Hamburgs bauliches Gesicht: Der Stadtreformer
Sozialer Wohnungsbau und Wachstumsachsen, Kunst am Bau und die Stadt als Ganzes: Wie kein Zweiter hat Oberbaudirektor Fritz Schumacher Hamburg geprägt. An sein Tun erinnert dort jetzt eine Ausstellung.
Auch wer ihn nicht kennt, ist ihm hier ausgesetzt: Von der Finanzbehörde zur Davidwache auf der Reeperbahn, von der örtlichen Kunsthochschule über das Gefängnis bis zum Krematorium auf dem Hauptfriedhof Ohlsdorf gehen in Hamburg mehr als 100 repräsentative öffentliche Bauten auf Fritz Schumachers Planung zurück, davon allein 32 Schulen. Dazu der Stadtpark und etliche soziale Wohnsiedlungen aus den 1920er-Jahren, darunter die Jarrestadt. Kein Baumeister hat die Stadt so stark geprägt. Auf Schumacher (1869–1947) freilich geht es auch zurück, dass sie eine Stadt des roten Klinkers ist.
Er war kein Architekt nur für die äußere Hülle. Sozial engagiert und fachübergreifend agierend waren ihm Wohnungspolitik und pädagogische Konzepte ebenso wichtig wie die Kunst am Bau und die Stadtgestalt als Ganzes. Das ist bis heute vorbildhaft – gerade auch mit Blick auf jüngere Hamburger Unternehmungen wie Hafen-City und Internationale Bauausstellung.
Komplexes Lebenswerk
Um dies auch außerhalb der Fachkreise bekannter zu machen, erinnert das Fritz-Schumacher-Institut nun mit einer Dokumenten-reichen Ausstellung, mit Fotos, Zeichnungen und Modellen an den herausragenden Architekten, Stadtplaner und Reformer der Großstadtkultur.
Nicht nur die Komplexität dieses Lebenswerks ist etwas besonderes, auch seine Biografie ist bemerkenswert. Fritz Schumacher wurde 1869 in eine alte Kaufmannsfamilie geboren – in der Konkurrenz-Hansestadt Bremen. Sein Vater arbeitet im Auswärtigen Dienst des Deutschen Reiches, Schumacher verbringt seine Kindheit in Bogota und New York. Erst mit 14 Jahren ist er zurück in Bremen, besucht ein humanistisches Gymnasium. Es folgen Studien in München und Berlin.
Erste Baupraxis gewinnt er in einem Münchner Architekturbüro. Als er 1895 eine Stelle am Stadtbauamt in Leipzig erhält, stellt er eine heute kaum vorstellbare Bedingung: drei Monate im Jahr für Bildungsreisen. Daneben arbeitet er weiter in verschiedenen Bereichen des Kunstgewerbes und plant Privathäuser. Er publiziert Schriften über verschieden Aspekte der Kunst, zeichnet Ideal-Architekturen und gewinnt damit auf den Weltausstellungen in Paris 1900 und St. Louis 1904 goldene Medaillen.
1901 wird er Professor an der Königlich Technischen Hochschule in Dresden, unter seinen Studenten sind auch die späteren „Brücke“-Künstler Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner. Schumacher ist an der Gründung des Deutschen Werkbundes beteiligt. Er macht Bühnenbilder, inszeniert den „Hamlet“.
Einen allseits gebildeten Künstler-Architekten also beruft Hamburg im Jahr 1908 zum Baudirektor auf Lebenszeit. Und wieder tut er etwas, was sich heute keiner mehr leisten will und kann: Zwischen dem Verlassen des alten und dem Antreten des neuen Jobs bereitet er sich zehn Monate lang auf die neue Aufgabe vor – auf eigene Kosten.
So wichtig Schumacher für Hamburg wird, noch eine zweite Stadt beeinflusst er entscheidend: 1920 beurlaubt man ihn für drei Jahre nach Köln. Dessen damaliger Oberbürgermeister Konrad Adenauer ruft ihn für die Neugestaltung des ehemaligen Festungsgürtels.
Als „Technischer Bürgermeister“ lässt Schumacher – damals ganz neu – eine komplette Bestandsaufnahme der Stadt durchführen, stellt einen städtischen Generalsiedlungsplan samt Verkehrskonzept und Grünplan auf, macht Sanierungsvorschläge für das Zentrum und zeigt Entwicklungslinien auf, bis in einzugemeindende Ortschaften hinein. Die Realisierungen verfolgt er noch, als er ab 1924 zurück in Hamburg ist, nun als Oberbaudirektor.
Schumacher versteht eine Stadt als lebenden Organismus. Die Entwicklung Hamburgs begrenzten seinerzeit die politischen Grenzen. Schon seit 1919 wird ein größeres Hamburg geplant. In einer exemplarischen Zeichnung skizziert Schumacher elf radiale Wachstumsrichtungen: an beiden Ufern die Elbe entlang, südlich nach Harburg/Bremen und nördlich, getrennt von tief in die Stadt ragenden Grünschneisen, sechs Achsen – nach Pinneberg, Quickborn und Langenhorn, ins Alstertal, zu den Walddörfern – heute das nordöstliche Ende der Stadt – und nach Lübeck.
Was der Landesplaner in Kooperation mit den umgebenden Gemeinden verwirklichen will – er gründet als Pionier der Regionalplanung den Hamburg-Preußischen-Planungsausschuss – ermöglichen später diejenigen, die ihn 1933 in den vorzeitigen Ruhestand schicken: 1937 dekretiert das NS-Regime einen umfangreichen Gebietstausch, die Städte Altona, Harburg und Wandsbek werden eingemeindet, ein „Groß-Hamburg-Gesetz“ bestimmt bis heute die gültigen Grenzen.
Urbanes Verständnis
Vor und nach 1945 hochgeehrt, stirbt Schumacher nach längerer Krankkheit im November 1947. Konrad Adenauer lobt ihn in höchsten Tönen: als universal gebildet und ausgestattet mit unbegrenzter Schaffenskraft und einem Verständnis für die Gesamtheit einer Großstadt. Daran zu erinnern, wie sehr das Ziel von Architektur und Stadtplanung bei Schumacher ein komplexes, sozial ausgewogenes Stadt-Raum-Kunstwerk war, ist gerade in Zeiten kaum beschränkter Investorenmacht und maximierter Geschoßflächenzahl notwendig.
Über jeden Einzelzweck hinaus muss das Gefühl für den Gesamtzusammenhang eines städtischen Organismus erhalten bleiben. Seit dem Mittelalter ist die europäische Stadt trotz aller Widrigkeiten kein zufällig durch Privatinteressen irgendwie entstandenes städtisches Konglomerat, sondern ein geplant organisiertes Gesamtkunstwerk. Dass das auch für Hamburg gilt – trotz Brand, Bomben und Abrissbirne –, liegt vor allem an Fritz Schumacher.
Leser*innenkommentare
Falmine
Eine Stadt des roten Klinkers? Nein, Schumachers Ära ist geprägt durch den norddeutschen Stein, den Backstein! Seine Wahl dieses warmen Baumaterials unterstreicht nur, dass er die regionaltypische Besonderheit erkannt und auch in Hamburg installiert hat. Wer wird später einmal die gesichtslosen Betonwürfel der Hafencity einer Ära zuordnen können?
HH
Gast
Ein ganz Großer. Leider wird durch den Dämmwahn(subventionierte Chemie und Bauwirtschaft), ein groß Teil seiner Gebäude verschandelt. Das die Plastikwände keine 30 Jahre halten kommt noch hinzu. Der jetzige Baudirektor hat mit der Hafencity, der versuchten Aufwertung Wilhelmsburg bis zur total verhunzten Elbseite, nur negatives Investoren Bauen zu verantworten. Die Glasfronten von Teherani, der scheinbar ein Abo zum Bauen besitzt und mit den tanzenden Türmen den Gipfel des schlechten Geschmack erreicht hat, setzen noch den Gipfel darauf. Eine Schande für die einst schöne Stadt.