Heim für traumatisierte Flüchtlinge: Verunsichert und verschreckt

Im Refugium in Berlin-Reinickendorf wohnen schwerkranke und traumatisierte Flüchtlinge. Die Plätze reichen aber nicht für den Bedarf.

Aydan Özoguz steht zwischen Doppelstockbetten

Pflegt den Kontakt zur Basis: Aydan Özoguz in einem Flüchtlingsheim im August 2015. Foto: dpa

BERLIN taz | Im Flur hängen Bilder vom kurdischen Newroz-Fest, von einem Ausflug in einen Tierpark und vom Erntedankfest, man sieht fröhliche Gesichter. „Auch die Sternsinger waren bei uns“, erzählt die Leiterin des Refugiums, Clauda Da Silva. An der Wand hängen aber auch Termine für eine psychologische Sprechstunde, für Berufsberatung und Hausaufgabenhilfe. „Alle Kinder hier gehen in die Schule“, sagt da Silva. Auf einem weiteren Aushang wird der Besuch der Staatsministerin für Integration, Aydan Özoguz, angekündigt, mit Foto.

Dem Amt nach ist Özoguz die Beauftragte für die Flüchtlingspolitik, im Kanzleramt hat sie ihr Büro. Doch weil die Flüchtlingspolitik zur Chefsache geworden ist, zu der sich alle und jeder zu Wort melden, steht die SPD-Politikerin im Schatten der Kanzlerin und ihres eigenen Parteichefs, Sigmar Gabriel. Beide haben sie Peter Altmaier (CDU) zum Koordinator der Flüchtlingspolitik ernannt, er ist ihr Nachbar im Kanzleramt. Özoguz kümmert sich eher um die Mühen der Ebene: Sie pflegt den Kontakt zur Basis, etwa zu den Wohlfahrtsverbänden und den Ehrenamtlichen. Darum ist sie an diesem Tag hier.

Das Marie-Schlei-Haus in Berlin-Reinickendorf ist ein Refugium für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge – die erste Einrichtung dieser Art in Berlin. Sie beherbergt derzeit über 170 Personen, davon 48 Frauen, 46 Männer und 78 Kinder. Die meisten sind hier, weil sie schwere Erkrankungen haben oder schwer traumatisiert sind – Frauen, die vergewaltigt und gefoltert wurden, Kinder, die Krebs haben, oder Männer, die psychisch erkrankt sind. „Wir sind eine Mischung aus Krankenhaus und Psychiatrie“, sagt Da Silva.

Früher ein Pflegeheim für Behinderte, wurde die Einrichtung 2013 zum Flüchtlingsheim umgewidmet. Die Bewohner kommen aus Krankenhäusern, Wohnheimen und Psychiatrien hierher, in Absprache mit dem zuständigen Berliner Landesamt (Lageso). Die meisten wohnen bereits mehr als ein Jahr hier, manche von Anfang an.

Im Idealfall verlassen sie das Heim, wenn sie eine Wohnung finden, im schlechtesten Fall, wenn sie abgeschoben werden. Aber die Fluktuation ist gering und die Warteliste sehr lang. „Der Bedarf ist weitaus höher, die Plätze reichen nicht aus“, sagt Da Silva. Doch auch die Bürokratie sorgt für Probleme: Schon oft hätten dringende Operationstermine verschoben werden müssen, weil irgendein Stempel fehlte. Eine Gesundheitskarte, hofft Özoguz, könnte hier für Erleichterung sorgen.

Gegen den Generalverdacht

„Die politischen Debatten wirken sich konkret auf unsere Arbeit vor Ort aus“, sagt Manfred Nowak, der Leiter des AWO-Kreisverbands Mitte. Dass in Berlin im Oktober ein Flüchtlingskind entführt und ermordet wurde, hat viele Eltern verunsichert und verschreckt. Und als über die Einstufung Afghanistans als „sicheres Herkunftsland“ debattiert wurde, gab es Proteste von AWO-Mitarbeitern. „Die Flüchtlinge sind gut vernetzt und bekommen mit, was besprochen wird“, sagt Nowak. Auch die Pläne, den Familiennachzug einzuschränken, sorgten zuletzt für Unruhe. Özoguz ist strikt dagegen: „Das würde erst recht eine Sogwirkung entfalten und zu noch mehr Bildern von toten Kindern im Mittelmeer führen“, ist sie überzeugt.

Zu den Übergriffen in Köln sagt Özoguz: „Es steht zu befürchten, dass die Flüchtlinge für die Übergriffe verantwortlich gemacht werden.“ Aber es dürften nicht alle zu potenziellen Kriminellen abgestempelt werden. Ihre Forderung: „Bitte einen kühlen Kopf bewahren und nicht unter Generalverdacht stellen.“ Es sei wichtig, herauszufinden, ob es sich um eine neue, perfide Art der organisierten Kriminalität handle und wie die Täter zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Für die lauten Töne in der Debatte sind andere in der Regierung zuständig.

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