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Helferin über ihre Arbeit im Impfzentrum„Die Verletztlichkeit ist immer da“

Hanna Schmidt* arbeitet im Hamburger Impfzentrum. Der taz hat sie erzählt, wie sie dort die Fragilität des Menschen erlebt. Ein Protokoll.

Ebenso in einer neuen Situation wie die Impflinge: die Mitarbei­terInnen im Hamburger Impfzentrum Foto: Georg Wendt/dpa

Im Hamburger Impfzentrum zu helfen – das habe ich aus einem unmittelbaren Impuls heraus entschieden. Die Stadt Hamburg suchte ja MitarbeiterInnen, die die Impfberechtigung der Menschen prüfen und ihre Daten erfassen, gegen Bezahlung. Ich wusste: „Das ist etwas noch nie Dagewesenes, da will ich dabei sein. Ich möchte sehen, wie die Stadt diese Aufgabe, diese Mangelverwaltung meistert.“

Der zweite Impuls war ein humanitärer. Ich arbeite schon länger ehrenamtlich in der Sterbebegleitung und befasse mich überhaupt viel mit der Verletzlichkeit des Menschen. Und das Impfzentrum soll ja helfen, diese Fragilität – in diesem Fall in Bezug auf Corona – zu lindern.

Andererseits komme ich hier mit vielen Menschen in Berührung, die leidend sind und schwere Vorerkrankungen haben. Das habe ich bei meiner Arbeit sehr schnell bemerkt. Natürlich kann das auch eine etwas gefilterte Wahrnehmung sein, denn anfangs kamen ja die Hochbetagten, die über 80-, dann die über 70-Jährigen. Und als ich sah, wie mühsam sie gingen, wie sie sich unter Schmerzen auf den Stuhl vor meinem Schalter setzten, wurde mir wieder klar, wie unsere Gesellschaft Gebrechlichkeit oft verdrängt.

Inzwischen kommen aber auch Jüngere – VerkäuferInnen und BusfahrerInnen zum Beispiel. Und es ist schon frappierend, wie viele freimütig und ungefragt erzählen, dass sie eine Krebsdiagnose oder einen Herzinfarkt hatten. Verdammt viele berichten davon, und in dieser Dichte bemerkt man das im üblichen Umfeld nicht. Dabei ist diese Verletzlichkeit immer da.

Wir sind die Ermöglicher

Sie alle kommen mit der Hoffnung, geimpft zu werden, und wir an den Schaltern sind wie die „Türöffner“, an denen sich zeigt, ob jemand heute geimpft wird. Diese Entscheidung treffen wir nicht eigenmächtig oder willkürlich, im Gegenteil: Jeden Tag vor Schichtbeginn sagen uns unsere Vorgesetzten, ob weitere Gruppen jetzt impfberechtigt sind, und wir erhalten entsprechende Listen, wie sie von der Gesundheitsbehörde und der Ständigen Impfkommission vorliegen.

Dazu bekommen wir immer wieder die Botschaft, die auch auf unseren T-Shirts und Jacken steht: „Hamburg impft“. Wir sind nicht Verhinderer, sondern Ermöglicher. Wir wollen impfen! Und die sich ständig ändernde Kategorisierung, die Prioritätsgruppen, gibt es nur, weil zu wenig Impfstoff da ist.

Meine Aufgabe besteht nun darin zu prüfen, ob das Attest, die Bescheinigung einer Firma, einer Schwangeren oder einer pflegebedürftigen Person vorliegt. Ob der Impfling in Schleswig-Holstein wohnt und auch dort arbeitet – dann kann er oder sie in Hamburg leider nicht geimpft werden. Oder ob dieser Mensch in Hamburg arbeitet, zum Beispiel in einem Beruf der sogenannten kritischen Infrastruktur. Dann können wir impfen.

Aber nicht jeder Fall liegt so klar, und da beginnt der Ermessensspielraum: Wenn Arzt oder Ärztin auf dem Attest Prio­ritätsgruppe 3 angekreuzt hat – die zu diesem Zeitpunkt noch nicht dran war –, der Mensch aber einen sehr gebrechlichen Eindruck macht: Wurde dann wirklich bewusst diese Priorität angekreuzt? Im Zweifel frage ich meine KollegIn­nen oder Vorgesetzte. Die sind immer präsent – auch dann, wenn der Impfling die „Abweisung“ nicht akzeptiert und nach dem Chef fragt. Wobei ich zum Glück noch nie selbst erlebt habe, dass Abgewiesene aggressiv wurden.

Klug mit Erwartungen umgehen

Aber ich kann die Enttäuschung aller Abgewiesenen verstehen. Ich sage mir jedes Mal vor Schichtbeginn: Diese Menschen kommen voller Hoffnung. Wir müssen hier klug mit den Erwartungen der Menschen umgehen. Darum begegnen wir ihnen freundlich, erklären ihnen jeden Schritt, denn auch für sie ist die Situation gänzlich neu. Staatliche Verteilaktionen gibt es nur in sozialen Notlagen, nach Naturkatastrophen, bei Hungersnöten oder nach Kriegen.

In Deutschland hatten wir so etwas zum Glück lange Zeit nicht. Die Menschen sind also verunsichert, aufgewühlt, und wir müssen ihnen die Scheu nehmen, müssen ihnen die Abläufe erklären und geschmeidig gestalten. Wir müssen flexibel sein und sehen, wo Bedarfe sind: Die Menschen warten vor den Schaltern, dann komme ich ins Spiel, es folgt die ärztliche Beratung, dann die Impfung und die Ruhephase, dann das Auschecken. Wir müssen die Menschen im Blick behalten, KollegInnen leiten sie durch die großen Hallen. Da kann man nicht sagen: „Ich habe keine Lust“ oder „Das soll jemand anderes tun“. Sondern man tut, was gerade nötig ist, und ich habe den Eindruck, dass alle Mitarbeitenden das verinnerlicht haben.

Überhaupt ist die Struktur hier angenehm hierarchiefrei: Wir alle duzen uns – auch Laien wie ich mit ÄrztInnen und behördlichen Vorgesetzten, die wir nie zuvor gesehen haben. Alle sind ständig präsent und vermitteln uns, dass wir keine Scheu haben sollen. Entsprechend flexibel können wir auch mit den Impflingen umgehen. Neulich zum Beispiel kam ein 17-Jähriger, der nicht wusste, dass er einen Erziehungsberechtigen mitbringen muss. Ich habe ihm gesagt: „Es ist Nachmittag, versuchen Sie doch, Vater oder Mutter zu erreichen, und kommen Sie heute Abend wieder.“

Denn auch das gehört zur Flexibilität, zur Offenheit: nicht darauf zu pochen, dass jemand exakt um 10.12 Uhr kommt, wie auf seiner Benachrichtigung angegeben. Am selben Tag sollte man aber schon erscheinen, so viel Termintreue ist wichtig. Denn das Zentrum ist auf 7.000 und auch schon mal bis zu 10.000 Impfungen pro Tag ausgelegt, und größere Abweichungen stören die Abläufe erheblich.

Starker Teamgeist

Trotzdem empfinde ich das Impfzentrum nicht als anonymen Massenbetrieb. Natürlich ist das hier kein gemütliches Caféhaus, und ich muss stringent arbeiten. Ich kann auch nicht eine halbe Stunde lang prüfen, ob der- oder diejenige wirklich in der angegebenen Firma arbeitet. Denn erstens liegt ja die Bescheinigung vor, und zweitens steht es mir nicht an, das zu hinterfragen. Trotzdem bleibt gelegentlich Zeit für einen Scherz, wenn ich spüre, dass mein Gegenüber dafür empfänglich ist.

Überhaupt sind viele Impflinge freudig überrascht, wie gut alles funktioniert, oft loben sie uns – einfach in die Anonymität hinein, als Rädchen im Getriebe, als Team. Und genau das macht mich so zufrieden mit meiner Arbeit hier: dass die Leitung es geschafft hat, in dieser temporär zusammengestellten, bunt gemischten Gruppe einen starken Teamgeist zu schaffen. Und auch wenn es pathetisch klingt: Es ist gut, Teil dieses Ganzen zu sein. Für mich ist das Impfzentrum eine wichtige – und auch beglückende – soziale Erfahrung.

*der Name wurde von der Redaktion geändert

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1 Kommentar

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Für mich ein sehr eindrucksvoller Artikel. Aus einer für das „Impf-Geschehen“ sehr wichtigen Perspektive geschrieben – mit einem sensiblen, wachen, bewussten Blick, der zu einer intensiven Erzählung führt. So vieles (ehrenamtliches Engagement) wird angesprochen. Besser also, das hier nicht zu zerreden, sondern einfach wirken zu lassen. Ein Dankeschön an die Autorin.

    Ein Bericht, wie ich ihn ähnlich hier bei der taz von Peter Funken gelesen habe:

    *Im Impfzentrum: Pfeile, Westen, Spritzen. Das Design des Impfzentrums verrät die subkutane Message: Wir sind unterschiedlich und doch gleich. Es ist ein positiver Ort, keine Kaserne.*

    taz.de/Im-Impfzent...bb_message_4099981

    Ein Gewinn, beide Artikel zu lesen. Der wichtigen Inhalte wegen. Und wegen ihrer, wie soll ich es sagen, „perspektivischen Erzählweise“. So intensiv und dicht können solche „Erzählungen“ sein.