Henning Harnisch über Albas Sportstunde: „Da geht gerade was“
Der Basketballclub Alba Berlin macht mit YouTube-Clips Wohnzimmersport mit Kindern populär. Henning Harnisch über „Albas tägliche Sportstunde“.
taz: Henning Harnisch, Sie machen mit „Albas täglicher Sportstunde“ während der Coronakrise den Wohnzimmersport vor dem Bildschirm wieder populär, die Clips werden bis zu 1,3 Millionen Mal geklickt. Überrascht Sie dieser Erfolg?
Henning Harnisch: „Überraschen“ wäre das falsche Wort. Eigentlich ist es doch klar, dass derzeit Kinder und Jugendliche, die zu Hause sind und sich bewegen wollen, nach solchen Formaten suchen. Überall gibt es Grundschulkids, die spielerische Übungen machen wollen, oder Teenies, die gerne Yoga machen wollen. In ihrem eigenen digitalen Raum, zum Beispiel in den Smartphone-Apps, finden sie bislang vor allem Angebote, die von Sportartikelherstellern von A bis Z durchkommerzialisiert sind. Im Sportunterricht bekommen die Lehrer es oft auch nicht hin, Bildung und Wissen cool zu vermitteln. In diese Lücke stoßen wir.
„Albas tägliche Sportstunde“ besteht also aus mehr als nur Fitnessübungen?
Genau. Dahinter steht eine ganzheitliche Sportkulturidee. Wir geben in den Videos Bewegungstipps, zugleich wollen wir Wissen über den eigenen Körper und Schulwissen vermitteln. Das ist ein Konzept, das Alba mit dem Schul- und Kitasport in Berlin im analogen Raum auch schon verfolgt. Unsere Vereinstrainer unterrichten in den Bildungseinrichtungen mit den Sportlehrern und Erziehern zusammen. Die Inhalte vermitteln wir nun eben digital.
Und dieses Format haben Sie mitten in der Coronakrise aus dem Boden gestampft?
51, ist ehemaliger Basketball-Nationalspieler und heute Vizepräsident des Basketballvereins Alba Berlin. Er koordiniert den Nachwuchsbereich des Clubs. Harnisch schrieb zwei Jahre lang die monatliche Kolumne „Henningway“ in der taz.
Nein, die Grundidee gab es schon. Zusammen mit einem Freund habe ich vor fünf Jahren unter dem Arbeitstitel „Das virtuelle Vereinsheim“ das vorbereitet, was wir jetzt machen. Im Übrigen bin ich selbst begeisterter Wohnungssportler – ich weiß, dass man in den eigenen vier Wänden gut Fitnesstraining machen kann. Dem Schauspieler und Autor Jörg Diernberger, auch ein Freund von mir, ist es zu verdanken, dass nun alles so schnell ging: Er hat sich bei Alba unsere Medienverantwortlichen und Trainer geschnappt und mit ihnen innerhalb einer Woche drei Sendungen produziert.
Gab es Vorbilder?
Ich selbst bin in den siebziger und achtziger Jahren mit zwei Fernsehsport-Formaten aufgewachsen, die mir viel bedeutet haben: „Pfiff“ im ZDF und die Tele-Ski-Gymnastik im Bayerischen Rundfunk. Das haben damals alle gemacht, das war eine richtige Welle. Nachdem die Sendungen eingestellt wurden, sind sie nie durch irgendetwas ersetzt worden. Es ist ähnlich wie mit den Bundesjugendspielen: Auch die sind nie von zeitgemäßeren Formaten abgelöst worden.
Was kann denn das Alba-Trainingsstreaming via YouTube besser als der analoge Sport?
Du gelangst direkt in die Wohnzimmer der Menschen. Das Analoge hat überhaupt nicht so eine Kraft – da musst du immer klingeln und warten, ob jemand aufmacht. Und wenn Stefan Ludwig, einer unserer Trainer, in die Gropiusstadt fährt und dort unterrichtet, erreicht er einmal in der Woche zwölf Kinder. Auf YouTube erreicht er Hunderttausende.
Sie kämpfen seit vielen Jahren für eine basisorientierte Sportidee, bei der Vereine, Bildungseinrichtungen und lokale Institutionen ein enges Netzwerk bilden. Wollen Sie nun mit der Alba-Sportstunde Follower gewinnen?
Alba Berlin hat unter anderem die Sport-Bildungsprojekte „Kitasport“ und „Alba macht Schule“ entwickelt, bei denen Jugendtrainer in den Bildungseinrichtungen unterrichten. Zudem hat Alba in Berlin eine Basketball-Grundschul- und Oberschulliga ins Leben gerufen. Das Heimsport-Videoformat „Albas tägliche Sportstunde“ gibt es seit knapp zwei Wochen für den Personenkreis Kita, Grundschule und Oberschule, inzwischen sind 15 Folgen abrufbar.
Auf jeden Fall. Ich hoffe, dass das eine Idee wird, die nach der Krise übertragen werden kann in die analoge Welt. Und ich spüre: Da geht gerade was, da entwickelt sich was. Es wäre auch überfällig.
Was ist so schlecht in der analogen Sportwelt?
Es gibt einfach keine attraktive Sportidee gerade, wohin man auch schaut. Es gibt Olympische Spiele, die eigentlich toll sind, aber irgendetwas stimmt mit ihnen nicht. Es gibt den Profifußball, der medial total aufgeladen ist, der aber sehr weit weg ist von Leuten wie mir, denen das soziale Erleben im Sport total wichtig ist.
Sie wünschen sich den Profisportverein als Sozialunternehmen.
Ja, für mich wäre die Abteilung Corporate Social Responsibility (CSR) die wichtigste im Club. So nennt man den Bereich, den der Profifußball sich geschaffen hat, um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Der Profisportverein sollte zum einen Motor einer Sportentwicklung in der Region sein, sich zum anderen aber gerade um Kinder und Menschen kümmern, die sonst immer zu kurz kommen. Ich tausche mich zum Beispiel mit den CSR-Leuten von Werder Bremen, Ludwig Voß und Michael Arends und Tobias Rauber vom SC Freiburg aus – beides Clubs, bei denen soziale Verantwortung größer geschrieben wird als andernorts. Beide Vereine arbeiten gerade an ähnlichen Formaten wie der Alba-Sportstunde, vielleicht können sie sich bei uns dazuschalten.
Sie sprechen oft von einer generellen Krise des Vereinssports, die wir schon seit Langem erleben. Was meinen Sie damit?
Ich glaube zum Beispiel, dass es Gründe dafür gibt, warum meine 16-jährige Tochter so selten zum Basketball-Training geht. Wir müssen die jüngere Generation mit den Vereinen anders ansprechen, ihnen andere Sachen anbieten. Zum Beispiel müssen wir versuchen, ihre digitalen Räume zu verstehen, das Digitale muss überhaupt eine viel größere Rolle in den Clubs spielen. Stattdessen sind der Vereinssport und der Schulsport der Realität der Kinder und Jugendlichen weit hinterher.
Aber für den Erwachsenenbereich scheint das Modell Sportverein noch zu funktionieren.
Das sehe ich anders. Vergangenes Jahr war ich im Vorfeld der Hessen-Wahl unterwegs, um zusammen mit dem SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel für meine Inhalte zu kämpfen. Ich habe mit 200 Sportlerinnen und Sportlern gesprochen, habe vom Dorfclub bis zum Großverein, von den Kitas über die Schulen bis zu den Unis alles abgegrast. Alle waren sich einig, dass es so nicht weitergehen kann. In Hessen entstehen überall Spielgemeinschaften, weil einfach die Leute zum Sportmachen vor Ort fehlen! Aus den Institutionen kommt kein Impuls; alles bleibt so, wie es schon immer war. Wir Sportler erdulden das alles. Es müsste eine Basisbewegung geben.
Wäre Corona also die Chance für einen Neubesinnung?
Ja, aber ich möchte nicht missverstanden werden: Diese Krise ist erst einmal schlimm und schwierig, wir müssen aus ihr herauskommen, mit möglichst wenig Erkrankten und Toten. Das ist das Wichtigste gerade. Dennoch ist die Coronakrise auch eine Gelegenheit, in den Reflexionsmodus zu gelangen. Es können sich Dinge entwickeln, die man in einer Zeit nach Corona, die hoffentlich bald kommt, nutzen kann.
Welche sind das?
Die Netzwerke, die jetzt entstehen. Wir wollen den Sport von der Kita über die Grundschule bis zur Oberschule zusammenbringen, und wir wollen die Sportvereine mit den Bildungseinrichtungen zusammenbringen. Darüber rede ich seit zehn Jahren mit den Leuten im organisierten Sport, aber es passiert nichts.
Wie sähe Ihr Bildungsideal in Post-Corona-Zeiten in der Schule aus?
Einerseits müssen das Digitale und das Analoge zusammenkommen, andererseits muss man fächerübergreifend denken. Ich habe den Schulleitern schon oft gesagt: Was ich gerne machen würde, ist, Sportlehrer, Vereinstrainer und Musiklehrer gemeinsam unterrichten zu lassen. So könnte man Themen wie Rhythmus, Koordination und Körperwahrnehmung bündeln. Super Idee, sagen immer alle – aber es wird nicht umgesetzt. Auch Sport und Sprachenlernen kann man kombinieren: An der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Berlin wollen wir gerade das Basketballtraining mit dem Chinesischlernen verbinden – wir bauen dazu chinesische Wörter in das Spiel ein. Idealerweise schafft man solche interdisziplinären Unterrichtsinhalte. Außerdem wäre es ein Einfaches, die Kids über Zoom oder Skype mit Schülern aus anderen Ländern zusammenzubringen. So könnte man einen interkulturellen Dialog führen – auch zwischen Lehrern, Erziehern und Trainern.
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