Helfer der Geflüchteten in Idomeni: Das geordnete Chaos
Tausende harren an der griechisch-mazedonischen Grenze aus. Ohne die vielen Freiwilligen müssten die Flüchtlinge im Camp noch mehr leiden.
Polykastro taz | Das Park Hotel, ein Stück außerhalb der griechischen Kleinstadt Polykastro gelegen, ist „der Ort, wo das Abenteuer beginnt“. Wer sich einst diesen Werbeslogan ausgedacht hat, hatte Touristen im Sinn. Die Leute, die jetzt hier wohnen, sind gekommen, weil es vom Hotel nicht weit zur Autobahn ist. Nur ein paar Fahrminuten bis zum Flüchtlingslager Idomeni. Das Hotel ist das Zentrum der „International Volunteers“, der internationalen freiwilligen Helfer.
Idomeni ist für viele, die nach Europa wollen, der vorläufige Endpunkt ihrer Flucht geworden. Nach Mazedonien wird nur noch gelassen, wer einen gültigen Pass und ein Visum hat. Die sogenannte Westbalkanroute ist endgültig geschlossen. Tausende sitzen nun hier in dem schlammigen Camp außerhalb des Ortes fest, es ist kalt, aktuell ist eine Magen-Darm-Grippe ausgebrochen. Besonders für Kinder, warnt Ärzte ohne Grenzen, ist die Situation inzwischen lebensgefährlich.
Es ist Donnerstag dieser Woche, im Restaurant des Hotels sitzen an fast allen Tischen junge Leute und arbeiten an ihren Laptops, telefonieren, trinken Kaffee. Am Ecktisch laufen die Fäden zusammen. Hier sitzen die Portugiesinnen Marta Canete und Ângela Marquez, sie sind geduldige Ansprechpartner für alle Leute, die hier ankommen. Schüchtern fragen zwei junge Männer aus Norwegen, ob sie irgendwie helfen können. Die beiden vertrösten sie auf den nächsten Tag. „Seht euch erst mal um und besorgt euch einen Schlafplatz“, sagt Marta Canete.
38 Jahre ist sie alt, eine gestandene Frau, Krankenschwester von Beruf. Im Dezember waren sie und Ângela Teil eines kleinen Teams einer portugiesischen Hilfsorganisation, die Hilfsgüter an die Balkanroute brachte. Die Erfahrung, so viele verzweifelte Menschen gesehen zu haben, ließ die beiden nach ihrer Rückkehr vor Weihnachten nicht mehr los. Anfang Februar beschlossen sie, an die griechisch-mazedonische Grenze zurückzukehren – dieses Mal auf eigene Faust.
Ângela Marques und Julie Michelle Brustmann
Ângela Marques ist 31 Jahre alt, sie hatte einen guten Job in der Werbebranche; wie auch ihre Mitstreiterin gab sie ihre reguläre Arbeit auf. Sie wollten sich nicht festlegen, wann sie in ihr altes Leben zurückkehren. Kaum hat sie ein bisschen erzählt, wird sie schon wieder unterbrochen. Eine Gruppe junger Deutscher ist eingetroffen, die Essenpakete an die Flüchtlinge ausgeben wollen und nicht wissen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Man einigt sich auf die Tankstelle an der Autobahn, wo viele Familien campieren, die bisher nur sporadisch humanitäre Hilfe erhalten haben.
In der Atompolitik fiel sie um. In der Snowden-Affäre tat sie nichts. In der Flüchtlingspolitik bleibt sie standhaft. Warum man die Geschichte von Angela Merkel immer neu schreiben muss, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. März. Außerdem: Wie geht es einem, der jahrelang Crystal Meth genommen hat? Und: Die Geschichte einer syrischen Band, deren Mitglieder sich in Berlin wiederfinden. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Julie Michelle Brustmann, 21, ist eine der Deutschen, sie kommt aus dem Sauerland und hat sich über Facebook mit den Leuten von der Mobilen Flüchtlingshilfe vernetzt. „Wenn wieder genug Spenden zusammengekommen oder Hilfsgüter zu verteilen sind, entscheiden wir spontan, wohin wir fahren“, sagt sie. Dieses Mal also Idomeni, für 14 Tage. Mit den Spendengeldern haben sie Lebensmittel eingekauft, jetzt werden diese im Hof des Hotels verpackt: Milchmixgetränke, Äpfel, Bananen, Sandwichs und Süßigkeiten. „Es werden heute wohl 400 Beutel werden“, sagt sie. Gegen Abend wollen sie sich auf den Weg zur Tankstelle machen.
Unterdessen sind Leute von der Insel Lesbos eingetroffen, die dort sieben Monate lang halfen, Flüchtlinge zu bergen und zu versorgen, die nach der gefährlichen Überfahrt meist völlig durchnässt den Strand erreichten. Die beiden Portugiesinnen müssen sich jetzt jedoch um etwas anderes kümmern. In der Nacht wollen sie trotz des wieder stärker werdenden Regens Kleider und Regenmäntel im Camp verteilen und neue Zelte aufstellen. „Wir werden bis auf die Haut durchnässt, aber das macht nichts“, sagt Jumana Al-Kury. Die 26 -jährige Kanadierin ist bei fast allen Aktionen der Gruppe dabei. Weil sie aus Palästina stammt, kann sie mit den Flüchtlingen auf Arabisch kommunizieren.
NoBorderKitchen
In dem Hotel gegenüberliegenden Gebäuden hat die Gruppe einen Lagerraum angemietet. Seit zwei Wochen hilft hier auch der Student Max aus Berlin mit, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Er beaufsichtigt das Verladen und die Lagerung der Hilfsgüter. „Wir bekommen Spenden von vielen Seiten, so sammeln Belegschaften in ganz Europa Geld, oder Firmen spenden Zelte und Decken, oder einfache Bürger kommen im Campingwagen vorbei und laden aus, was sie für die Flüchtlinge eingekauft haben.“ Er arbeitet mit einer Gruppe aus Erfurt zusammen, die gerade Ausrüstung für eine Großküche nach Griechenland gebracht hat, um die Organisation NoBorderKitchen zu unterstützen. Dort engagieren sich inzwischen 70 Freiwillige, die in der vergangenen Woche täglich 8.000 Essen im Lager Idomeni verteilt haben. Bald werden sie nach Deutschland zurückkehren. Zu Hause könne ihm niemand mehr etwas über Flüchtlinge erzählen, sagt Max. „Nach diesen Erfahrungen weiß ich es besser. Und ich kann mich morgens im Spiegel ansehen, ohne mich zu schämen.“
Es ist schon erstaunlich, wie in diesem Chaos der Selbstorganisation alle Räder ineinandergreifen. Ohne die internationalen freiwilligen Helfer, das lässt sich sagen, ginge es den Flüchtlingen noch weitaus schlechter.
Im Restaurant des Hotels ist inzwischen etwas Ruhe eingekehrt. Viele haben sich am späten Nachmittag in ihre Zimmer zurückgezogen. Marta Canete hat sich in ihrem Stuhl zurückgelehnt und genießt diesen Augenblick. Eines ist ihr wichtig zu sagen: Sie und alle anderen Frauen hätten während der ganzen Zeit nie eine Anmache durch die „muslimischen Männer“ erfahren, wovon in Europa so viel gesprochen wird. Es sei nur einmal eine gefährliche Situation entstanden, als nach der Schließung der Grenze Unruhen ausbrachen. „Da wurde unser Zelt im Lager mit all den Lebensmitteln und Kleidern gestürmt und geplündert.“
International Volunteers
Langsam tröpfeln die Hauptorganisatoren der Gruppe ein, darunter Nicholas Connolly Rangos, ein bärtiger 35-jähriger Ire mit griechischem Vater, „nein, ein Grieche mit irischer Mutter“, korrigiert er sich, der zusammen mit seiner aus den USA stammenden Frau Chloe Anfang Januar die International Volunteers gegründet hat. Wie alle Mitglieder des engeren Führungszirkels hat auch er seinen Job gekündigt, um sich hier zu engagieren.
„Ich war bei einer Reederei angestellt“, sagt Nicholas Connolly Rangos. „Wir leben hier von unseren Ersparnissen, wir tragen die Kosten für Essen und für die Zimmer alle selbst aus eigener Tasche.“ Die Frage, wie lange man das aushalten kann, steht im Raum. Ângela Marquez gibt zu: „Manchmal wächst mir das alles über den Kopf.“
In jedem Menschen, so fährt Nicholas Connolly Rangos fort, stecke doch das Bedürfnis, anderen in Not zu helfen, „das ist tief in einem selbst“. Am Anfang sei die Arbeit noch nicht so kompliziert gewesen, da waren sie zu sechst, und es ging vor allem darum, Kleidung zu organisieren für Menschen, die ankamen und schon in der gleichen Nacht weiter nach Mazedonien gebracht wurden. „Jetzt ist es was anderes. Jetzt zeigt Europa die kalte Schulter.“ Aber gerade jetzt, sagt er, bringe die Arbeit Befriedung. „Wir treten für die Werte Europas ein.“
Wegen der schlechten Bedingungen haben Ende der Woche ein paar Hundert Flüchtlinge das Lager verlassen. Aber immer noch, so hieß es am Freitagmorgen, harren dort mehr als 12.500 Menschen aus.
Leser*innenkommentare
Irene
Dank an Herrn Rathfelder für diesen Bericht aus der Wirklichkeit