Helfer und Mitwisser des NSU: Prahlende Rechtsterroristen
Die Ermittler dachten, der NSU habe keine Mitwisser gehabt. Nach überraschenden Aussagen eines Angeklagten im NSU-Prozess ist das nicht mehr haltbar.
Drei Neonazis, die sich streng abschirmten und das Rauben, Morden und Bomben anfingen, ohne jemand anderen aus der rechtsextremen Szene in ihre Taten einzuweihen: Das war die Annahme, die die Ermittler zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) bisher hatten.
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, sprach im Untersuchungsausschuss des Bundestags von einer „extrem abgeschottet lebenden“ Bande, der es offenbar gelungen sei, „ihr mörderisches Tun selbst engsten Freunden und Unterstützern gegenüber zu verbergen“.
Doch nach nur wenigen Prozesstagen im NSU-Verfahren in München wackelt diese Annahme gewaltig. Denn zumindest die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben gegenüber ihren damaligen Kameraden durchaus Worte über ihre Taten verloren.
Neue Zeugen: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags will wieder in die Beweisaufnahme eintreten. Eigentlich hatte der Ausschuss die Befragung von Zeugen bereits abgeschlossen. Baden-Württemberg hatte kürzlich aber neue Akten an den Bundestag übersandt.
Offene Fragen: Dubios ist die Rolle einer V-Frau des Landesverfassungsschutzes namens „Krokus“. Sie will den Behörden nach der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn 2007 gemeldet haben, dass Rechtsextreme versuchten, etwas über den Zustand von Kiesewetters schwerverletztem Kollegen herauszufinden. Der Ausschuss will am 24. Juni den V-Mann-Führer von „Krokus“ hören. (dpa, taz)
Dringender denn je stellt sich nun die Frage: Wie viele Mitwisser gab es wirklich?
Einer der Angeklagten, der ehemalige Neonazi Carsten S., hat in dieser Woche in Saal A 101 ein tränenreiches Geständnis abgelegt, das weit über seine früheren Aussagen gegenüber dem BKA und der Bundesanwaltschaft hinausging. „Ich will reinen Tisch machen, es geht nicht anders“, sagte er.
Eine Bombe als Taschenlampe getarnt
Als er Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Frühjahr 2000 eine Ceska-Pistole samt Schalldämpfer lieferte, habe einer der beiden berichtet, „in Nürnberg in irgendeinem Laden eine Taschenlampe hingestellt“ zu haben – mutmaßlich eine Andeutung auf einen bisher nicht dem NSU zugeschriebenen Anschlag.
Am 23. Juni 1999 war in einer Pilsbar in der Nürnberger Südstadt, die ein türkischer Pächter betrieb, eine Bombe explodiert. Beim Reinigen der Toiletten hatte eine Putzkraft eine 30 Zentimeter große Taschenlampe gefunden. Als der 18-Jährige sie anknipste, explodierte sie. Der junge Mann hatte Glück: die selbst gebastelte Bombe verletzte ihn zwar am Oberkörper sowie im Gesicht und an den Armen, aber nach kurzer Behandlung konnte er das Krankenhaus verlassen.
Die Akten darüber hat die Nürnberger Staatsanwaltschaft inzwischen an den Generalbundesanwalt weitergeleitet. Der hat das Bundeskriminalamt beauftragt, wegen versuchten Mordes zu ermitteln. Sollte auch diese Tat dem NSU zuzurechnen sein, gingen drei Anschläge und zehn Morde auf das Konto der Terrorgruppe.
Es war nicht die einzige spektakuläre neue Aussage des Ex-Neonazis Carsten S. vor dem Münchner Oberlandesgericht. Der wie er wegen Beihilfe zum Mord Angeklagte Ralf Wohlleben habe ihm am Telefon einmal lachend berichtet, dass Mundlos und Böhnhardt jemanden angeschossen hätten. Hoffentlich nicht mit der Waffe, die er ihnen beschaffte, habe er sich damals gedacht, so Carsten S. Welche Tat gemeint war, ist noch unklar.
Treffen diese Aussagen zu, so wussten mindestens zwei Helfer, dass ihre Neonazifreunde im Untergrund schwerste Straftaten begingen – und behielten es über ein Jahrzehnt für sich, während der eine zwischenzeitlich Karriere in der rechtsextremen NPD machte und der andere ausstieg und ein neues Leben begann.
„Kein Zurück mehr“
Wenn Mundlos und Böhnhardt gegenüber dem damals 20 Jahre alten Carsten S. – den sie nur den „Kleenen“ nannten – mit Taten prahlten, dann dürfte davon ausgegangen werden, dass sie es auch gegenüber anderen Helfern taten, sagt auch ein Sprecher der Bundesanwaltschaft.
Dass die NSU-Terroristen in der Szene wahrgenommen werden wollten, verdeutlicht schon ein Brief, der 2002 entstanden und an mindestens zwei Macher von Neonaziheften verschickt wurde. „Die Aufgaben des NSU bestehen in der energischen Bekämpfung der Feinde des deutschen Volkes“, hieß es darin. „Getreu dem Motto ’Sieg oder Tod‘ wird es kein Zurück geben.“
Die Angehörigen der NSU-Opfer und ihre Anwälte haben schon von Anfang an darauf gedrängt, noch genauer der Frage nachzugehen, ob es weitere Mitwisser und Helfer gab, insbesondere in den Städten, in denen die Neonazis mordeten und Sprengsätze zündeten.
Die Bundesanwaltschaft hatte dagegen bei den Ermittlungen bisher keine „Anhaltspunkte für eine Beteiligung ortskundiger Dritter an den Anschlägen des NSU“ festgestellt.
4.000 ungeklärte Fälle
Doch nach den Aussagen von Carsten S. stellt sich auch diese Frage neu – vor allem in Bezug auf Nürnberg, wo der NSU neben drei Morden nun auch noch einen Bombenanschlag verübt haben könnte. Seit den 90er Jahren hatten die Thüringer Neonazis enge Verbindungen in die Szene in Franken. „Ich glaube, dass ein Kontakt im Raum Nürnberg vorhanden sein muss“, mutmaßte der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein im NSU-Untersuchungsausschuss.
Peinlich für die bayerische Polizei ist, dass sie seit dem Auffliegen des NSU im November 2011 nicht selbst auf die Idee kam, dass der Taschenlampen-Anschlag in Verbindung mit der Terrorgruppe stehen könnte. 4.000 ungeklärte Fälle vollendeter und versuchter Tötungsdelikte zwischen 1990 und 2011 haben die Behörden bundesweit noch mal überprüft, anhand eines Rasters, ob die Opfer Migranten, links oder homosexuell waren.
Der Bombenanschlag in Nürnberg von 1999 war nicht darunter – er war damals nicht als versuchter Mord oder Totschlag eingestuft worden.
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