt er in die Nähe von Bonn, da hat er eine Bekannte, also eine Freundin, eine gute.
Hermes Phettberg: Das war geil im Berghain! Das war geil! (Zu eze:) Geh, bitte hol das Foto her! Mein Foto!
taz: Man darf doch gar nicht fotografieren im Berghain?
Hermes Phettberg: Ja, doch. Doch, das war eine Ausnahme, eine Ausnahme,
eze: Damals lief der Film „Der Papst ist kein Jeansboy“ in den deutschen Kinos an, und das war sozusagen eine Promotion-Veranstaltung, sowohl Hermes, als auch der Regisseur Sobo Swobodnik als auch der Manager Scumeck Sabottka waren anwesend.
Hermes Phettberg: Hier ist das Foto, das ist mein Porno.
taz: Ah ja, und da sind auch die Jeansboys, von denen Sie bei der Performance ausgepeitscht werden. Sehr schön.
Hermes Phettberg: Bei solchen jungen Burschen kommt noch ein bisschen, wenn man da wen angreift, kommt noch ein bisschen. Man kommt zu einem kleinen Steifen.
taz: Durchschleifen?
Hermes Phettberg: … ein bisschen zu einem Steifen, zu einem „kleinen Steifen“.
taz: Das Berghain ist ein bisschen auch eine Kathedrale, nicht?
Hermes Phettberg: Ja. Ja.
taz: Der perfekte Ort für Sie. Sexualität und Religion, das sind doch Ihre Hauptthemen.
Hermes Phettberg: Ich würde gern hinziehen – wenn ich dort eine Möglichkeit hätte zu aktionieren.
eze: Der Manager von Kraftwerk hat das damals organisiert, diese Aktion mit Hermes Phettberg im Berghain.
Hermes Phettberg: Ich würd’ sofort alles machen, nackt und so weiter, alles, alles, sofort, jederzeit. Ich bin quasi ein Stricher! Wenn mich wer brauchen würde.
taz: Sexuelle Entgrenzung, damit wurden und werden Sie stets verbunden. Sie selbst hatten aber nur siebenmal tatsächlichen Sex?
Hermes Phettberg: So zirka. Das wird schon stimmen.
taz: Das hat sie auch gerettet, oder?
Hermes Phettberg: Ich hab’ kein Aids.
taz: Haben Sie viele Freunde durch Aids verloren?
Hermes Phettberg: Nein. Ich war immer sehr allein. Ich bin aus Unternalb, im Weinviertel. Und da, als ich fünfzehn Jahre alt war, da war ich das erste Mal auf einem Ball, auf dem Feuerwehrball in der Nachbarortschaft Zellerndorf. Und da waren unglaublich viele Leute dort, am Zellerndorfer Ball, und da saßen alle an langen großen Tischen, und ich auch dabei. Und plötzlich war mein Tisch, wo ich saß, leer. Alle waren weg, nur ich war da. Plötzlich hatte ich allein einen riesen Tisch. Das war meine früheste Erfahrung.
taz: Und später wurden sie doch erfolgreich. Beliebt. Ein Star!
Hermes Phettberg: Ja, das war mit dem Theater, das heißt „Sparverein Die Unzertrennlichen“. Und da war ich sehr beliebt. Da war ich sehr erfolgreich. Und da kam ich auf die „Nette Leit Show“.
taz: Die „Nette Leit Show“, eine Kultsendung der neunziger Jahre, eine Persiflage auf die seinerzeit virulenten Talkshows.
Hermes Phettberg: Die läuft derzeit wieder auf ORF3.
taz: Die Leute lieben Sie immer noch für diese Sendung. Aber es war auch eine Achterbahn. Erst waren Sie ganz oben, dann wieder ganz unten. War es das wert?
Hermes Phettberg: Ich bin eigentlich mit mir zufrieden.
taz: Das ist schön.
Hermes Phettberg: Es langt mir, dass ich meinen Blog schreibe.
taz: Nur ein Schlusswort für das Gespräch brauchen wir noch.
Hermes Phettberg: Alles vergeht.
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