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Handballer über Sportverletzungen„Ich kenne Schmerzen von klein auf“

Holger Glandorf hat sich während seiner Karriere oft verletzt. Im Mai bestritt er sein letztes Spiel für die SG Flensburg-Handewitt.

Kam nach seinen Verletzungen immer wieder zurück: Holger Glandorf Foto: Christian Schroedter/imago
Interview von Ralf Lorenzen

taz: Herr Glandorf, können Sie sich noch an Ihre erste Verletzung erinnern?

Holger Glandorf: Ja, beim letzten Lehrgang vor der Juniorenweltmeisterschaft in Brasilien habe ich mir den Mittelfuß gebrochen und das Turnier verpasst. Acht Wochen bin ich ausgefallen.

Welche Verletzungen sind im Laufe Ihrer Karriere dazugekommen?

Ich habe mir das Kreuzband, die Achillessehne und die Bänder im Handgelenk gerissen sowie den Daumen gebrochen, um die schwersten zu nennen. Ein paar Finger sehen auch nicht mehr so gut aus, je nachdem, ob die Strecksehne etwas abbekommen hat. Aber das beeinträchtigt mich nicht großartig.

Was ist verschont geblieben?

Relativ gut sehen der rechte Arm und das rechte Knie noch aus.

Wie schwer war es nach den zum Teil monatelangen Ausfallzeiten, das vorherige Leistungsniveau wieder zu erreichen?

Nach der letzten Verletzung, einer Schulter­operation in meiner Abschluss-Saison – hat es das erste Mal länger gedauert als geplant. Aber das war eher dem Verschleiß als der Verletzung geschuldet. Ich habe es geschafft zurückzukommen und die Karriere vernünftig zu beenden.

Ist man in den vielen Wochen der Reha auch aus dem sozialen Mannschaftsleben raus?

Das ist immer eine Umstellung. Man hat in der Zeit mehr Kontakt zu den Physiotherapeuten als zu den Mitspielern. Ich habe immer versucht, trotzdem bei den Trainingseinheiten der Mannschaft dabei zu sein und nebenbei etwas zu machen. Wenn es länger gedauert hat, habe ich auch mal nur so eine Auswärtsfahrt mitgemacht.

Häufig sind Sportler in der Zeit nach Verletzungen stärker als vorher. Bedeutet das, dass der Körper sich mit der Verletzung eine notwendige Pause bekommen hat?

Dabei spielt nicht nur die Pause eine Rolle. In der Zeit, in der man allein trainiert und nicht im Spielrhythmus ist, kann man Schwachstellen abbauen und den Körper allgemein mehr trainieren.

In einem Interview mit dem „Spiegel“ haben Sie gesagt, dass Verletzungen in der Rückschau sogar mehr bringen, als irgendwelche Rekorde zu brechen.

Ja, man lernt seinen Körper gut kennen und wird ein Stück demütiger für das, was man als Hobby begonnen hat und dann auch noch als Beruf ausüben darf.

Im Interview: Holger Glandorf

37, absolvierte von 2001 bis 2020 170 Länderspiele sowie 543 Bundesliga spiele für die HSG Nordhorn, den TVB Lemgo und ab 2011 für die SG Flensburg-Handewitt. Im Sommer wechselte er in die Geschäftsstelle der SG, wo er als Teammanager arbeitet

Welche Rolle spielen Schmerzmittel beim Versuch, möglichst bald wieder einsatzfähig zu sein?

Die gehören dazu, gerade nach Verletzungen. Sie helfen ja nicht nur gegen die Schmerzen, sondern sind auch entzündungshemmend und nehmen die Schwellung raus, um schneller wieder fit zu werden. Ich habe Schmerzmittel aber immer nur in Absprache mit dem Mannschaftsarzt genommen.

Gab es manchmal den Druck, welche zu nehmen?

Nein, ich habe nie den Druck bekommen, schneller fit zu sein, als es die Heilung erforderte. Genau planen kann man das sowieso nicht, aber ich habe immer die Zeit bekommen, die ich brauchte.

Seit der Spielbetrieb im Coronamodus stattfindet, hat sich die Diskussion um die eng gestrickten Spielpläne im Handball verschärft. Teilen Sie die Kritik an der hohen Belastung?

Wir wissen seit ein paar Jahren, dass es so ist. Man versucht durch verschiedene Maßnahmen, den Spielplan zu entzerren, aber während der Coronazeit ist der Spielraum sehr gering. Es sind schon mehrere Spiele abgesagt worden und ich weiß nicht, wann die nachgeholt werden sollen. Wir spielen jetzt schon alle drei Tage. Das ist gefährlich für die Belastung der Spieler: Man wird immer müder und müder und irgendwann passt man nicht mehr genau genug auf. Es ist schwierig, da eine Lösung zu finden.

Kennen Sie eine?

Das Problem liegt nicht in der Vielzahl der Spiele. Man müsste aber die Regenerations-Zeit verlängern – zum Beispiel durch eine längere Sommerpause, in der man nicht schon mit dem Gedanken in Urlaub fährt, dass die Saison in zwei Wochen wieder losgeht. Wenn man weiß, dass man jetzt alles geben kann und danach drei Monate Pause hat, um den Kopf frei zu bekommen, kommt man auch mit den kurzen Abständen zwischen den Spielen klar.

Halten die Spieler in der Frage zusammen?

Ja, aber da gibt es auch noch die Vereine und Verbände. Alle Interessenvertreter müssten sich an einen Tisch setzen, um etwas Vernünftiges auszuhandeln.

Ihre Kinder, 9 und 12 Jahre, spielen beide Handball. Würden Sie ihnen davon abraten, das irgendwann professionell zu machen?

Nein, das würde ich nicht. Solange sie Spaß dran haben, sollen sie ihre Erfahrungen machen. Es ist gut für die Entwicklung, in einer Mannschaft zu spielen, darin bestärke ich sie. Und wenn es einer weit nach oben schafft und Spaß daran hat, ist das auch in Ordnung. Auf der anderen Seite dränge ich sie auch nicht dazu.

Was bedeutet der Sport für Ihr Leben – abgesehen davon, dass er lange Zeit Ihr Broterwerb war?

Anfangs stand für mich der Spaß in der Gruppe im Vordergrund. Natürlich war ich auch ehrgeizig und konnte schlecht verlieren, aber am Anfang hatte ich nicht den Ansporn, Profi zu werden. Zusammen erfolgreich sein und in der Kabine Quatsch zu reden – das hat bis zum Schluss für mich den Reiz ausgemacht.

Wie sind Sie zum Handball gekommen?

Bei uns haben alle außer unserer Mutter Handball gespielt, obwohl Osnabrück ja eigentlich eine Fußball-Stadt ist. Ich bin immer bei den Spielen von Vater, Bruder oder Cousins rumgerannt – da war der Weg nicht weit, selbst damit anzufangen.

Wie hat der Sport das Verhältnis zu Ihrem Körper geprägt?

Der ist für einen Sportler das wichtigste Kapital, weil man damit seinen Lebensunterhalt verdient. Aber wenn man Spaß an der Sache hat, nimmt man Qualen und Verletzungen natürlich eher in Kauf.

Gibt es im Leistungssport heute eher einen ganzheitlichen Blick auf den Körper als früher?

Als ich angefangen habe, gab es neben dem Trainer maximal den Co-Trainer. Heute haben wir Athletiktrainer, Psychologen und Motivationstrainer. Zum Teil wird sehr individuell gearbeitet, die Belastungssteuerung und Mittel zur Regeneration haben sich verbessert. Eisbäder waren zum Beispiel früher kein Thema.

Hatten Sie während Ihrer Verletzungen mal die Befürchtung, Ihre Rolle in der Mannschaft einzubüßen?

Ich hatte nie das Gefühl, das sich innerhalb der Mannschaft eine Konkurrenz auf meiner Position befürchten muss. Natürlich wurden bei Verletzungen auch Spieler nachverpflichtet, die einschlagen können. Ich selbst bin damals in die erste Mannschaft der HSG Nordhorn gekommen, weil sich ein Spieler verletzt hatte. Aber das Gute im Handball ist, dass die Zahl der Wechsel nicht begrenzt ist. Bei Topvereinen, die achtzig Spiele im Jahr haben, kann jeder sicher sein, seine Spielanteile zu bekommen. Ein schlauer Trainer nutzt den ganzen Kader, um die Belastung über die Saison zu verteilen.

Sind Sie jemals durch ein absichtliches Foul verletzt worden?

Nein, das waren alles Zufälle oder Unglücke. In der Generation vor mir ging es teilweise unfairer zu, aber heute ist alles professioneller geworden, die Spieler wissen, dass der Körper das Kapital ist.

Viele ältere Handball-Fans können sich noch daran erinnern, wie der Gummersbacher Nationalspieler Joachim Deckarm sich 1979 beim ungebremsten Sturz auf den Hallenboden eine schwere Kopfverletzung zugezogen hat. Ist Handball eine besonders gefährliche Sportart?

Das war damals eine unglückliche Situation, die auch in anderen Sportarten vorkommen kann, und ist eine Ausnahme. So etwas hat man als Spieler nicht im Hinterkopf.

Sind Spiele der SG Flensburg-Handewitt gegen den Erzrivalen THW Kiel härter als andere?

Auch die sind ruhiger geworden. Die Region ist von dem Derby immer noch elektrisiert und die Spiele werden hart geführt, aber es bleibt alles im fairen Rahmen.

Darf ein Handballspieler in der Kabine seinen Schmerz zeigen?

Das lässt sich manchmal nicht unterdrücken. Da sind wir nicht härter als alle anderen, auch wenn wir die Schmerzen von klein auf kennen. Es wäre für einen selbst auch nicht gut, den Schmerz zu unterdrücken, er ist ja ein Indikator dafür, was einem fehlt.

Ihr ehemaliger Nationalmannschaftskollege Henning Fritz hat nach dem Karriere-Ende von einem Burn-out erzählt, den er während der Heim-WM 2007 erlitten hatte. Sind Sie solchen Problemen in Ihrer Karriere auch begegnet?

Persönlich hab ich das bei niemandem mitbekommen. Wenn so etwas auftreten sollte, hoffe ich, dass derjenige sich öffnen kann und Hilfe sucht. Wir haben im Verein Ansprechpartner, die dann weiterhelfen können.

Über Generationen haben Spieler der SG über die familiäre Atmosphäre geschwärmt, die weit über den Beruf hinausgeht. Ist das immer noch so?

Die SG-Familie bleibt bestehen, auch mit unseren Partnern und Fans zusammen. Die Spieler mit Kindern wohnen alle in Handewitt, die anderen in Flensburg. Neuen Spielern wird der familiäre Geist gleich eingeimpft, deshalb fühlen sie sich hier so wohl. Die Dänen, Schweden, Norweger im Team schätzen zusätzlich das skandinavisch geprägte Lebensgefühl hier.

Hat die Flens-Arena über die Jahre ihre besondere Atmosphäre bewahrt?

Das ist immer noch die Hölle Nord, gerade zu besonderen Spielen wie gegen den THW brennt die Hütte. Umso schlimmer ist es, dass wir aktuell keine Fans reinlassen dürfen, das fehlt der Mannschaft, davon lebt ja unsere Sportart. Es macht den Handball aus, dass die Leute nachher mit auf die Platte können, die Kinder frei rumlaufen und Autogramme holen können. Der Kontakt ist im Moment schwer, aber wir versuchen, über Fan-Aktionen oder über unsere Kommunikation die Leute mitzunehmen und teilhaben zu lassen. Umgekehrt hängen die Fans Plakate auf die Tribüne, um uns zu unterstützen.

Wie sehr schmerzt es Sie, dass es aufgrund der Pandemie keinen Abschied in voller Halle gab?

Ich hätte mir im letzten Spiel zu Hause volle Ränge gewünscht, aber es gibt Wichtigeres. Außerdem kann ich die Party mit den Fans ja nachholen, und das werde ich sicher auch tun.

Sie sind der Bundesliga-Spieler, der die meisten Tore aus dem Feld heraus erzielt hat. Was bedeutet Ihnen das?

Das ist ein schönes Beiwerk. Natürlich sind mir Mannschaftstitel wichtiger, aber der Titel zeigt ja auch, dass ich wahrscheinlich vieles richtig gemacht und der Mannschaft geholfen habe.

Wenn Sie mehr Siebenmeter geworfen hätten, wären Sie auch Gesamt-Torschützenkönig. Wieso haben Sie nur 23-mal von der Sieben-Meter-Linie getroffen?

Wahrscheinlich gab es immer andere, die trickreicher waren und mehr Varianten drauf hatten. Aber damit habe ich keine Probleme.

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