Hamburgs „Kriegsklotz“ von 1936: Das Ding aus einer anderen Zeit
Hamburgs militaristisches Ehrenmal von 1936 wirkt deplatziert wie eh und je. Die zwei kommentierenden „Gegendenkmäler“ ändern daran nichts.
Initiiert wurde das 1936 geweihte Denkmal von Veteranen des Infanterieregiments 76, den sogenannten Traditionsvereinen. Gewidmet ist es den im Ersten Weltkrieg „gefallenen“ Soldaten. „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“ steht über den Köpfen der Marschierenden. Die Zeile entstammt dem Gedicht „Soldatenabschied“ des Arbeiterdichters Heinrich Lersch (1889–1936), der sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldete.
Der Text suggeriert – historisch falsch –, dass es im von Deutschland mit ausgelösten Ersten Weltkrieg um das Überleben des Landes gegangen sei, und dass das auch im kommenden Krieg so sein werde, den der NS-Staat 1936 längst plante. Auch die Inschrift auf einer Steintafel am Rand des einstigen, drumherum gebauten Aufmarschplatzes – „Großtaten der Vergangenheit sind Brückenpfeiler der Zukunft“ – fügt sich in diese NS-Propaganda.
Das klingt weniger nach Trauer um die Toten des 76er-Regiments als nach Revanche für den verlorenen Ersten Weltkrieg. Nach „zukunftsgerichteter“ Aufrüstung und Mobilmachung. Und das musste natürlich in heroischem Duktus passieren, nicht in trauerndem – weshalb das 76er-Denkmal als Gegenpart zu Ernst Barlachs Antikriegsrelief an Hamburgs Rathausmarkt von 1931 gedacht war. Barlach zeigt dort eine trauernde schwangere Witwe mit Kleinkind. Solche Hinterbliebenen-Schicksale hatten im Heldenpathos der 76er-Veteranen keinen Platz.
Allerdings, Hamburgs sozialliberaler Senat der Weimarer Republik zögerte, wollte keine Heroen-Denkmäler für einzelne Regimenter. 1932, da erstarkte die NSDAP in Hamburg schon deutlich, trotzte der „Bund der 76er-Vereine“ dem Senat dann doch noch ein Heldendenkmal ab. 1933, nach Machtantritt der NSDAP, nahm die Sache Fahrt auf: Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, Spenden gesammelt, die Stadt schoss Geld zu.
Den Auftrag bekam Richard Kuöhl, bereits bekannt für seine heroisch-monumentalen Kriegerdenkmäler. Heraus kam besagter Klotz, Zentrum eines Aufmarschplatzes und „Ehrenhains“. Dass Kuöhl die stahlbehelmten Soldaten aus politischen Gründen rechts herum marschieren ließ, kann man vermuten. Sicher ist, dass sich so ihr links geschultertes Gewehr und die Orden gut zeigen ließen. Fast neun Meter lang und sechs Meter hoch wurde das Teil. Die Einweihung 1936 samt Militärparade war pompös; sogar Hitler schickte einen Gruß, passten Heroismus und Ent-Individualisierung der Soldaten doch exzellent zur NS-Propaganda.
So ist das im Volksmund „Kriegsklotz“ gerufene Denkmal ein politisch durchaus gewollter Link zwischen zwei Kriegen geworden. Dabei hatte das 1937 neu aufgestellte 76er-Regiment im Zweiten Weltkrieg erneut besonders viele Tote zu verzeichnen, musste oft „neu aufgefüllt“ werden.
Ungestörtes Heldengedenken
Den Pazifismus der Veteranen hat das nicht befördert. Eisern hielten sie am Soldatentod als sinnerfüllte „Heldentat“ fest – und sie standen nicht allein. Als die Alliierten nach 1945 die Entfernung aller militaristischen Denkmäler anordneten, schaffte es Hamburgs Denkmalbehörde, den „Kriegsklotz“ als Opfer-Gedenkstein zu deklarieren und nicht einmal Inschrift und Relief zu entfernen.
So stand es, zwar immer wieder ob seines Militarismus kritisiert, aber im Grunde unbehelligt da. Veteranenverbände ließen weitere Gedenksteine für ihre „Gefallenen“ anbringen und legten am Volkstrauertag Kränze nieder. In den 1960ern wurde der Protest dann lauter: Bürgerverbände forderten den Abriss, zumindest die Entfernung der Inschrift. Konservative und rechte Kreise hielten dagegen. Die 1970er gingen ins Land, Neonazis marschierten auf und agitierten für den „Kriegsklotz“. Die Friedensbewegung hielt dagegen. Immer wieder wurde das Denkmal beschmiert, einmal sogar eine Ecke abschlagen.
Anfang der 1980er endlich schrieb Hamburgs Kulturbehörde den Wettbewerb für ein kommentierendes Gegendenkmal aus. Beauftragt wurde dann keiner der über 100 BewerberInnen, sondern Jurymitglied und Politkünstler Alfred Hrdlicka. Eine vierteilige Antwort wollte er auf den „Kriegsklotz“ geben, fertig wurden die ersten zwei: Teil eins, in Bronze, zeigt Opfer des „Feuersturms“, des für Hamburg traumatischen Phosphorbomben-Angriffs der Briten 1943. Teil zwei, in Marmor, thematisiert die Ertrinkenden der „Cap Arcona“, eines von Alliierten versehentlich bombardierten Schiffs mit aus Neuengamme evakuierten KZ-Häftlingen in der Lübecker Bucht. Über 7.000 von ihnen starben.
Die 1985 und 1986 enthüllten Werke sind riesige, barock-theatralische Aktionswände, auf denen Menschen dramatisch mit dem Material verschmelzen. Die Teile „Soldatentod“ und „Frauenbild und Faschismus“ entfielen, weil sich Hrdlicka mit der Stadt überwarf.
Ratloses Publikum
Aber auch die fertigen Teile nehmen keinen Kontakt zum „Kriegsklotz“ auf. Vielmehr tun sie so, als sei das Kriegerdenkmal gar nicht da. Sie drehen ihm den Rücken zu, „schauen“ Richtung Innenstadt, verdecken so teils die Sicht auf den „Kriegsklotz“. Das ist auch eine Aussage, aber so war die vom Senat gewünschte „Umgestaltung der Denkmalsanlage“ nicht gedacht. Hinzu kommt, dass Hrdlickas Male 25 Meter vom „Kriegsklotz“ entfernt stehen und eher Distanz als Kontext erzeugen.
Folglich lief das Publikum ratlos zwischen diesen stilistisch konträren, in ihrer Monumentalität aber wesensverwandten Denkmälern herum. Peinlich außerdem: Ausgerechnet die „pazifistische Antwort“ auf den „Kriegsklotz“ war ein Torso geblieben.
Deserteursdenkmal soll es richten
Um die verfahrene Situation aufzulösen, beschloss Hamburgs Bürgerschaft 2012 einen Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz, der den Dialog zwischen „Kriegsklotz“ und Hrdlicka schaffen sollte. Der Hamburger Künstler Volker Lang gewann den Wettbewerb und stellte 2015 ein begehbares Dreieck zwischen die beiden anderen Denkmäler. Umhüllt wird es von Bronzegittern aus Buchstaben, die aus Helmut Heißenbüttels Collage „Deutschland 1944“ zitieren, montiert aus O-Tönen von Hitler-Reden und NS-Dichtern. Innen kann man auf Tonspuren dieses Gedicht sowie die Namen der 277 von Hamburgs-NS-Justiz erschossenen Deserteure anhören.
Und wenn man durch das Wortgitter zum Kriegsklotz schaut, scheinen die Soldaten tatsächlich oberhalb der Worte zu marschieren. Das kommt der Kommentar-Idee nahe. Den Dialog mit Hrdlicka schafft das Deserteursdenkmal zwar nicht – wohl aber den mit dem Publikum. Oft sieht man Menschen dort hineingehen, die Tonspuren anhören und sich anhand der eingravierten Texte bewusst machen, dass die Todesurteile der NS-Justiz wegen Desertion erst 2002 aufgehoben wurden.
Eine wichtige Information. Doch das Gesamtensemble kann auch das Deserteursdenkmal nicht retten. Vielmehr zeugt das Areal von der Unentschlossenheit eines Senats, der nicht wagt, Militaristisches zu entfernen und stattdessen immer neue „Kommentare“ dazusetzt.
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