Heimskandal in Schleswig-Holstein: Das nächste Jugendheim macht zu
Das „Therapiezentrum Rimmelsberg“ stellt den Betrieb ein. Wegen strafender Pädagogik steht es in der Kritik. Hamburg schickte trotzdem Kinder dorthin.
Die Einrichtung mit acht Häusern und 61 Plätzen wurde zuletzt außer von Hamburg kaum noch belegt. Anfang Mai hatten die Hamburger Links-Politikerin Sabine Boeddinghaus und der Kieler Piraten-Abgeordnete Wolfgang Dudda öffentlich Vorwürfe erhoben. Anlass waren Berichte von ehemaligen BewohnerInnen, die sich SozialarbeiterInnen der Anlaufstelle Kids am Hamburger Hauptbahnhof anvertraut hatten. Von nächtlichem Wecken und Strafsport, einem sanktionierenden Punktesystem, einem „Losertisch mit Wasser und Brot“, von zu wenig Essen und ähnlichen Schikanen hatten sie berichtet. Betreuer sollen Kinder angeschrien und geschlagen haben. Kids machte daraufhin Meldung bei der Heimaufsicht.
Boeddinghaus hatte damals in einer Anfrage nach Beschwerden gefragt. Hamburgs Senat antwortete, es habe im Dezember 2015 drei Beschwerden früherer BewohnerInnen gegeben. Daraufhin habe man die Situation dort überprüft und „inakzeptable Erziehungsmethoden festgestellt“. Etwa dass es dort „unfreiwilliges Joggen“ gab. Oder dass es zu „körperlichen Übergriffen einzelner Erzieher in Konfliktsituationen gekommen ist“. Der Träger habe zugesichert, die beanstandeten Maßnahmen nicht mehr einzusetzen. Mitarbeiter seien „sanktioniert“ worden. Deshalb sah Hamburg kein Problem, die Kinder dort zu lassen.
In Schleswig-Holstein, wo noch immer die Affäre um die zu späte Schließung der Friesenhof-Mädchenheime gärt, kochte das Thema hoch: Rimmelsberg sei schon länger „unter Beobachtung“, man habe alles im Griff, ließ Ministerin Kristin Alheit (SPD) das Parlament wissen.
Hannover zog Kinder ab
Am 19. Mai lud der neue Geschäftsführer Volker Clemens die Medien zum „Tag der offenen Tür“ ein, präsentierte sich mit neuem Konzept – und gab Fehler zu. „Das kann man nicht schön reden“, sagte er zu den Vorfällen, die in der Vergangenheit lägen. Das Punktesystem, in dem Kinder etwa mit der Streichung von Heimurlaub bestraft wurden, sei gestoppt. „Die damalige pädagogische Leitung war überlastet und es hat keine Kontrolle gegeben“, versuchte Clemens eine Begründung.
Es sei zu häufig „Nein“ gesagt worden, ergänzte die damals neue pädagogische Leiterin Christina Reddmann. Einen speziellen Loser-Tisch während der Mahlzeiten habe es Clemens zufolge nicht gegeben, allerdings hätten manche Kinder umgesetzt werden müssen, weil sie mit Essen geworfen hätten. Andere Vorwürfe wie Strafsport oder nächtliche, quasi-militärische Appelle bestätigte das Jugendheim nicht, konnte sie aber auch nicht ausschließen.
Doch schon im Mai waren nur 41 der 61 Plätze belegt. Das Jugendamt Hannover etwa hatte sechs Jugendliche wegen der Vorwürfe abgezogen. Die wirtschaftliche Lage sei ein Problem, räumte Inhaber Manuel Feldhues ein. Er habe „einen Scherbenhaufen vorgefunden“, als er 2012 das in den 1980er-Jahren von seiner Mutter gegründete Heim übernahm. Ins Detail ging er nicht. Doch als der Spiegel kurz darauf über einen fehlenden „Liquiditätsnachweis“ berichtete, wehrte sich das Heim mit einer „Gegendarstellung“ auf seiner Homepage: Der Nachweis sei im laufenden Betrieb nicht erforderlich. Auch lasteten auf dem Unternehmen nicht zwei Millionen Euro Schulden, den keine Vermögenswerte gegenüberstünden.
Hamburg tat so, als wäre nichts
Dennoch, Mitte August kam das Insolvenzverfahren. Er sehe Möglichkeiten, den Betrieb zu sanieren, sagt der Insolvenzverwalter Sven-Holger Undritz, mit neuem pädagogischen Konzept und gegebenenfalls neuer Struktur und Trägerschaft. Doch daraus wurde nichts.
Während andere Länder die Kinder abzogen, taten Hamburgs Jugendämter fast so, als wäre nichts. Obwohl der Heimaufsicht schon im Januar die Kritik bekannt war, kamen bis Ende Oktober vier neue Jugendliche in das Heim. Bis zum Schluss waren dort zehn Hamburger Kinder. Und es gab, auch das belegt die neue Boeddinghaus-Anfrage, in dieser Zeit vier weitere Beschwerden.
Die Abgeordnete wirft Hamburgs Behörden vor, sich zu wenig zu kümmern. Von den 23 jungen Menschen, die im Laufe dieses Jahres in Rimmelsberg waren, wurden 18 kein einziges Mal vom Jugendamt besucht. Das sei, so Boeddingshaus, nach den detaillierten Vorwürfen „einfach unglaublich“.
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