Hamburgs Suche nach Unterkünften: Immobilien beschlagnahmen erlaubt
Als erstes Bundesland beschließt Hamburg ein Gesetz zur zwangsweisen „Sicherstellung“ privater Immobilien. Die Opposition prophezeit eine Prozesslawine.
Für die CDU-Fraktion ist das Gesetz, das in der kommenden Woche in Kraft treten soll, ein „Tabubruch“. Die FDP geißelt es als „schwerwiegenden Eingriff“ in die Grundrechte. Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) hält trotzdem daran fest. Die einzige Alternative wäre, wie in vielen nordrhein-westfälischen Kommunen, städtische Schulturnhallen mit Flüchtlingen zu belegen und den Schulsport auf absehbare Zeit aus dem Lehrplan zu streichen, sagte Neumann.
Dabei betont der Senator, sein „Ziel“ sei es, das zunächst bis zum Frühjahr 2017 befristete Gesetz „niemals anzuwenden“. Er brauche es aber als Drohkulisse und Druckmittel. In der eilig einberufenen Sondersitzung des Innenausschusses berichtete er von gescheiterten Verhandlungen mit Immobilienbesitzern, die ihre Gebäude – ob ehemalige Krankenhäuser oder Gewerbehallen – lieber leerstehen ließen, als sie für gutes Geld zeitweilig als Flüchtlingsunterkunft zu vermieten.
Das „schade dem Image der Immobilie“ habe Neumann immer wieder zu hören bekommen. Solche Worthülsen habe er angesichts der Flüchtlingsnot nur „schwer erträglich“ gefunden, sagte der Senator.
... trägt den Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“.
Es gehört zu den ersten Gesetzen, die in Hamburg mit rot-rot-grüner Mehrheit verabschiedet wurden.
Am 1. April 2016 tritt das Gesetz automatisch außer Kraft. Auch die bis dahin sichergestellten Grundstücke und Gebäude dürfen nicht über den 31. März hinaus sichergestellt bleiben.
Zum Nachlesen gibt es das Gesetz online in der Parlamentsbibliothek der Hamburgischen Bürgerschaft unter der Drucksachennummer 21/1677.
AfD wittert Etikettenschwindel
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator, kritisiert, dass schwerwiegende „Eingriffe in die Grundrechte der HamburgerInnen und Hamburger durchs Parlament gepeitscht“ würden. „Eine riesige Welle an Gerichtsverfahren“, prophezeite sein Fraktionskollege Karl-Heinz Warnholz. Die FDP befürchtete, „solche Zwangsmaßnahmen“ würden „Ressentiments gegen Flüchtlinge beflügeln“ und die AfD witterte einen „riesigen Etikettenschwindel“, weil der Senat in Wahrheit nicht nur Gewerbeimmobilien, sondern „auch Wohnungen enteignen“ wolle.
Das schließt das Gesetz, das SPD, Grüne und Linke gemeinsam verabschieden werden, in der Tat nicht ganz aus: „Wir wollen verhindern, dass wir eine Gewerbeimmobilie nicht bekommen, nur weil sich in ihr eine leere Hausmeisterwohnung befindet“, beantwortete Neumann die Frage der Opposition, warum in wesentlichen Passagen des Gesetzentwurfes die „klare Beschränkung auf Gewerbeimmobilien fehle“. Wer aber behaupte, die Stadt wolle nun in großem Maßstab „Wohnimmobilien enteignen“, spiele „grundlos mit den Ängsten der Menschen“, gab Neumann zurück.
Maßgeschneidertes Gesetz
Das Gesetz ist dabei im wesentlichen eine Präzisierung des Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG), das die „Sicherstellung“ auch von Immobilien zur Gefahrenabwehr erlaubt. Nach SOG, das alle Bundesländer in vergleichbarem Wortlaut haben, wurden in der vergangenen Wochen bereits in anderen Bundesländern und Städten, besonders in Berlin, Immobilien beschlagnahmt, um in ihnen Flüchtlinge unterzubringen. Neumann aber will ein maßgeschneidertes Gesetz für solche Maßnahmen: „Unsere Rechtsordnung“, so der Senator mit Blick auf die 878 Flüchtlinge, die in Hamburg allein am vergangenen Sonntag und Montag ankamen, „ist auf so eine Situation nicht vorbereitet“.
Andere Bundesländer, darunter auch Bremen, haben bereits angekündigt, dem Hamburger Beispiel zu folgen. Leerstehende Gebäude mit einer Fläche von mindestens 300 Quadratmetern sollen zukünftig auch gegen den Willen der Eigentümer vorübergehend für Flüchtlinge genutzt werden können. Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) lässt derzeit die rechtlichen Rahmenbedingungen für zeitweilige Beschlagnahmungen prüfen, in Schleswig-Holstein gibt es laut des dortigen Innenministeriums derzeit noch keine konkreten Bestrebungen, ein Beschlagnahme-Gesetz zu entwerfen.
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