Haushaltsverhandlung der Ampelkoalition: Der Hoffnungshaushalt
Bis 5 Uhr morgens brannte im Kanzleramt noch Licht. Jetzt haben sich die Koalitionsspitzen auf einen Haushaltsentwurf geeinigt. Was drinsteht.
So, jetzt kann die Nation endlich wieder nur über Fußball reden. Denn die Führungsspieler der Ampelregierung – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben sich tatsächlich am Freitag im Morgengrauen nach mehrwöchigem Verhandlungsmarathon auf gemeinsame Eckpunkte für einen Haushalt geeinigt.
„Schlaf wird überschätzt“, so ein übernächtigter, aber gutgelaunter Bundeskanzler am Freitagvormittag in der Bundespressekonferenz. Bis 5 Uhr morgens brannte im achten Stock des Kanzleramts noch Licht. „Wir wollten unbedingt vor der Sommerpause und dem Spiel unserer Mannschaft fertig sein“, so Scholz.
Was der nonchalante Auftritt des Kanzlers überdeckte: Auf dem Spiel stand weit mehr, als dass er zu spät zum Anpfiff ins Stuttgarter Stadion kam. Die Wirtschaft schwächelt, die Staatseinnahmen auch, Schulen und Straßen bröckeln und im Haushalt klaffte ein zweistelliges Milliardenloch. Wie das zu schließen sei, darüber gingen die Ansichten in der Ampel weit auseinander – die FDP beharrt auf der grundgesetzlichen Schuldenbremse und wollte beim Sozialstaat sparen, die SPD war partout dagegen und wollte lieber die Schuldenbremse einmalig aussetzten.
Das Wort „Vertrauensfrage“ machte bereits die Runde
Ein Scheitern der Haushaltsverhandlungen wäre einem Scheitern der Ampel gleichgekommen. Das Wort „Vertrauensfrage“ machte bereits die Runde. Aber nein – „die Nerven zu verlieren, hinzuschmeißen und vor der Verantwortung wegzulaufen“, wäre für ihn nicht in Frage gekommen, so Scholz am Freitag. Also rauften sich die drei ungleichen Partner noch einmal zusammen.
Was Scholz, Habeck und Lindner am Freitag präsentierten, gleicht auf den ersten Blick einem kleinen Wunder: Die Schuldenbremse wird im kommenden Jahr eingehalten, Kürzungsorgien im Sozialbereich werden vermieden, Kindergeld und -zuschlag sollen sogar steigen, wenn auch minimal.
Der Klima- und Transformationsfonds bleibt – mit kleineren Kerben –, und auch die Landesverteidigung oder die Unterstützung der Ukraine will die Regierung nicht einkürzen. „Ein Haushalt“, so Scholz, „in dem alle drei Koalitionspartner sich und ihre Projekte, die ihnen wichtig sind, wiederfinden.“
Gelungen ist dies, weil man, so Finanzminister Christian Lindner, „jeden Stein umgedreht habe“. Und durch einige „Kunstgriffe“, die zum Teil noch juristisch geprüft werden. So will der Bund seine Zuschüsse an staatliche Unternehmen wie die Bahn oder die Autobahngesellschaft verringern und ihnen stattdessen Darlehen gewähren. Diese zählen dann nicht als Ausgaben, weil ihnen ein Gegenwert in Form von Aktien entspräche. Außerdem setzt man auf Wirtschaftswachstum und damit auf sprudelnde Einnahmen. Ein Dynamisierungspaket, das parallel verhandelt wurde, soll die Wirtschaft ankurbeln. Positiv formuliert kann man sagen: Ein Haushalt, der auf Hoffnung baut.
Nur noch ein Drittel der Unternehmen fällt unter das Lieferkettengesetz
Der Teufel steckt jedoch im Detail. So wird etwa im Entwicklungsministerium jeder zehnte Euro gestrichen, trotz des Bekenntnisses der Bundesregierung, sich verstärkt um die Partner im Globalen Süden zu bemühen und den russischen Einfluss in Afrika einzudämmen. Das Lieferkettengesetz, das Arbeitnehmer:innen im Süden stärken sollte, wird so entkernt, dass nur noch ein Drittel der Unternehmen darunter fällt.
Und die Kindergrundsicherung ist halb abgeblasen – von einer Leistung, die alle Kinder aus einer Hand bekommen, ist nicht mehr die Rede. Kinder, deren Eltern Bürgergeld bekommen, werden davon erst mal nichts haben.
Überhaupt wird es für Bürgergeldempfänger:innen ungemütlicher. Für sie werden Sanktionen verschärft – wer nicht gewillt ist, bis zu drei Stunden zur Arbeit zu pendeln oder eine „zumutbare“ Arbeit oder Fortbildung ablehnt, dem können bis zu drei Monate 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden. Auch die Karenzzeit für das Schonvermögen wird halbiert.
Als Lindner in der Bundespressekonferenz davon sprach, dass man diejenigen, die nicht arbeiten wollen, nicht besser stellen wolle als diejenigen, die arbeiten, widersprach der sozialdemokratische Kanzler nicht. „Florida-Rolf“ ist wieder auferstanden, die Erzählung vom faulen Arbeitslosen hat sich durchgesetzt.
Augen müde, Stimmung gut
In der SPD, die das Bürgergeld in der Ampel durchsetzte, bleibt der Aufstand jedenfalls aus. Um sieben Uhr morgens hatte man sich zur Fraktionssitzung getroffen. Als die Abgeordneten rund eineinhalb Stunden später den Sitzungssaal verließen, waren die Augen müde, die Stimmung aber ganz gut. „Für uns war wichtig, dass es keine Leistungskürzungen für Menschen geben wird“, sagte Fraktionsvize Sönke Rix er der taz. „Man kann also nicht sagen, dass sich die FDP durchgesetzt hat, im Gegenteil.“ Und Fraktionschef Rolf Mützenich betonte: „Andere waren der Meinung, dass nur der Kinderfreibetrag erhöht werden solle, da haben sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten durchgesetzt“. Na bitte.
Um sieben Uhr am Morgen kamen auch die Grünen zu einer Sondersitzung der Fraktion zusammen, wo Robert Habeck die Vereinbarung der letzten Nacht vorstellt. Die Stimmung: gemischt. Einerseits waren die meisten – auch mit Blick auf die politische Instabilität in Frankreich, den USA und anderen Teilen der Welt – erleichtert, dass sich die Ampel nicht zerlegt, sondern auf ein gemeinsames Papier zum Haushalt geeinigt hat, Neuwahlen also erst einmal ausbleiben. Und dass Habeck einiges rausgeholt hat, etwa für den Klimaschutz.
„Wirtschaft, Klima, Kinder“, auf diesen Dreiklang wird der Wirtschaftsminister das später in der Pressekonferenz bringen. Da allerdings sind längst die Presserklärungen mit Kritik aus Sozialverbänden auf dem Weg, die Bundesregierung beerdige gerade die Kindergrundsicherung.
Auch in der Fraktionssitzung gibt es viele kritische Nachfragen. Ein Thema dabei ist die Sicherheitspolitik, innen wie außen, und die deutlichen Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit. „Es ist bitter, dass bei der internationalen Gerechtigkeit gekürzt wird“, sagt Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler. „Die Mittel für die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit reichen nicht aus, um in einer immer unsicheren Zeit mehr Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen.“ Das konterkariere die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Dass die Bundesregierung gleichzeitig Steuern für Besserverdienende senken will, sei schwer verständlich.
Thema Schuldenbremse ist für die SPD noch nicht ausdiskutiert
Groß ist auch das Unverständnis darüber, dass FDP und Union weiter so strikt an der Schuldenbremse festhalten. Im Vergleich zur SPD hielten sich die Grünen während der Verhandlungen jedoch auffällig zurück.
Es waren vor allem die SPD-Fraktion und Fraktionschef Rolf Mützenich, die Druck aufgebaut hatten – mit gemeinsamer Erklärung der Parteiflügel, aber auch, indem sie den Kanzler drängten, vor der Sommerpause Klarheit zu schaffen. Auch das Thema Schuldenbremse ist für die SPD noch nicht ausdiskutiert. Im Falle einer Notlage wird man darauf dringen, sie auszusetzen. „Dieses Instrument behalte ich mir weiter vor“, so Mützenich. Lindner sagte dazu, er sehe dafür keine parlamentarische Mehrheit.
Die Auseinandersetzungen in der Ampel werden weitergehen. Spätestens nach der Sommerpause, wenn der Haushalt erstmals im Bundestag debattiert wird. „Wir stehen vor schwierigen Haushaltsplanberatungen“, meint Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Und die EM endet ja schon am nächsten Sonntag. Dann wird man auch wieder mehr über Politik sprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind