Handeln in der Klimakrise: Argumentativ ausbremsen

Machbarkeit oder ihr Gegenteil werden gern vorgeschoben, um unliebsame Entscheidungen alternativlos scheinen zu lassen. Zum Beispiel beim Klimaschutz.

Eine Teilnehmerin der Demonstration hält ein Schild auf dem «2038 ist zu spät» steht.

Aus Sicht der Organisationen kommt der für 2038 avisierte Kohle-Ausstieg zu spät Foto: Fabian Strauch/dpa

BERLIN taz | Wie bitte, jedes Mal wischen? Das Entsetzen in den Augen meines Mitbewohners ist kaum zu übersehen. Es gibt diese sehr berühmte Stelle am Anfang von „Anna Karenina“: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Für Wohngemeinschaften gilt das genaue Gegenteil. Obwohl das natürlich zum Glück auch oft Familien sind.

Es gibt tausend verschiedene Arten, zusammen Spaß zu haben. Aber wenn der Haussegen schief hängt, hat das oft zwei Hintergründe: Irgendwer kann seine Miete nicht zahlen. Oder das Putzen klappt nicht.

Bei uns ist das eigentlich einfach: Wir sind vier Leute, wir haben mit Flur und Bad vier gemeinsam genutzte Räume, jede:r ist für einen davon zuständig, und zwar einmal die Woche. Was das genau heißt, ist trotzdem immer mal wieder umstritten. Meist gehen wir dann aber doch lieber ohne dieses Thema zum gemeinsamen Abend über. Die Küche wenigstens kurz durchfegen? Das wäre doch machbar.

Es ist so eine Sache mit der Machbarkeit. Selten geht es wirklich darum, ob etwas möglich ist. Es heißt in der Regel, dass die Nachteile den eigenen Prioritäten entsprechend klein genug sind, um ein Handeln zu rechtfertigen.

Eine Verschleierungstaktik

Das sieht man auch beim Klimaschutz. Vor Kurzem haben Wissenschaftler:innen des Berliner Mercator Instituts MCC in einer Studie analysiert, wie das Ausbremsen von Klimaschutz aktuell argumentativ funktioniert. Explizites Leugnen des menschengemachten Klimawandels ist nämlich selten geworden. Stattdessen heißt es jetzt zum Beispiel, dass man den Klimawandel gar nicht aufhalten könne. Zu viele Emissionen, zu wenig Zeit, schade. Da ist sie wieder, die Machbarkeit.

Stimmt aber wieder nicht. Das UN-Umweltprogramm hat berechnet, dass die CO2-Emissionen für das 1,5-Grad-Ziel in diesem Jahrzehnt jedes Jahr um 7,6 Prozent sinken müssen. Das ist natürlich nicht einfach. Vor allem, wenn man den deutschen Wohlstand zum Maßstab macht.

Theoretisch könnten wir beispielsweise alle Kohlekraftwerke abschalten – sofort jetzt und heute. Niemand hält uns davon ab. Solange unsere Energieversorgung darunter irgendwie leiden könnte, wollen wir das aber nicht tun. Das ist eine Entscheidung. Der Verweis auf Machbarkeit verschleiert, dass es sich um eine politische Frage handelt.

Genauso gut könnte man sagen: Kohleverstromung bis zum Jahr 2038, wie es das deutsche Kohleausstiegsgesetz ermöglicht? Trägt potenziell zu einer katastrophalen Klima­krise bei. Das ist nun wirklich nicht machbar.

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Jahrgang 1991, ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.

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