Besonderes Kriegerdenkmal in Hamburg: Tod statt Triumph

An der Fontenay in Hamburg steht ein einzigartiges Kriegerdenkmal: Es feiert nichts Heroisches, sondern zeigt die Drastik des Sterbens.

Johannes Schillings Kriegerdenkmal an der Fontenay

Erschütternd, egal aus welcher Perspektive: Johannes Schillings Kriegerdenkmal an der Fontenay Foto: Staro1/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Am Westufer der Außenalster in Hamburg, etwas abseits beim Abzweig zur Straße Fontenay, steht ein Kriegerdenkmal. Es erschüttert mich immer wieder aufs Neue. Denn es trifft mich, gleich aus welcher Perspektive ich darauf schaue.

Drei tote Soldaten sind so gruppiert, dass ich mindestens einen von ihnen sehe, gleich von welcher Seite ich mich dem Denkmal nähere. Wie Michael Ballhaus für das Kino seine „360-Grad-Kamerafahrt“ schuf, das Umkreisen eines Geschehens, so dass wir es unmittelbar zu sehen scheinen, wirkt auch dieses bildhauerische Werk. In seiner ästhetischen Umsetzung dementiert es das Heroische, verdeutlicht vielmehr die Finalität des Todes in aller Drastik.

Das Werk des Bildhauers Johannes Schilling (1828–1910) sticht auch deshalb hervor, weil von den über 150 Kriegsdenkmälern in Hamburg nur dieses eine das Sterben zeigt. „In seiner Ehrlichkeit sucht dieses Kriegerdenkmal in Hamburg seinesgleichen“, hat Kerstin Klingel festgestellt. Ihre Publikation „Eichenlaub und Dornenkrone“ war 2006 der erste Versuch, Hamburgs Kriegerdenkmale nach Stadtteilen zu erfassen und einzeln zu beschreiben. Damals wurde debattiert, ob es Gedenkorte für die Gefallenen der Bundeswehr-Auslands­einsätze geben solle.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 lobten Senat und Bürgerschaft einen Wettbewerb zur Erstellung eines Denkmals der Dankbarkeit gegenüber den Gefallenen aus. Damals war der Stolz auf den Sieg über die Franzosen, auf die Reichseinigung und auf die Monarchie allgemein.

Kein Triumph, nirgends. Der Tod in der Schlacht ist hier schonungslos konkret zu sehen

Den Auftrag für das „Kriegerdenkmal des Infanterie-Regiments (2. hanseatisches) No. 76“ erhielt der Dresdner Bildhauer Johannes Schilling. „Der preisgekrönte Entwurf Johannes Schillings fügte einen Reiter, einen Kanonier, einen Grenadier und die Siegesgöttin, die ihnen im Tode Trost spendet, zu einer Komposition zusammen“, beschrieb der Kunsthistoriker und Senatsdirektor der Kulturbehörde Volker Plagemann das Werk.

Schilling überzeugte mit einer mehr als zweieinhalb Meter hohen bronzenen Figurengruppe, sie zeigt eine Szene nach der Schlacht. In plastischer Rundumansicht ist die tödliche Wirklichkeit des Krieges zu sehen. Die Siegesgöttin mit weit gespannten Schwingen küsst einem Reiter die Stirn. Sein Kopf ist an ihre Brust gesunken, während er seine linke Hand zum Herzen geführt hat, die andere hält noch den nutzlos gewordenen Säbel. Dem bärtigen Kanonier, er umklammert die zerborstene Granate noch im Tod mit beiden Händen, reicht sie den Lorbeerkranz, dem Feldsoldaten bedeckt sie die entblößte Brust mit einem Palmenzweig. Am Boden liegt der Helm, der niemandes Haupt mehr schützt. Auch ein verendetes Pferd gehört zur Komposition.

Hier ist der Tod also gleich vierfach zu sehen, als entsetzliches Knäuel von Mensch und Tier. Die Ehrbezeugung der Siegesgöttin für alle drei Gefallenen – der Palmenzweig als Symbol des Friedens, der Lorbeer für den Sieg und der Kuss für den Abschied – scheint mehr Tröstung zu sein als Sinngebung. Kein Triumph, nirgends. Der Tod in der Schlacht ist hier schonungslos konkret zu sehen, die Drastik des gewaltsamen Todes, nicht die Verherrlichung der Gefallenen, sondern ihr Leid.

Der Denkmalssockel bleibt konkret wie die Bronzeskulptur: In den rotbraunen Marmor sind in golden ausgemalten Lettern die Kriegsorte auf französischem Territorium gemeißelt – darunter Metz, Loigny, Paris, Beauvancy und Cravant, sowie die Daten der Schlachten.

Drei Bronzetafeln verzeichnen die Namen der 222 Gefallenen des Regiments, vom Musketier J. Ahrens, dem Unteroffizier C. Eckert bis zum Musketier J. Ohlrogge und seinem Regimentskameraden P. Zimmermann. Die Namensnennung jedes einzelnen Getöteten gibt das Versprechen, die Gemeinschaft behielte ihn in Erinnerung, so wie es die Stadt Hamburg auf einer der Bronzetafeln mit der Inschrift unter dem städtischen Wappen bekundet: „Den tapferen Söhnen./Die dankbare Vaterstadt./1870–1871“.

Schillings Monument zu Ehren des Infanterie-Regiments No. 76 stand ursprünglich auf der Esplanade, einer der Hauptverkehrsachsen durch die Stadt, aufgestellt am 18. Oktober 1877 in der Mitte der Straße vor der Lombardsbrücke. So fiel es denen, die von Osten kamen, sofort ins Auge. Zudem sahen es viele Menschen, weil die Esplanade seinerzeit eine viel begangene Flaniermeile war.

Damals war sicher die Inschrift im Fries aus Lorbeerzweigen gut lesbar, der die Bronzeskulptur umrandet. Inzwischen verwittert, steht dort: „Johannes Schilling Dresden 1876/gegossen v. Ch. Lenz Nürnberg 1877“. Ironisch gelesen haben der Bildhauer und der Kunstgießer nicht nur den Gefallenen, sondern auch sich selbst den Lorbeerkranz geflochten.

Doch 50 Jahre nach seiner Errichtung war das Denkmal der Straßenplanung im Weg. Es wurde 1926 aus verkehrstechnischen Gründen an den jetzigen Standort an der Außenalster versetzt. Dort wurde es erfolgreich marginalisiert. Bis heute ist sein kleines Areal von zwei halbkreisförmigen steinernen Rundbänken umgeben. Laternen beleuchten es abends. Man kann den Alsterspaziergang unterbrechen und die Leidens-Darstellung der Soldaten betrachten, die für die „Vaterstadt“ Hamburg starben.

Mahn- und Denkmale sollen an etwas erinnern: Doch sollte das, woran sie denken lassen, noch immer den Raum der Gegenwart besetzen? Ist ihre Form angemessen? Welche Impulse geben sie? Unsere Serie erkundet in losen Abständen anstößige Denkmale des Nordens – im Guten wie im Schlechten.

Wofür aber stirbt der Einzelne und welche Spuren hinterlässt er? „Der Toten zu gedenken, gehört zur menschlichen Kultur. Der Gefangenen zu gedenken, der gewaltsam Umgebrachten, derer, die im Kampf, im Bürgerkrieg oder Krieg umgekommen sind, gehört zur politischen Kultur“, so der Historiker Reinhart Koselleck. Seine Unterscheidung ist hilfreich, gerade weil der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71, der letzte der deutschen Einigungskriege, den meisten heute kaum präsent sein wird.

Auch ein weiteres Denkmal von Johannes Schilling in Hamburg – ein Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. –, wurde „umgetopft“, sogar gleich mehrfach. 1903 auf dem Rathausmarkt errichtet, steht es inzwischen am Johannes-Brahms-Platz in Planten un Blomen.

Jedes Denkmal sei eine Versteinerung oder eine Verbronzung, darauf hat Koselleck hingewiesen. Auch sei es ein Abschluss. Doch so wie sich die politische Kultur im Laufe der Zeit wandelt, ändern sich auch manche Denkmal-Standorte und damit der Stellenwert einst allgegenwärtiger Herrscher- und Erinnerungszeichen.

Als vom nahegelegenen Luxushotel die Mitglieder einer Familie zu Schillings Kriegerdenkmal herüberkommen, lesen sie einander die im Sockel eingravierten französischen Ortsnamen vor. Anschließend machen sie Selfies und gehen weiter an die Alster. Die Gefallenen-Darstellung haben sie gar nicht angeschaut. Ein Denkmal ist eben, was wir an ihm wahrnehmen.

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