„Haut wie Pelz“ von Rapper Apsilon: Wut kann so sensibel sein
Antwort auf Remigrationsfantasien: Apsilon verhandelt auf seinem musikalisch und textlich packenden Debütalbum Rassismus, Trauma und Männlichkeit.
Was tun, wenn das Land, in dem man lebt, einem das Gefühl gibt, man gehöre nicht dazu? „Haut wie Pelz“, das Debütalbum des Berliner Rappers Apsilon, beginnt mit einer Außenansicht: „Wenn Deutschland mich wieder ansieht / und sagt, mein Herz hat kein Platz hier… / Wenn mein Nachbar keine Menschen, sondern nur sein Land liebt.“
Die Reime sind geprägt von Eindrücken rund um das sogenannte Remigrationstreffen unter Beteiligung von AfD-Mitgliedern in Potsdam in diesem Jahr. Der rechtsradikale Geheimplan zeigte allen Menschen, die auch nur im Entferntesten als „migrantisch“ gelesen werden könnten, dass ihnen nicht einmal der deutsche Pass mehr die Zugehörigkeit zu diesem Staat garantiert.
Apsilons Antwort ist der schonungslose Blick zurück: „Deutschland, ja, Du kannst uns abschieben / Deine Rentner sammeln trotzdem Pfandflaschen aus den Tonnen“. Er wählt den Kampf – gegen ein kapitalistisches System, das Menschen gegeneinander ausspielt und eine Mehrheitsgesellschaft, die dabei mitmacht und lieber gegen ein vermeintliches Außen tritt, als nach oben.
Apsilon, bürgerlich Arda, ist 1997 geboren und im Berliner Bezirk Moabit aufgewachsen. Sein Universum dreht sich um die dort zentral gelegene Turmstraße. Apsilons Großeltern kamen in den 1970ern als Gastarbeiter aus der Türkei nach Berlin. In seinen Rapsongs verarbeitet er den Bruch, den die Migrationsgeschichte durch die Familienbiografie gerissen hat. Beats und Melodien dazu liefert überwiegend sein kleiner Bruder und Produzent Arman.
Apsilon: „Haut wie Pelz“ (Four Music/Sony)
Arda trat als Rapper erstmals 2021 in Erscheinung. Der rassistische Terroranschlag in Hanau weckt eine Wut, die er ein Jahr darauf im Song „Köfte“ ventiliert. Es ist ein schnelles, dichtes 3-Minuten-Stück. Apsilon setzt immer wieder in verschiedenen Flows an, auch der Beat wechselt zwischendurch. Im Text spannt er einen weiten Bogen von der Ausbeutung seines Opas, über Alltagsrassismus und sein eigenes Fremdheitsgefühl in Deutschland, bis zu aktuellen Debatten um die sogenannte „Leitkultur“ – ja, selbst den Holocaust bringt er unter. Es ist eine Hymne des Desintegriert-Euch: „Man kann doch ein braver Deutscher sein, wenn man nur möchte / Doch ich möchte nicht. Nein danke, trinke Chai und esse Köfte.“
Die konstruktive Emotion
Wut ist selbstverständlich nichts Neues im HipHop. Sie gehört längst zum Instrumentarium eines Genres, das sich der Selbstermächtigung verschrieben hat – auch zum Preis der Erniedrigung anderer, wie der Beef zwischen dem US-Rapper Kendrick Lamar und seinem kanadischen Kontrahenten Drake unlängst zeigte. Apsilon aber richtet seine Wut zielgenau gegen Staat und System sowie gegen jene Teile der Gesellschaft, die helfen, es aufrechtzuerhalten. Aus einer destruktiven wird so eine konstruktive Emotion.
Auf den bisher veröffentlichten drei EPs konzentrierten sich Apsilon und sein Bruder Arman auf ihr Spezialrezept: Indiefresserap auf Trapbeats. Für „Haut wie Pelz“ dagegen ist der Klangteppich nun deutlich breiter, dichter und bunter geknüpft. Da sind etwa der Stolperflow auf dem Titelsong und die hochgepitchten monotonen Vocals bei „Reiche Freunde“. Vor allem aber singt sich Apsilon durch mindestens die halbe Albumlänge – mal mehr, mal weniger kaschiert durch Autotune. Das funktioniert vor allem in letzterem Fall und unter Pianobegleitung, etwa auf „Koffer“ und „Baba“.
Experimentierfreude
Diese Öffnung spielt sich auch auf inhaltlicher Ebene ab. Neben Wut und Selbstermächtigung werden Verletzlichkeit, Selbstzweifel und Liebe in den Texten thematisiert. Etwa in Art eines Chansons in „So leicht“, oder als Ballade in „Baba“. Mit letzterem landete Apsilon einen Hit – und löste eine Debatte um Männlichkeit aus. Darin klagt er auf liebevolle Weise seinen Vater dafür an, dass der zu viel auf sich nehme und es nicht zulasse, auch mal Schwäche zu zeigen.
Vor allem aber singt Apsilon „ich hab das auch, Baba“, und erkennt die Probleme seines Vaters auch als seine an. Der Song ist damit der Versuch, sich zu öffnen, einen Dialog zu starten und das vererbte Trauma endlich zu überwinden, das seiner Familie durch Rassismus und Ausbeutung auferlegt wurde.
Themenvielfalt und Experimentierfreudigkeit auf „Haut wie Pelz“ versprechen, dass auch in Zukunft Apsilons Musik nicht langweilig wird. Einige seiner besten Stücke sind leider nicht auf dem Album gelandet, sondern wurden bereits auf den EPs veröffentlicht. Dennoch – oder gerade deswegen – rundet „Haut wie Pelz“ ein wirklich beachtenswertes Gesamtwerk eines Rappers ab, der erst seit drei Jahren Musik veröffentlicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen