Gefallen oder provozieren: „Ich wollte etwas Feines machen“

Der Installationskünstler Volker Lang saß mit seiner Sehnsucht nach Schönheit immer zwischen den Stühlen. Jetzt baut er das Hamburger Deserteursdenkmal.

An der Kunsthochschule attestierte man Volker Lang "leichte Verstaubtheit". Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Lang, wenn Sie Ihre Gedanken zeichnen müssten: Wie sähe das aus?

Volker Lang: Am ehesten wäre es eine Art Zickzacklinie. Auf jeden Fall wäre es eine Linie, die erheblich ausschlagen würde.

Aber alles verliefe streng logisch?

Oft schon, aber es entstehen auch Überraschungen. Es ist schon ein besonderes Reich, über das ich walte in meinem Kopf. Ich bevorzuge es übrigens, wenn die Oberfläche ruhig ist wie bei einem Fluss, sodass ich auf den Grund sehen kann.

Wie schaffen Sie das?

Indem ich mich zurückziehe oder in Länder reise, wo mich niemand kennt.

Und da lesen Sie Gedichte, bevor Sie eine Installation, ein Kunstwerk beginnen.

Ja. Als Student habe ich mich zum Beispiel lange mit Goethes Pflanzen-, Farben- und Gesteinslehre befasst. Diese Gedichte sind wissenschaftlich fundiert, aber auch symbolisch und poetisch. Letztlich schuf Goethe darin ein System, das gegen die Teleologie gerichtet war, also die reine Zweckmäßigkeit der Dinge. Das hat mich zu Beginn meines Studiums stark beeinflusst.

Auf Hannovers Stadtteilfriedhof Fössefeld wird an diesem Samstag ein Denkmal für die in Hannover vom Nazi-Regime hingerichteten Deserteure enthüllt.

Gewidmet ist es den "ungehorsamen Soldaten 1937-1945".

Entworfen wurde es vom Hannoverschen Künstlerpaar Hans-Jürgen und Almut Breuste.

Inwiefern?

Ich kam aus einer romantischen Tradition und hatte ein Werk aufgebaut, das viele als kitschig empfanden, weil es sich stark mit Natur beschäftigte. Ich habe zum Beispiel Pflanzen gezeichnet, aber auch ein Zelt bemalt, in dem ich übernachtete. Als ich dann die Schriften und Gedichte von Goethe fand, aber auch Henri Bergsons Abhandlungen über die fließende Zeit, konnte ich weiterarbeiten, weil ich Rückhalt gefunden hatte.

Worin bestand er?

Darin, dass Goethe annahm, dass es Archetypen wie die „Urpflanze“ gab, aus denen sich alles entwickelt hatte. Also keine strengen Ordnungsmuster, wie sie während meines Studiums die Minimal Art proklamierte: „You see what you see“ hieß es da. Jegliche Art von Inhalt gehöre ins 19. Jahrhundert. Dieser Dogmatismus hat mich abgeschreckt, und ich fühlte mich eingeengt.

Hat man Ihnen Rückwärtsgewandtheit vorgeworfen?

Nicht direkt, aber eine leichte Verstaubtheit schon; ich galt als Anthroposoph. Allerdings habe ich mich dieser Konfrontation auch gestellt. Einmal gab es an der Hochschule eine hitzige Debatte über ein Kapitell in Pflanzenform, das ich gebaut hatte. Da steckte viel Arbeit drin, es hatte auch Schönheit – Kriterien, die in Künstlerkreisen heute eher zu Stirnrunzeln führen.

50, Kirchenmaler, studierte von 1988 bis 1994 an der Hamburger Hochschule für bildende Künste. Wichtige Landschaftskunstprojekte waren:

"Zwischen den Straßen" im Kunstverein Neuenkirchen bei Soltau (1997)

das "Wellenhaus" in Cuxhaven, beschallt mit Texten aus Virginia Woolfs Roman "Die Wellen" (2001)

das Denkmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zum 60. Jahrestag des Hamburger "Feuersturms" (2004)

das "Judenhaus" in Hamburg-Blankenese zur Erinnerung an jüdische Opfer der Deportation (2013)

das "Deserteursdenkmal" am Hamburger Dammtor-Bahnhof (2015)

Was bedeutet Ihnen Sprache?

Sie kann Verbindlichkeiten schaffen, kann aber auch – etwa als Poesie – ein Fließen initiieren. Ein Fließen im Menschen, ein Fließen in Assoziationen.

Auch in die Architektur hinein.

Ja. Ich suchte immer ein Gehäuse für einen bestimmten Text. Ich baue einfach gern Räume.

Zum Beispiel das „Wellenhaus“, das Sie 2001 an Cuxhavens Strand stellten. Darin erklangen Texte aus Virginia Woolfs „To the Waves“.

Ja, und kürzlich wurde mir noch klarer, warum es richtig war, diesen Text ans Wasser zu bringen: Ich las den „Sketch of the Past“, einen der letzten autobiografischen Texte Woolfs. Sie hat ihn von 1939 bis zu ihrem Suizid im März 1941, während der Luftangriffe der Deutschen auf England, verfasst. Sie erinnert darin an die Sommer ihrer Kindheit in Cornwall, aus deren Atmosphäre sich Texte wie „The Waves“ und „To the Lighthouse“ speisten.

Woran haben Sie gemerkt, dass das „Wellenhaus“ als Gesamtkunstwerk funktionierte?

An der Zuordnung der Stimmen dieses Romans zu den Fenstern und zum Blick aufs Wasser. Das hatte schon was, an einem regnerischen Tag da reinzugehen, und dann sprechen plötzlich Stimmen über den Zerfall des Selbst …

Berührt Sie dieser Text?

Ja, man identifiziert sich mit verschiedenen Personen oder Situationen, die man plötzlich an sich selbst wiedererkennt.

Das Hamburger Deserteursdenkmal, das Sie gerade bauen, wird Teile von Helmut Heißenbüttels Collage „Deutschland 1944“ enthalten. Woher stammt der Text?

Aus seinem „Textbuch Nr. 6“ von 1967. Darin sind alle Texte in 13 Zeilen gegliedert, ganz im Zeichen eines strukturellen Verfahrens der konkreten Poesie. Er verarbeitet darin Originaltöne aus Nachrichten, Reden Hitlers und Himmlers sowie von Dichtern der NS-Zeit. Als ich die Texte dieser regimetreuen Autoren las, habe ich erstmals verstanden, was Adorno meinte, als er sagte: „Nach Auschwitz kann kein Gedicht mehr geschrieben werden.“ Denn wenn man die Texte dieser NS-Dichter liest, läuft es einem kalt über den Rücken.

Wegen des Kitschs?

Das kann man gar nicht mehr kitschig nennen, das trieft vor Glitsch und Gehorsam. Und ich denke, Adorno meinte: Diese Nazi-Dichter haben das Genre derart missbraucht, dass es schwierig sei, wieder etwas daraus zu machen.

Aber Heißenbüttel hat es getan.

Er, Celan und andere, und heute würde man sagen, Adornos Satz ist absurd. Aber in jenem historischen Moment war er gültig.

Viele Deserteure waren einst Nazis und fallen in eine andere Opferkategorie als die Toten des Holocaust. Warum bauen Sie dieses Denkmal?

Weil nicht alle Wehrmachtssoldaten Nazis waren. Manche waren Widerstandskämpfer, manche wurden zum Kriegsdienst gezwungen, andere bemerkten im Laufe des Krieges, dass sie diese Brutalität nicht mehr mittragen wollen – und desertierten. Auch ihre späte Rehabilitation im Jahr 1997 ist eine wichtige Motivation für mich.

Gilt Ihr Denkmal ausschließlich Hamburger Deserteuren?

Ja. Es wird wegen der 227 hingerichteten Hamburger gebaut, deren Namen man kennt. Vermutlich waren es aber weit mehr.

Warum bauen Sie ein Dreieck?

Weil es so etwas Expressives, Dynamisches bekommt und Bezüge zu allen Seiten aufnimmt. Daran, dass das orange Dreieck im KZ von Widerstandskämpfern und politischen Gefangenen getragen werden musste, habe ich erst später gedacht. Es ist auch zweitrangig.

Die bronzenen Außengitter bestehen aus Heißenbüttel-Texten.

Ja. Ich wollte eine offene, gitterartige Struktur, die Transparenz und Isolation zugleich symbolisiert. Außerdem sollte man den Raum betreten können. Wobei ich ursprünglich keine Texte wollte, sondern geometrische Zeichnungen. Dann merkte ich, dass in diesem Kontext alles mit Bedeutung aufgeladen wird – das Vier-, Fünf-, Sechseck … Ein Text war der einzige Ausweg, und so kam ich auf Heißenbüttel.

Den man sich auch auf Band anhören kann.

Ja, man kann zwischen zwei Tonspuren wählen: den Opfernamen und dem literarischen Text, von Heißenbüttel selbst gelesen.

Wie lautet der erste Satz?

„Hängt ihr am Leben / sie geben es brünstig für Höheres / niemand zwang sie dazu denn ihres Herzens Schlag / ihrer Seele Gebot ...“ Heißenbüttel liest das sehr schnell und rhythmisch. Es gibt auch Stellen, an denen es um die Judenermordung geht. Ich denke schon, dass es zu kontroversen Diskussionen kommen wird.

Die Vielstimmigkeit des Textes lädt dazu ein.

Ja. Gemeint ist er aber eindeutig, sowohl von Heißenbüttel als auch von mir: Es ist ein Pamphlet gegen Nationalsozialismus, Gewaltherrschaft, gegen den Angriffs- und Vernichtungskrieg, den das nationalsozialistische Deutschland ausgelöst hat.

Ihr Mahnmal wird zwischen den hymnischen „Kriegsklotz“ Richard Kuöhls von 1936 und dem unfertigen Anti-Kriegsdenkmal von Alfred Hrdlicka stehen. Ist das nicht etwas viel?

Ja, aber so war die Vorgabe: dass das Deserteursdenkmal das Bindeglied zwischen den vorhandenen Denkmälern bilden sollte. Und der Hauptinitiator, der Hamburger Deserteur Ludwig Baumann, wollte einen klaren Kommentar zum „Kriegsklotz“, der ja den Soldatentod verherrlicht. Außerdem wollte man einen Dialog, den das Hrdlicka-Denkmal nicht in dem Maße aufnimmt.

Den sollen Sie herstellen.

Ich versuche es. Außerdem wollte ich etwas Feines machen, das nicht so monumental auftritt.

Wird Ihr Denkmal ein Ort der Versöhnung?

Nein. Ich möchte durch den Heißenbüttel-Text den O-Ton dieser verlogenen Politik der Gewaltherrschaft zeigen. Deshalb habe ich einen Text mit Originalzitaten der Nazizeit gewählt.

Aber kann man diese Facetten in einem Kunstwerk vermitteln, das an einer belebten Straße stehen wird?

Es ist ein hoher Anspruch, das in den öffentlichen Raum zu bringen. Aber das habe ich auch schon beim „Wellenhaus“ mit den Woolf-Texten getan: einen feinen Text in einen Raum gegeben, wo Wandergruppen Schutz suchen, vor Langeweile den Text anhören und dann ihre Kommentare abgeben. Es ist vielleicht sehr idealistisch zu meinen, man könne die Leute mit so etwas konfrontieren. Aber ich tue es.

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