Hassan Akkouch über Diversität: „Wir alle gehören zusammen“
Der Schauspieler Hassan Akkouch wurde abgeschoben, machte als Breakdancer Karriere und braucht für seine aktuelle Rolle einen Bootsführerschein.
taz: Herr Akkouch, sehen Sie als Kommissar in der Serie „WaPo Berlin“ die Stadt vom Wasser aus noch mal mit anderen Augen? Sie sind ja Berliner und in Neukölln aufgewachsen.
Hassan Akkouch: Klar, vom Boot aus lernt man Berlin natürlich von einer anderen Seite kennen, und einer viel schöneren. Plötzlich erschließen sich Orte und Möglichkeiten, auch für die Familie. Mit dem Boot durch Berlin zu fahren – daran hab ich früher wirklich nicht gedacht. Ich musste übrigens für die Serie extra einen Bootsführerschein machen.
Der Mensch 1988 in Kharajeb, einem Dorf im Südlibanon, geboren, kommt Hassan Akkouch mit seiner Familie als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland. Er wächst in Neukölln auf und besucht dort die Alfred-Nobel-Europaschule. 2003 erfolgt die Abschiebung in den Libanon, die Familie kehrt jedoch zurück. Die Akkouchs leben zwölf Jahre lang mit dem Status der Duldung in Berlin. 2017 wird Hassan Akkouch eingebürgert.
Der Tänzer Schon als 12-Jähriger begann er zu tanzen. Erster professioneller Auftritt als Breakdancer mit 13 Jahren. Bestritt als Tänzer später seinen Lebensunterhalt, auch als Tanzlehrer, u. a. an der Rütli-Schule.
Das Theater Akkouch spielte 2011/12 am Ballhaus Naunynstraße in Berlin, später am Staatsschauspiel Dresden. 2012–15 Schauspielstudium in München. Während der Ausbildung Theaterproduktionen in Mannheim, München und Berlin am Maxim Gorki Theater.
Der Film Hassan Akkouch und seine fünf Geschwister sind die Protagonisten des preisgekrönten Dokumentarfilms „Neukölln Unlimited“ (2010). 2011 die erste TV-Rolle in einer ZDF-Krimiserie. Es folgen Rollen im „Tatort“ sowie u. a. in der satirischen Serie „Hindafing“, 2018 in „4 Blocks“, jüngst die Komödie „Contra“ (2020) und die internationale Koproduktion „Der menschliche Faktor“ (2021). Seit 2020 spielt Akkouch einen Kriminalkommissar in der ARD-Serie „WaPo Berlin“, die 2. Staffel lief Ende Januar an. (heg)
Wie cool ist es, so ein Boot zu steuern?
Das macht Spaß, aber man kann auch schnell Angst kriegen. Man muss lernen, abzuschätzen, wie stark der Schub noch ist, wenn man auf etwas zufährt und den Motor ausstellt. Einparken muss man auch neu lernen, das ist spannend und ganz anders als beim Autofahren. Wenn man einen Bootsführerschein gemacht hat, fährt man auch besser Auto!
Die Serie ist für den ARD-Vorabend ziemlich hipp und vor allem total divers: Ihre Chefin ist eine Frau, die Kriminalhauptkommissarin wird von Sesede Terziyan, bekannt etwa vom Gorki-Theater, gespielt. Eine Rolle dürfte lesbisch angelegt sein. Eine Polizistin berlinert herrlich. Diversität ist cool, kann man da sehen.
Auf jeden Fall. Das ist Absicht. Ich mag es nicht, wenn man jetzt Leute bevorzugt, die man vorher benachteiligt hat, ich bin eher der Freund von Gleichberechtigung. Und zwar nachhaltiger Gleichberechtigung. Sonst bringt es ja nichts.
Wie meinen Sie das?
Wenn es jetzt Mode ist, Araber zu sein oder was auch immer, dann ist es auch irgendwann wieder out. Und dann? Dann sagt man, wir haben jetzt genug Schwarze, genug Frauen, genug Menschen mit sogenannter „internationaler Geschichte“ gesehen, und dann kommen wir zu dem zurück, womit man sich auskennt: weiße Menschen ab 50 oder so. Ich finde gut, dass wir so divers sind. Man muss auch beweisen, dass das funktioniert. Das ist ein Fortschritt, und eine Verantwortung, die man trägt.
Sie haben früher oft Kriminelle gespielt. Ist das eine Art Aufstieg: vom Verbrecher zum Verbrecherjäger?
Ich hab mal in einem Interview gesagt, dass ich früher der war, der weggerannt ist, und heute bin ich der, der hinterher rennt. Das ist so gesehen schon ein Aufstieg, weil ich jetzt auf der sogenannten anderen Seite stehe und – mit den Merkmalen, die ich nun einmal habe – jemanden repräsentiere, der die Mehrheitsgesellschaft beschützt und nicht bedroht.
Wie nähern Sie sich Ihren Rollen?
Ich betreibe Recherchen. Auch wenn ich mich mit dem Thema auskenne oder vermeintlich Wissen darüber habe, versuche ich Abstand zu nehmen und alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Mich interessiert nicht, mich selbst oder meine Geschichte nachzuspielen. Ich möchte, dass da noch mal eine andere Farbe reinkommt, damit keiner sagt: Ah, ist ja eh klar, dass er das so gut gespielt hat, das kennt er ja!
Sie wollen keine Stereotype bedienen.
Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ein Regisseur zu mir sagt: Der Hassan kann das spielen, der kommt aus Neukölln. Was soll das bedeuten? Heißt das, dass ich mich mit Drogen dealen auskenne? Dass ich mir das als Schauspieler nicht erarbeiten muss? Hey, ich war im Fußballverein, und ich habe getanzt. Ein muslimischer Junge, der tanzt! Wenn Sie an muslimische Männer denken, denken Sie doch nicht ans Tanzen!
Wenn wir beim Tanzen sind: War Breakdance nicht cool?
Breakdance war einfach das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte, das muss ich schon so sagen. Das war einfach meins! Das hat mein Leben geprägt.
Wann haben Sie damit angefangen?
Im Jahr 2000, damals war ich Zwölf, wir übten im kleinen Neuköllner Jugendclub Feuerwache, ein paar Freunde, mein kleiner Bruder Maradona war dabei, mein Trainer – und das entwickelte sich dann bis hin zu internationalen Wettbewerben. Den Jugendklub gibt es immer noch (lacht) und immer noch mit der selben Leiterin. Ich wohne da mittlerweile in der Nähe.
Jetzt kommt „Neukölln Unlimited“ ins Spiel, ein Dokumentarfilm über Sie und Ihre Familie.
Die Filmemacher fanden uns gut, besonders meinen Bruder Maradona, und haben im Internet über uns recherchiert und fanden unter anderem einen Text über uns aus der taz. Alle aus der Familie waren mal vor der Kamera, außer meinem Vater, der wollte das nicht.
Ich habe den Film nicht gesehen, werde das aber nachholen, man kann „Neukölln Unlimited“ auf DVD kaufen. Was habe ich verpasst?
In dem Film geht es darum, wie meine Geschwister und ich versuchen, mit dem Tanzen Geld zu verdienen, um damit die Familie zu finanzieren und so einen geregelten Aufenthaltsstatus zu bekommen und eine zweite Abschiebung zu vermeiden. 2003 waren wir abgeschoben worden.
Zehren Sie noch heute vom Breakdance? Sich gut bewegen können ist doch gut …
… fürs Schauspiel, ja, auf jeden Fall. Mein Talent ist meine körperliche Präsenz. Und Breakdance erdet mich, es bringt mich wieder ein bisschen zu dem zurück, wo ich herkomme – aus dem Tanz, dem Intuitiven. So habe ich auch angefangen, Schauspiel zu begreifen – intuitiv. Mein Talent ist: Ich sehe etwas, ich höre etwas und reagiere darauf.
Geht Improvisieren auch in TV-Serien?
Das hängt vom Regisseur ab. In „4 Blocks“ zum Beispiel ist fast jeder Text und auch das Schauspielern an sich von mir improvisiert, natürlich abgesprochen. Das hängt mit der Regieführung von Özgür Yıldırım zusammen, der darauf vertraut hat, dass seine Schauspieler das können.
Sie können das?
Ich hab die Rolle so gespielt oder verstanden, dass sie viel von mir hatte, also Persönliches. Deswegen sage ich, ich hab mir die Rolle geholt. Ich bin gut darin, wenn ich Menschen begegne, Situationen, Sprüche, Wörter und Bewegungen abzuspeichern. Wie in einer Bibliothek hab ich die meinem Kopf und nutze das für meinen Job. So nach dem Motto: Wie der seinen Arm hält, das finde ich interessant!
Also sind Sie ein guter Beobachter und Zuhörer, wie ein Schwamm, der aufsaugt.
Schauspieler müssen einerseits spielen wollen wie Kinder. Dann müssen sie recherchieren wie Journalisten.
Würden Sie gern wieder mehr Theater machen?
Eigentlich ist das projektabhängig, aber momentan lieber Film und Fernsehen. Das muss man leider zugeben, so wertvoll Theater auch ist, das ist was Elitäres, etwas Privilegiertes. Ich erreiche über Film und TV mehr Leute und eben auch Menschen, die nicht ins Theater gehen würden. Wenn wir jetzt von sozialen Schichten sprechen, von Menschen in sozialen Brennpunkten, wie man das ja nennt: Die möchte ich erreichen. Ich möchte ihnen zeigen, dass ich sie verstehe, auch wenn ich studiert habe oder anders spreche oder anders sprechen kann: dass ich nicht vergessen habe, was ich durchgemacht habe. Ich möchte auch etwas zurückgeben und Teil von etwas sein.
Könnte man sagen, dass Sie in beiden Welten zu Hause sind?
Oder dass ich der Beweis dafür bin, dass es nicht zwei Welten gibt. Es gibt nur diese eine Welt. Und wir alle gehören zusammen. Und erst wenn wir keine Angst mehr davor haben, mit dem Nachbarn, der zum Beispiel Hartz VI kriegt, zu reden, können wir voneinander lernen. Das ist auch mein Problem mit der Gentrifizierung, an sich ja ein normaler Vorgang. Was mich stört, ist, dass viele der zugezogenen Menschen, die jetzt auf der Sonnenallee wohnen und die ganze arabisch-berlinerische Kultur aufsaugen, gern Falafel und Hummus essen und so, dass die nichts mit ihren Nachbarn zu tun haben wollen. Denen reicht es, dort einfach zu wohnen, ohne mit den Anderen in Kontakt zu treten.Dabei wäre es ihre Chance, vielleicht auch soziale Verantwortung, etwas zurück zu geben. Das wäre eine Traumwelt, wenn jeder mit jedem sprechen würde.
Wo ist Heimat für Sie?
Bei meiner Mutter. Meine Antwort auf diese Frage verändert sich aber immer wieder. Mal sage ich, es ist Berlin, dann sage ich Neukölln, mal sage ich meine Mutter wie momentan. Die meisten Menschen verbinden Heimat mit Grenzen, mit einem Ort, der Grenzen hat. Ich möchte das heute so nicht mehr festlegen.
In der „WaPo“-Folge „Tanz mit dem Tod“ gibt es nicht nur eine Breakdance-Einlage von Ihnen und Ihrem Bruder Maradona, sondern auch ein Lied, in dem es heißt, man müsse immer „200 Prozent geben“, wenn man kein eingeborener Deutscher ist. War das bei Ihnen auch so?
Mir ist das so nicht bewusst gewesen. Ich bin immer so positiv. Das ist schon relativ naiv. Mir ist nie aufgefallen, dass ich mich besonders und mehr anstrengen muss, aber ich habe mir schon immer Mühe gegeben. Klar, es gab immer Momente, zum Beispiel auf dem Robert-Koch-Gymnasium in Kreuzberg, auf dem ich mein Abitur gemacht habe. Ich war immer an Sprache interessiert, hab zum Beispiel gerne „Nathan der Weise“ gelesen, solche Sachen haben mich fasziniert. Man merkt ja, dass ich mich ganz normal artikulieren kann, und das konnte ich vorher auch schon. Und dann sagt eine Lehrerin zu mir, dass ich doch ein bisschen was an meiner Sprache tun solle. Da hab ich gemerkt, dass das nichts damit zu tun hatte, wie ich spreche, sondern nur damit, wie ich aussehe. Da merkt man dann, dass man mehr geben muss.
Gab es mehr solcher rassistischen Vorfälle?
Ja, das war schon rassistisch. Rassismus ist ja etwas Strukturelles. Und wie gesagt, vielleicht hab ich das sonst nicht so wahr genommen. Auf der einen Seite hat es etwas Gutes. Man begegnet dem Rassismus, aber man erkennt ihn nicht, lässt sich von ihm nicht emotional beeinflussen oder unterdrücken. Man geht darüber hinweg, lässt ihn einfach hinter sich. Aber wenn man ihn nicht erkennt, kann man ihn auch nicht bekämpfen. Wir müssen ihn aber bekämpfen.
Wollen wir nach vorne schauen? Sie sind bei „Contra“ dabei, der neuen Komödie von Söntke Wortmann, Sie spielen einen Mann namens Mo, an der Seite von Christoph Maria Herbst …
… und Nilam Farooq, die die Hauptrolle spielt. Ich spiele ihren Freund. Einen intelligenten, aber einfachen und bescheidenen jungen Prinzen, Ritter (lacht) oder wie immer man ihn auch nennen möchte. Er sieht das Leben, wie es ist, gibt immer wieder Ratschläge und motiviert sie.
Die Geschichte des Films: Ein Juraprofessor, von Herbst gespielt, hat seine Studentin Naima rassistisch beleidigt, es gibt ein Video davon. Kann man daraus eine Komödie machen?
Kann man! Man muss halt nur auch die andere Seite zeigen. Naima, eine toughe Figur, teilt auch aus. Ein guter Film. Er hätte längst im Kino sein sollen.
Wenn alles gut läuft, ist er ab Oktober zu sehen. Ich frage, weil Komödie nach den vielen Krimis ein neues Genre für Sie ist. Eine Herausforderung?
Ja, ein anderes Genre. Die satirische Serie „Hindafing“ müssen Sie sich ansehen, das ist eine super Sache.
Die läuft gerade wieder auf One und auch in der ARD-Mediathek. Was ist Ihnen lieber, Krimi oder Komödie?
Es kommt auf die Rolle an. Kleinkriminelle möchte ich nicht mehr spielen. So eine Rolle würde ich ablehnen. Ich bin schon weiter und möchte anspruchsvolle Sachen machen, damit Menschen mich damit verbinden. Wenn ich nur diese Kleinkriminellen spiele, denkt jeder Regisseur, jeder Produzent und Caster: Ah, kleinkriminell, rufen wir Hassan an! (lacht) Darauf hab ich keine Lust mehr.
Worauf denn?
Ganz, ganz was anderes. Was Neues, was Frisches, und das ist noch nicht raus, es wird gerade jetzt geschnitten: ein Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München von Felix Hermann. Da geht es um einen 30-jährigen Mann, der Kunstgeschichte studiert hat, als Videojournalist arbeitet und in Kirchen nach dem Gemälde „Verkündigung an Maria“ von Fra Angelico recherchiert – und dabei beschliesst, katholisch zu werden. Er geht auf die Reise und fragt sich, wie er den Katholizismus mit seiner modernen Lebenseinstellung kombinieren kann. Eine meiner Lieblingsszenen ist die mit Schwester Gabrielle aus dem Domikanerkloster in Augsburg …
… eine echte Schwester, keine Schauspielerin?
Eine echte. Eine der besten Szenen bisher in meinem Leben. Ich habe ihr etwas beschrieben, also in der Rolle: Ich fühle mich wie eine Legofigur, die man auseinandergebaut hat, und jetzt liege ich auf dem Tisch und weiß nicht, wie ich mich wieder zusammenkriegen soll. Da sagt sie zu mir: Haben Sie schon mal probiert, diese Teile in die Luft zu werfen und zu schauen, was Sie auffangen? Oder werfen Sie sie mal auf dem Boden und treten drauf und schauen, welche Impulse kommen. Und dann sitzt man da, als Filmfigur und auch als Hassan Akkouch, und denkt: Was hat diese Frau mir da gerade für eine Weisheit geschenkt! Was für einen Blick ermöglicht, einen kompletten Perspektivwechsel. Ich war mega baff. Und die Frau kommt aus einem Kloster! So eine coole Frau hab ich lange nicht getroffen. Ich sag mal so: Ich hätte sie gerne als meine Oma.
Liegt das Künstlerische eigentlich in Ihrer Familie? Einer Ihrer Cousins ist der Rapper Samra …
Mein Großvater war Bauer, der hatte viele Rinder, Ziegen und Schafe, war wohlhabend, hat oft geheiratet und hatte 23 Kinder und viele Grundstücke. Das Dorf, aus dem wir kommen, gehörte praktisch der Familie. Samra ist eigentlich mein Großcousin, sein Vater ist mein Cousin. Und mein Vater hat früher Folklore getanzt, jetzt kriegen wir den Bogen.
Tanzen liegt Ihnen also im Blut.
Mein Vater hat lange nicht darüber gesprochen, dass er im Libanon eine Tanzgruppe hatte, einen richtigen Verein. Die wurden zu Hochzeiten gebucht, um Stimmung zu machen. Da kommt das her. Das Künstlerische und das Talent, Geschichten zu erzählen, das liegt schon in der Familie. Mein kleiner Bruder rappt, ich finde ihn richtig gut für sein Alter. Meine kleine Schwester ist 12 und geht noch zur Schule, eine andere Schwester arbeitet ganz normal, eine andere hat Kinder und kümmert sich um die. Mein Bruder Maradona tanzt, aber finanziert sich nicht nur über Kurse. Ich bin also der Einzige, der seinen Lebensunterhalt allein mit Kunst finanziert.
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