Hans de With über Überwachung: „Nicht mit uns!“
Die G-10-Kommission kontrolliert die deutschen Geheimdienste. Der Vorsitzende glaubt nicht, dass der Bundesnachrichtendienst ihn austrickst.
taz: Herr de With, Sie sitzen der G-10-Kommission des Bundestags vor und kontrollieren auf Bundesebene die deutschen Geheimdienste. Was macht die G-10-Kommission konkret?
Hans de With: Sie entscheidet über alle Eingriffe der Geheimdienste in das Grundrecht auf Post- und Fernmeldefreiheit, Artikel 10 Grundgesetz.
Das heißt: Der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst dürfen nur abhören, wenn Sie zustimmen?
Ja. Und das gilt auch für das Öffnen von Post, das Lesen von E-Mails und den Abruf von Verbindungsdaten.
Wie oft erlauben Sie den Geheimdiensten solche Maßnahmen?
Die letzten öffentlichen Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2011. Da gab es im Schnitt 78 Beschränkungen nach dem G-10-Gesetz im Halbjahr.
Die Polizei hört mehr als hundertmal so viel ab …
Das will ich nicht kommentieren.
81, ist Vorsitzender der G-10-Kommission des Deutschen Bundestags. Von 1974 bis 1982 war der Sozialdemokrat Justizstaatssekretär in der Regierung von Helmut Schmidt. Bis 1994 war er Abgeordneter. Seitdem arbeitet er wieder als Rechtsanwalt.
Immerhin darf der Bundesnachrichtendienst auch „strategisch“, das heißt anlasslos, den internationalen Telefon- und E-Mail-Verkehr von und nach Deutschland überwachen – in der Hoffnung auf Zufallstreffer, die auf Terror, Waffenhandel und die Schleusung von Ausländern hindeuten …
Auch das muss von der G-10-Kommission genehmigt werden. Laut Gesetz kann der BND dabei bis zu 20 Prozent des internationalen Verkehrs prüfen, tatsächlich scannt er aber nur 5 Prozent. Wir prüfen dabei, neben anderen Voraussetzungen, nach welchen Begriffen der BND suchen darf.
Um welche Begriffe geht es?
Das ist geheim. 2011 waren es über 15.000 Suchbegriffe.
Genehmigungspflicht: Wenn die deutschen Geheimdienste abhören wollen, müssen sie vier Männer überzeugen - die G-10-Kommission des Bundestags. Ebenso wenn sie E-Mails und Briefe lesen oder Telefonverbindungsdaten auswerten wollen. Jede Maßnahme gegen Einzelpersonen muss von der G-10-Kommission genehmigt werden.
Wer bestellt die Kontrolleure? Die G-10-Kommission wird jeweils für vier Jahre vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) gewählt. Im PKGr sitzen Abgeordnete unter Vorsitz von Thomas Oppermann (SPD). Die Mitglieder der G-10-Kommission müssen keine Abgeordneten sein. Meist sind es verdiente Expolitiker.
Wer ist drin? Die G-10-Kommission besteht derzeit aus Hans de With (Justizstaatssekretär bis 1982, SPD-MdB bis 1994); Erwin Marschewski (CDU-MdB bis 2005); Rainer Funke (Justizstaatssekretär bis 1998, FDP-MdB bis 2005), Ulrich Maurer (SPD-MdL in Baden-Württemberg bis 2005, Linke-MdB seit 2005).
Wie unterscheidet sich die deutsche strategische Überwachung von Programmen wie Prism in den USA oder Tempora in Großbritannien?
Bei Prism und Tempora werden, den Medienberichten zufolge, Kommunikationsdaten dauerhaft gespeichert und dann ausgewertet. Der BND darf dagegen nur verdächtige Nachrichten speichern, die er im Kommunikationsstrom entdeckt.
Wie viele Nachrichten bleiben hängen?
Im Jahr 2011 gab es rund 2,83 Millionen Treffer – fast alles E-Mails – die näher überprüft wurden. Davon erwiesen sich 290 Kommunikationen als nachrichtendienstlich relevant.
Viel Aufwand für wenig Ertrag.
Das müssen andere bewerten, zum Beispiel das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags, das die Geheimdienste politisch kontrolliert. Wir als G-10-Kommission achten nur darauf, dass das Gesetz eingehalten wird.
Wie oft trifft sich die G-10-Kommission?
Einmal im Monat.
Sind die vier Mitglieder der G-10-Kommission dabei ganz unter sich?
Außer unseren Stellvertreter sind die drei Dienste, das Innenministerium und das Kanzleramt mit hochrangigen Beamten vertreten.
Wie läuft so eine Sitzung ab?
Wir beraten die Anträge der Dienste – erst zur strategischen Überwachung, dann die Einzelmaßnahmen. Am Schluss entscheiden wir, ob bei abgeschlossenen Maßnahmen die Betroffenen informiert werden.
Wie lange diskutieren Sie über einen konkreten Antrag?
Neue Anträge brauchen naturgemäß mehr Zeit, als wenn bei einer laufenden Abhörmaßnahme nur eine neue Telefonnummer hinzukommt oder wenn eine Maßnahme nach drei Monaten verlängert wird. Die Zahl der Anträge nimmt aber zu, sodass wir prüfen, ob wir öfter tagen.
Ist eine vielleicht halbstündige Diskussion über einen neuen Abhörantrag ausreichend?
Sie müssen dabei auch die Vorarbeiten einbeziehen: Der Nachrichtendienst muss einen Antrag stellen und ihn begründen. Dann prüft das Bundesinnenministerium, ob es die G-10-Maßnahme anordnet. Im Vorfeld unserer Sitzung arbeiten auch die beamteten Mitarbeiter der G-10-Kommission die Anträge durch. Dann erst wird uns in der Sitzung vom antragstellenden Dienst der Fall vorgetragen und wir beraten ihn. Dabei hat jeder einen Aktenabdruck vor sich,
Als Tischvorlage?
Ja. Wir könnten zwar vorher Einsicht in die Akten nehmen, aber das ist unpraktikabel.
Gehen die Geheimdienstler und Ministerialen aus dem Raum, wenn sich das G-10-Gremium berät?
In aller Regel nicht. Wir müssen ja auch Fragen stellen können.
Wie viele Anträge auf G-10-Maßnahmen lehnen Sie durchschnittlich ab?
Weniger als zehn Prozent im Jahr. Anträge, die nicht genehmigungsfähig sind, werden in der Regel ja gar nicht gestellt. Die Dienste wollen sich bei uns schließlich keine blutige Nase holen. Und wenn wir keine ausreichenden Antworten auf unsere Fragen bekommen, dann sagen wir: „Kommen Sie nächsten Monat wieder.“
Müssen die Geheimdienste immer auf Ihre Genehmigung warten?
Grundsätzlich ja. In Eilfällen können sie aber sofort handeln und müssen die Genehmigung in der nächsten Sitzung der G-10-Kommission einholen. Solche Fälle gibt es in jeder Sitzung.
Prüfen Sie, ob sich zum Beispiel der BND an Ihre Beschlüsse hält?
Wir haben nicht die geringsten Anhaltspunkte, dass wir in irgendeiner Weise ausgetrickst werden.
Wurde die G-10-Kommission von den Diensten schon einmal angelogen?
Mir ist kein derartiger Fall bekannt. Das wäre auch der GAU. Dann würde die gesamte Geheimdienstkontrolle nicht mehr funktionieren.
Brauchen deutsche Geheimdienste eine Genehmigung, wenn sie mit US-Diensten, wie der NSA, zusammenarbeiten?
Im Prinzip nein, aber wenn Daten aus der strategischen Fernmeldekontrolle an ausländische Stellen übermittelt werden, muss die G-10-Kommission laut Gesetz unterrichtet werden.
Wie oft ist das üblicherweise der Fall?
Null bis weniger als zehn Mal pro Jahr.
Was gilt für Daten, die aus Einzelmaßnahmen gewonnen wurden?
Falls deutsche Dienste diese weitergeben, muss die G-10-Kommission nicht informiert werden. Das finde ich persönlich falsch. Hier müsste das Gesetz nachgebessert werden.
Muss die G-10-Kommission informiert werden, wenn die NSA Daten über deutsche Bürger, die sie in Deutschland ausgespäht hat, an deutsche Geheimdienste weiterleitet?
Auch das ist nicht vorgesehen.
Der Spiegel schreibt, dass BND-Chef Schindler sich im Interesse der NSA für eine laxere Auslegung des G-10-Gesetzes eingesetzt hat. Worum ging es konkret?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war völlig erstaunt über diesen Hinweis. Ich habe nie feststellen können, dass jemand auf eine laxere Auslegung des G-10-Gesetzes drängt. Das würden wir im Übrigen auch nie akzeptieren. Nicht mit uns, kann ich da nur sagen.
Welche Rolle spielt Parteipolitik in der Tätigkeit der G-10-Kommission?
Keine. Wir sind uns am Ende fast immer einig.
Gibt es ähnliche Einrichtungen wie die G-10-Kommission auch in anderen Staaten?
Ja. Aber eine derartige umfassende Genehmigung von geheimdienstlichen Einzelmaßnahmen gibt es wohl nur in Deutschland.
Was würden Sie sagen, wenn der BND oder der Verfassungsschutz jetzt auch flächendeckend und dauerhaft E-Mails oder Telefonverbindungsdaten speichern wollten?
Das würde den Rahmen des G-10-Gesetzes völlig sprengen. Das müsste deshalb der Bundestag entscheiden – nicht die G-10-Kommission. Ich persönlich hielte das aber für offensichtlich verfassungswidrig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands