Haushaltsstreit in den USA: Kongress in Dauerblockade
Zwei große Gesetzespakete will US-Präsident Biden durchs Parlament bringen – bisher erfolglos. Der Grund: die Flügelkämpfe in seiner eigenen Partei.
Bidens Demokrat*innen halten Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses – aber die sind dünn und alles andere als komfortabel. Oder, wie die New York Times schreibt: „Große Visionen, kleine Mehrheiten“. Weil sich also alle Fraktionen der Demokrat*innen auf einen Vorschlag einigen müssen, wähnen sie alle großes Potenzial, die jeweilige Gegenseite unter Druck zu setzen.
Da sind zunächst die beiden „moderaten“ demokratischen Senatsmitglieder Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona. Beide haben zwar mit allen anderen Demokrat*innen – und der Zustimmung auch einiger Republikaner*innen – das Infrastrukturpaket im Senat verabschiedet. Aber 3,5 Billionen Dollar für Soziales ist ihnen viel zu viel, sie wollen höchstens eine, vielleicht noch 1,5 Billionen Dollar dafür bewilligen.
Ohne sie geht nichts: Die Republikaner*innen sind geschlossen gegen das Sozialpaket, und eine Verabschiedung ist nur mit allen Demokrat*innen und der wahlentscheidenden 51. Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris möglich.
Wechselseitige Erpressung unterschiedlicher Fraktionen
Das ruft wiederum den 100-köpfigen linken Flügel der demokratischen Fraktion des Repräsentantenhauses auf die Barrikaden. Für sie waren Bidens Sozialvorhaben der entscheidende Punkt, ihn nach seinem Vorwahlsieg über ihren Favoriten Bernie Sanders im Wahlkampf 2020 zu unterstützen. Jetzt fürchten sie, dass genau der Teil von Bidens Agenda nicht zustande kommt, der ihnen am wichtigsten ist. Und da greifen sie zur Erpressung.
Denn die Zustimmung des Repräsentantenhauses zum Infrastrukturpaket steht noch aus – und obwohl sie für diese Maßnahme sind, wollen die Progressiven das Vorhaben blockieren, wenn nicht zuvor auch das Sozialpaket den Senat passiert hat. Davon wollen wiederum Manchin und Sinema nichts wissen.
Das Ergebnis ist erst einmal Stillstand – und ein angestrengter Gesprächsmarathon des Weißen Hauses. Die ganze Woche über traf sich Biden ein ums andere Mal persönlich mit allen Beteiligten. Er besuchte sogar – ungewöhnlich für einen Präsidenten – eine Fraktionssitzung der demokratischen Abgeordneten.
Blockade kann Bidens Präsidentschaft scheitern lassen
Bislang herausgekommen ist allerdings lediglich, dass die Hoffnung auf Einigung noch nicht gestorben ist und die eigentlich längst angesetzten Entscheidungen bis Ende Oktober verschoben wurden.
Das allerdings birgt neue Risiken. Denn Mitte Oktober muss der Kongress auch wieder darüber entscheiden, die Schuldenobergrenze anzuheben. Tut er das nicht, sind die USA zahlungsunfähig, warnt Finanzministerin Janet Yellen. Die Republikaner*innen haben bereits angekündigt, da nicht mitzuziehen – nach der normalen Geschäftsordnung, die im Senat für diese Abstimmung eine 60-Stimmen-Mehrheit vorsieht, wäre der Antrag damit bereits gescheitert.
Die Demokrat*innen können allerdings auf den sogenannten Reconciliation-Modus wechseln – unter diesen „Versöhnungs“-Regeln reicht eine einfache Mehrheit. Da müssen dann aber wiederum alle von ihnen mitmachen – ein weiteres potenzielles Druckinstrument für die Abtrünnigen Manchin und Sinema.
Schon befürchten Kommentator*innen der US-Medien, dass sich am Ausgang dieses Streits die gesamte zukünftige Bewertung der Präsidentschaft Bidens festmachen wird. Im November 2022 sind Kongresswahlen, und traditionell verliert da die Partei, die gerade das Weiße Haus kontrolliert. Wenn die auch noch dafür sorgt, dass innerparteilicher Streit in Washington Stillstand erzeugt, dürften die Verluste noch höher ausfallen.
Ohne demokratische Mehrheiten aber kann Biden jedes weitere grundlegende Reformvorhaben ad acta legen. So war es auch Barack Obama gegangen: Er hatte schnell seine Gesundheitsreform durchgebracht – und dann nach verlorenen Zwischenwahlen nichts mehr. Der Druck auf Biden und die Demokrat*innen, sich irgendwie zu einigen, könnte nicht größer sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“