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Hamburgs Linke in der Krise„Auch mal die Klappe halten“

Die Hamburger Linke wählt am Wochenende eine neue Spitze. Sabine Ritter und Thomas Iwan erklären, wie sie die Partei als Führungsduo einen wollen.

Fordern mehr Solidarität unter den Hamburger Ge­nos­s:in­nen ein: Thomas Iwan und Sabine Ritter Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Ritter, Herr Iwan, Sie wollen am Wochenende zu den beiden LandessprecherInnen der Hamburger Linkspartei gewählt werden. Warum wollen Sie sich das antun?

Thomas Iwan: Das klingt so, als würden wir uns zu niederen Arbeiten herablassen, aber das sehe ich so nicht. Es gibt Konflikte im Landesverband, aber das motiviert mich eher. Ich glaube, dass es nicht viel braucht, um besser dazustehen und um aktiver und progressiver als Linke in Hamburg hörbar zu werden.

Geht das an die scheidenden LandessprecherInnen Żaklin Nastić und Keyvan Taheri?

Iwan: Die Arbeit des amtierenden Vorstands wird auf dem Parteitag am Wochenende breit diskutiert. Das will ich nicht vorwegnehmen.

Sabine Ritter: Dem schließe ich mich an. Aber die Situation, in der Die Linke insgesamt und auch in Hamburg steckt, hat etwas ungeheuer Provokantes. Viele halten es gleichzeitig für nötig, dass es eine starke gesellschaftliche Linke gibt und dass es dafür auch eine Partei braucht, die parlamentarisch wie außerparlamentarisch wirken kann. Auch ich halte das für verdammt wichtig und ich habe große Lust, dabei zu helfen, dass Die Linke, dieser bunte und kreative Haufen, gute Politik machen kann.

Auch in Hamburg ist Die Linke schon seit einiger Zeit zerstritten. Wie wollen Sie für mehr Einigkeit sorgen?

Sabine Ritter

54, ist Soziologin an der Uni Bremen und aktuell Co-Vorsitzende der Linken im Bezirk Eimsbüttel.

Ritter: Die Linke ist zerstritten, aber im Landesverband gibt es auch eine gewaltige Schnittmenge an Übereinstimmungen.

Iwan: Ja, manchmal frage ich mich, was uns eigentlich noch zusammenhält. Die Kunst wird sein, diese Gemeinsamkeiten zu finden und mit ihnen nach draußen zu gehen. Da, wo es keine Einigkeit gibt, wünsche ich mir andererseits, dass wir mit einem Mindestmaß an Solidarität und Höflichkeit diese Themen untereinander ausstreiten.

Thomas Iwan

36, arbeitet bei der Stadt Hamburg als Brückenbau­ingenieur und sitzt für die Linke in der Bezirksversammlung Wandsbek.

Das hat zuletzt selten geklappt.

Iwan: Man muss akzeptieren können, dass Beschlüsse, die zuvor breit diskutiert wurden, dann auch gelten – auch wenn man sie nicht gänzlich teilt. Manche täten sich auch selbst einen Gefallen, dann auch mal die Klappe zu halten.

Es gibt noch immer parteiintern Vorwürfe, dass etwa Strömungen einen „sektenartigem Charakter“ hätten …

Ritter: Wenn irgendwo innerhalb der Linken tatsächlich „sektenartige Strukturen“ herrschen, ist die Grenze erreicht. Da bin ich nicht gewillt, diese Teile noch in der Parteiarbeit einzubinden. Allen anderen wollen wir als LandessprecherInnen das Angebot machen, zusammen zu streiten und am Ende gemeinsam linke Politik voranzubringen.

Liegen die verschiedenen Strömungen und Flügel der Partei aber nicht auch inhaltlich viel zu weit auseinander?

Ritter: Thomas und ich wurden aus unterschiedlichen Ecken der Partei gefragt, ob wir nicht dieses Amt übernehmen wollen, und auch wir haben in vielen Fragen unterschiedliche Ansichten, aber diskutieren das in großer Solidarität miteinander aus. Es gibt den gemeinsamen Nenner, unabhängig der vielen unterschiedlichen Positionen: Wir wollen ins Tun kommen und Politik für die vielen machen.

Fällt es Ihnen schwer, den russischen Angriff auf die Ukraine zu verurteilen?

Ritter: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil.

Beim vergangenen Landesparteitag im Frühjahr fand sich für diese Verurteilung keine Mehrheit, stattdessen meinte die Partei, „Kriegsvorbereitungen von USA und Nato gegen China und Russland“ entgegentreten zu müssen.

Iwan: Dieser Parteitag war für mich ein Tiefpunkt. Dass es nicht geklappt hat, den russischen Angriffskrieg unmissverständlich und in Gänze abzulehnen, hat mich traurig und wütend gemacht. Ich bin mir jedoch sicher, dass die große Mehrheit der Hamburger Ge­nos­s:in­nen eine ganz andere Ansicht hat als das, was am Ende beim Parteitag rauskam. Und das war auch ein Grund, warum sich seither viele Mitglieder aus unterschiedlichen Strömungen zusammengesetzt haben und gesagt haben: Wir können es besser.

Landessprecher Taheri hatte zuletzt öffentlich Vorwürfe erhoben, er sei im Vorstand rassistisch beleidigt worden – wie wollen Sie mit solchen Vorwürfen künftig umgehen?

Ritter: Wir nehmen das außerordentlich ernst: Eine der ersten Aufgaben des künftigen Landesvorstands muss sein, dass der Landesverband Awareness-Strukturen schafft und eine Beschwerdestelle einrichtet, die professionell und extern besetzt ist. Jegliche Form von diskriminierender Ausgrenzung ist absolut inakzeptabel. Es muss für Mitglieder, die so angegangen werden, künftig eine Stelle geben, an die man sich wenden kann und wo wirksame Maßnahmen getroffen werden.

Iwan: Ich bin weißer Akademikersohn, ich bin mehrfach privilegiert und fürchte, dass ich manche Dinge vielleicht nicht so wahrnehme, wie es Betroffene tun. Und auch deswegen ist diese Stelle so wichtig, denn auch bei allem guten Willen ist es möglich, dass man aufgrund seiner Sozialisation bestimmte blinde Stellen hat. Wichtig ist, dass diese Kommission dann auch nicht zahnlos ist. Sie muss in die Lage versetzt werden, in solchen Fällen den Landesvorstand dann auch zum Handeln zu zwingen. Es gibt andere linke Strukturen, die weiter sind als wir.

Hat die Linke in Hamburg ein ­Klassismus-Problem, wie der aus der ­Bürgerschaftsfraktion ausgetretene Mehmet Yildiz behauptet?

Ritter: Ich bin zwar eine Frau, aber ansonsten ähnlich privilegiert wie Thomas. Ich würde so einen Fall auch in eine externe Stelle geben wollen. Was ­Mehmet beklagte, will ich ihm kein Stück absprechen – das ist sein Erleben und wert, ­artikuliert zu werden.

Iwan: Es gibt auch in der Linken ­immer mal wieder Momente, in denen die Sicht von Nicht-Akademiker:innen oder So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r:in­nen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ich bin dann dankbar, wenn ich darauf hingewiesen werde. Ich glaube, dass das bei uns nicht absichtlich geschieht, aber das heißt nicht, dass es nicht passiert.

Bundesweit steckt die Linke in der Krise. Bald wird in Niedersachsen gewählt und erneut sieht es aus, als würde die Linke nicht in den Landtag einziehen. Kann sich Hamburgs Linke vom Bundestrend abkoppeln?

Iwan: Der Eindruck der kompletten Zerstrittenheit schreckt Menschen ab und ich kann es ihnen nicht verübeln. Dieses Bild zu überwinden, ist elementar, das ist uns in der Vergangenheit in Hamburg bereits gelungen. Wichtiger als Wech­sel­wäh­le­r:in­nen zu überzeugen ist jedoch, auf den riesigen Anteil Nicht­wäh­le­r:in­nen zuzugehen, die weder wir noch andere Parteien erreichen. Mit unserem Programm wollen wir doch viele davon ansprechen und wir müssen glaubhaft vermitteln, dass wir die Probleme Armutsbetroffener wahrnehmen und uns für sie einsetzen. Da stehen wir in der Bringschuld und müssen uns mehr bemühen.

Ritter: Wir müssen mit den Maßnahmen gegen Armut, Inflation und steigende Mieten, die wir vorschlagen, laut und vernehmbar werden.

Wie sehen Sie die Rolle der LandessprecherInnen gegenüber der in der Öffentlichkeit sichtbareren Bürgerschaftsfraktion?

Iwan: Wer das Gesicht der Linken nach außen ist, ist mir vollkommen egal. Wir müssen nach innen moderieren, organisieren und kommunizieren, um die Politik der Linken voranzubringen. Die Fraktion wiederum wird von den ­Ham­bur­ge­r:in­nen bezahlt, um parlamentarische Initiativen zu starten und dem rot-grünen Senat auf die Finger zu schauen, was dringend notwendig ist. Das ist die Arbeitsteilung. Aber natürlich gilt in der inhaltlichen Positionierung: Partei vor Fraktion.

Ritter: Und genau dafür wollen wir künftig einen regelhaften Austausch mit der Fraktion und den Fraktionsmitarbeiter:innen, weil dort eine große Expertise zu den wichtigen Themen vorhanden ist. Gemeinsam können wir so linke Politik in Hamburg weiterentwickeln.

Und zur Umsetzung dieser linken Politik wären Sie auch für eine Regierungsbeteiligung?

Ritter: Das ist in Hamburg gegenwärtig eine Scheindebatte. Wir haben eine SPD, die deutlich konservativer ist als in anderen Bundesländern. Und wir haben Grüne, denen die SPD in der Koalition alle Zähne gezogen hat. Da legt auf uns tatsächlich niemand Wert und deshalb sehe ich das in Hamburg noch für eine ganze Weile nicht als Thema. Ich bin ­allerdings nicht prinzipiell gegen Regierungsbeteiligung. Es gibt Beispiele, in denen es nicht gut gelaufen ist. Aber dass etwa in Bremen die Linke mitregiert, ist eine gute Sache, die machen wirksame Politik für die Menschen.

Iwan: Ich bin etwas pessimistischer. Ich halte die Grünen und die SPD in Hamburg nicht für koalitionsfähig. ­Opposition ist kein Selbstzweck, aber ­Regieren eben auch nicht: Was wir als linke Opposition in Hamburg vorantreiben und wie wir den Senat von links unter Druck setzen, bringt in der Sache mehr als eine Koalition mit SPD und Grünen, in der wir als zahnloser Juniorpartner Kompromisse mittragen müssen, die wir eigentlich nicht für tragbar halten. Als linke Opposition können wir mehr für die Menschen tun.

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