Heike-Melba Fendel über #metoo: „Mehr wilde Fiktionen statt Hashtags“
Choreografierte Empörungskultur: Die Schriftstellerin und Schauspielagentin Heike-Melba Fendel kritisiert die #metoo-Kampagne
taz am wochenende: Nachdem Dutzende Frauen den Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein des sexuellen Missbrauchs angeklagt und in der Folge Unzählige unter dem Hashtag #metoo von ihren Sexismuserfahrungen berichtet hatten, entwickelte sich eine zentrale Debatte des Jahres über sexuelle Übergriffe und frauenfeindliche Machtstrukturen. Was hat aus Ihrer Sicht bisher gefehlt, Frau Fendel?
Heike-Melba Fendel: Das ist weniger eine Debatte denn ein reines Wirkungsphänomen, eine Steilvorlage für Emotionen. Das Urteil ist von vornherein gefällt. Es gibt keine divergierenden Standpunkte, die man herausarbeiten und dann im Idealfall zusammenführen könnte. Es gibt den Herrenwitzverteidiger, der nicht mehr weiß, wie er jetzt flirten soll, aber das ist keine echte Positionierung. Selbst ich denke ständig, dass ich voranschicken muss, dass ich natürlich gegen jede Form von Missbrauch bin, wenn ich eine Position einnehme, die nicht dem Reiz-Reaktions-Schema entspricht. Als stünde das in Zweifel. Es fehlt der Wille zur Differenzierung. Die Bereitschaft, anderen zuzuhören, sobald die nicht in die Empörungsfolklore einstimmen.
Wer über Sexismus reden will, muss über Sex reden, sagen Sie. Was heißt das?
Man kann keine Täter-Opfer-Schemata aufmachen im Kontext von Sexismus und sexualisierter Gewalt, ohne sich mit dem zu befassen, was der Ausübung von Sexualität vorgelagert ist: Begehren.
Im Sinne von „Ich fühle mich zu einem anderen sexuell hingezogen“.
Anspruch dieser sich als aufklärerisch ausweisenden Kampagne ist ja, dass Sexualität anders, also auf Augenhöhe zwischen den Beteiligten verhandelt wird. Aber weder erwähnt noch eben verhandelt wird weibliches Begehren und wie es sich in die Gemengelage wechselseitiger Erwartungen einfügt. Die bei #metoo sprechende Frau ist nur Gegenstand eines in falsche Handlung überführten Begehrens der Männer.
Jahrgang 1961, ist Schriftstellerin, Journalistin und Geschäftsführerin der Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Zehn Tage im Februar“ (Blumenbar, Januar 2017). Sie ist außerdem Redakteurin und Autorin der feministischen Kolumne „10 nach 8“ auf Zeit Online.
Worüber müssen wir reden?
Es geht, denke ich, nicht um das „auch“ von #metoo, es geht um das „ich“. Die Frage also, was Opfer-Täter-Bilder für die eigenen Beziehungen bedeuten. Letztlich reden wir über einen intimen Raum, in dem zwei Leute – oder auch mehr – ihre intimen Dinge verhandeln. Da beginnt alles, und da landet es auch wieder, nachdem es seine medialen Schleifen gedreht hat. Dass öffentliches Anklagen das intim zu Verhandelnde bereichert, da habe ich meine Zweifel.
Warum?
Parallel zur und im toten Winkel der #metoo-Kampagne sehen wir zum Beispiel eine Generation von Jugendlichen in täglicher Konfrontation mit Pornos jedweden X-Ratings und krassen Dating-Apps. Wenn eine junge Frau mit 14, 15 jetzt zum ersten Mal mit einem Jungen schläft, dann ist sie mit dieser Konditionierung ihres Partners, wie auch der eigenen, in viel existenziellerem Maß konfrontiert als mit dem aufklärerischen Radius von #metoo. Das ist alles andere als Whataboutism, es muss zusammengedacht werden.
Was bedeutet das?
Sie müssen sich als Frau in jedem Alter fragen: Wie kann ich in Aushandlung mit dem Mann Sexualität jenseits normierter Rollenbilder und Zuweisungen leben? Intimität ist etwas so Fragiles wie Wildes, das ist immer schwierig. Aber wenn sie ideologisiert wird, verschließen wir den Möglichkeitsraum zwischen uns und unseren Partner oder auch nur Geschlechtspartnern.
Sexuelle Gewalt hat überhaupt nichts mit Sex zu tun, ist die Gegenposition. Sie ist Gewalt, um zu unterwerfen. Das ist das Modell Hollywoodmogul.
Die Verknüpfung von Macht und Sexualität zuungunsten der Frauen ist kein hollywoodspezifisches Verbrechen. Und etliche Spielarten von Sex haben nun einmal durchaus mit Unterwerfung und Gewalt zu tun. Dazu hat auch und gerade Hollywood viele Bilder produziert. Von deren Auswirkungen sind nicht nur die Protagonisten vor Ort geprägt, sondern wir alle.
Ihre Talkshow-Mitdiskutantin Verona Pooth war entsetzt, weil Sie dafür plädieren, den des Mißbrauchs bezichtigten Schauspieler Kevin Spacey nicht einfach aus einem Film herauszuschneiden.
Warum schauen wir uns Filme an, warum lesen wir Bücher? Wir wollen Identitäts- und Narrationsangebote bekommen, die nicht unsere eigenen sind oder sein können. Und ein Kollektiv von Künstlern und Handwerkern ermöglicht uns im Kino eine solche Bereicherung. Allerdings nur bei Wahrung des Sicherheitsabstands zur eigenen Realität. Wenn man das nicht braucht oder haben will, sieht man es eins zu eins und behandelt Spacey wie einen Nachbarn, der den Hund vergiftet hat.
Der emanzipatorische Fortschrittsbegriff als künstlerische Zensur?
Sagen wir so: Man kann unsere Zeit auf mehr Arten erzählen als auf die eine, nach der aufgeklärte Frauen aufgeklärten Männern begegnen und aufgeklärte Kunst- und Kulturprodukte produzieren. Oder dass aufgeklärte Frauen unaufgeklärten Männern das aufzuoktroyieren versuchen, wie man früher sagte. Ich glaube, dass wir schauen müssen: Anhand welcher Punkte wird unsere Zeit erzählbar? Sicher eher nicht dort, wo eine Internetmoral zum Handlungsdiktum wird.
In einem Essay mit dem Titel „Schlimm, aber sexy“ haben Sie beschrieben, warum Medien das Thema so lieben: weil man neben Aufklärung und Entlarvung von Machtstrukturen damit auch Geilheit bedient.
Klar: Schöne junge Frauen, die angefasst wurden. Schlimm, aber sexy. Ich habe in der Agentur im Oktober jeden Tag fünf bis zehn Anrufe bekommen, von Journalisten, die unbedingt Namen von missbrauchten Frauen aus Deutschland wollten, aber so krass dringend, dass es wirklich unangenehm wurde.
Was haben Sie Ihren Klientinnen geraten?
Ich habe allen gesagt, nichts zu sagen.
Warum nicht?
Als Agentin stellen Sie immer die Frage: Wer hat was davon, wenn eine prominente Frau sagt, was ihr passiert ist? Hat sie selbst was davon? Nein. Glauben Sie, es sorgt für gesellschaftlichen Fortschritt, wenn etwa Bild eine Titelgeschichte bekommt mit einer sehr prominenten Frau, der etwas Schreckliches widerfahren ist? Davon profitieren nur die Medien, die damit Bildwelten in den Köpfen entstehen lassen, die mit dem aufgeladen sind, was Sie geil nennen und ich sexy.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Die Frauen aus Hollywood, die gegen Weinstein aufgestanden sind, wurden als „Person of the year“ ausgezeichnet.
Ja, von wegen mutige Celebrities. Ich weiß nicht, wie mutig es ist, Teil eines vollkommen akzeptierten „Auch“-Kollektivs zu sein. Es ist doch das Prinzip aus „Des Kaisers neuen Kleidern“. Mutig ist der oder die Erste. Dann bricht der Damm. Dann beginnt der Mainstream. Stars sind hochkommerzielle Einheiten, und das Image von Stars ist so volatil wie das von Aktien. Wenn die falschen Gerüchte entstehen, kann die Nachfrage extrem beeinträchtigt werden. Und zwar durch zu früh geäußerte Solidarität ebenso wie durch Unterlassen der Solidarität. Es geht um das Timing. An der Frage, wann man mit einem Thema nach außen geht, hängt sehr viel Geld.
An manchen Stars hängen viele Arbeitsplätze von normalen Menschen.
Auch. Das ist doch so was von klar, dass in Hollywood niemals jemand einfach so sagt, was er oder sie denkt. Wenn man Kevin Spacey aus „Alles Geld dieser Welt“ rausschneidet aus der Überlegung heraus, dass er dem Einspielergebnis schadet, fragen sich seine prominenten Kollegen sehr genau: Okay, ist jetzt der Moment für Solidarität?
Was nehmen wir nach 2018 mit?
Wir brauchen wildere Fiktionen statt weiterer Hashtags. Um unsere Möglichkeitsräume neu zu definieren. Mit Empörung und Hashtags können Sie nur Eindeutigkeit ausstellen, aber nicht auf eine Zukunft hinwirken, die auf eine andere Art lebenswert wäre als eine klickorientierte und sich dem Kapitalismus unterwerfende Logik des Begehrens und dessen Ideologisierung. Sie können fragen: Was habe ich aus meiner Lust gemacht, warum habe ich es gemacht, wer war der andere, was hat der gemacht? Da hilft keine vorgefertigte Empörungschoreografie.
Frau Fendel, Sie sind eine Liberale, während die anderen die wehrlosen Menschen durch Strukturen schützen wollen. Das ist Ihnen klar, oder?
Ich würde das auf keinen Fall mit einem Begriff der politischen Liberalität verknüpfen.
Schon klar. Ganz ruhig.
Ich möchte eher über Strukturen des Möglichen nachdenken. Sie müssen mit dem Begreifen anfangen und nicht mit dem Ablehnen. Wer sich nicht zum Verstehen bereit erklärt, der kann auch kein Urteil fällen.
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