piwik no script img

Hamburgs Konzept gegen JugendgewaltFür wen Datenschutz nicht gilt

Nach dem eskalierten Konflikt zwischen Schülern und einem Polizisten wussten Medien viel Persönliches über ein Kind. Datenschützer kritisieren das.

Nach einer Auseinandersetzung mit einem Schulpolizisten wurden elf Schüler beurlaubt Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Nach der zum Teil handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Schülern und einem Cop4U-Polizisten vor der Ida-Ehre-Schule im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel hat es offenbar Suspendierungen gehagelt. Gleich elf Schüler wurden durch die Schulleitung „vorläufig“ beurlaubt, das geht aus der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Wie berichtet, hatte der Elternrat kritisiert, dass Schüler „auf Anweisung der Behörde“ suspendiert worden seien, ohne zuvor gehört zu werden.

Eine vorläufige Beurlaubung dauert laut Schulgesetz bis zu zehn Tage. Sie soll sogar Schüler treffen, die die Auseinandersetzung nur gefilmt hatten. Schulbehördensprecher ­Peter ­Albrecht sagte der taz, alle Schüler, die den Anweisungen der Lehrer an jenem Nachmittag umgehend Folge geleistet hätten, seien „nicht suspendiert worden“. An der Nachbarschule sei nur der Schüler beurlaubt worden, „von dem der Vorfall ausging“.

Die Rede ist von einem 13-Jährigen, der auf einem vom NDR veröffentlichen Video zappelnd unter dem Schulpolizisten liegt. Er soll sich laut Polizei zuvor geweigert haben, seine Hände zu zeigen, weswegen der Cop4U ihn fixierte und zu Boden brachte. Dort bekam der Beamte wohl auch Tritte von umstehenden Schülern an den behelmten Kopf.

Über den zu Boden Gebrachten hieß es unter anderem, er sei „Intensivtäter“ und „verhaltensauffällig“ und vom benachbarten Gymnasium einst suspendiert worden. Die Bild gab sogar an, die „Gewaltakte“ dieses Kindes zu haben, mehrere Blätter nannten den Namen der Schule, die der Junge heute besucht. Die Zeitungen berichteten, dass ein Verwandter des Kindes vor Gericht stehe und dass sie wüssten, in welcher Jugendeinrichtung es lebe.

Es stellt sich die Frage, ob Polizei und Schulbehörde in ihrer Pressearbeit angemessen Zurückhaltung übten, da es hier um Kinder geht. Die Polizeimitteilung „Schüler greifen Polizei-Beamten in Hamburg-Eimsbüttel an“ vom 19. August bot den Ausgangsstoff für zahlreiche Berichte. Der Junge sei der Polizei „bereits bekannt“, stand darin.

Polizeisprecherin Sandra Levgrün sagt, es gab die Pressemitteilung, weil hier ein „öffentliches Interesse“ vermutet wurde. Es finde bei der Pressearbeit immer eine Einzelfallprüfung statt „unter Berücksichtigung des besonderen schutzwürdigen Interesses von minderjährigen Beteiligten“.

Kinder unter 14 auf „Obachtliste“

Dennoch besteht in Hamburg seit 2011 eine „Obachtliste“, auch Ampeldatei genannt, die sehr umstritten ist. Auf ihr werden aktuell 159 junge Menschen unter 21 Jahren geführt, die durch eine Straftat auffielen und bei der die Annahme besteht, dass sie weitere begehen. In diese Datei speisen Jugendhilfe, Schulbehörde, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Polizei Daten ein und erzeugen damit in ihren Handlungsfeldern eine der drei Farben Rot, Gelb, Grün.

Zurzeit sind auch sechs Kinder unter 14 Jahren in dieser Datei, die die Polizei koordiniert. Zugriffsberechtigt sind etwa 32 Personen. Die Sache soll auch abschrecken. „Ich kann in die Liste hineinschauen, die die Polizei angelegt hat und immer aktualisiert“, schrieb zum Beispiel ein Mitarbeiter der Gewaltpräventionsstelle der Schulbehörde 2019 in einem Blog.

Nur hatte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte von Anfang an starke Bauchschmerzen mit dem Verfahren, das schrieb er 2013 in seinem 24. Tätigkeitsbericht. Denn erfasst wird dort die Wertung, zu den strafrechtlich auffälligsten Gewalttätern unter 21 Jahre zu gehören, und das Merkmal „Intensivtäter“. Und neben diesen in die Vergangenheit gerichteten, aber gleichwohl „höchst sensiblen“ Wertungen, werde in der Datei zugleich eine Prognose in die Zukunft vorgenommen und mit jeder neuen Ampelfarbe wieder eine Wertung getroffen. Die Daten hätten folglich einen „hohen Schutzbedarf“. Statt der Polizei, so empfahl er dringend, sollte die Sozialbehörde das Verfahren koordinieren.

Die taz nahm die jüngsten Medienberichte über ein Kind zum Anlass, beim Datenschutzbeauftragten nachzuhaken, ob die damalige Kritik noch aktuell sei. Die Antwort ist ja. Trotz intensiver Erörterung mit Polizei und Innenbehörde seien die im 24. Tätigkeitsbericht aufgeführten Mängel „nicht beseitigt“, sagt Sprecher Martin Schemm. Man habe die Sache zuletzt 2016 überpüft und sich nicht angenähert, vor allem bei der Einschätzung des „Schutzbedarfs“. Läge die Koordinierung bei der Sozialbehörde, wäre dies „datenschutzrechtlich unkritischer“.

Die Sozialbehörde selbst sagt, sie habe kein Problem damit, dass die Polizei die Sache koordiniere. Die Innenbehörde sagt, der Schutzbedarf der Ampel­daten sei ihrer Einschätzung nach als „normal“ zu bewerten. Sie sehe im Gegensatz zum Datenschützer also keinen „hohen Schutzbedarf“.

In der Ampeldatei wird erfasst, wer zu den strafrechtlich auffälligsten Gewalttätern unter 21 Jahren gehört

Wie aus zwei Briefen von Eltern der Ida-Ehre-Schule hervorgeht, die der taz anonymisiert vorliegen, sehen diese auch ihre Kinder zu wenig geschützt und stigmatisiert. Zum Beispiel weil unterstellt wurde, dass das Filmen mit Handy die Situation eskalierte. Dabei könnte eine bildliche Dokumentation sehr wichtig sein.

„Spontane und reflexhafte Vorverurteilung“

Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte in einem Pressestatement „Konsequenz und Härte“ angekündigt und das Verhalten der Jugendlichen verurteilt. Die Schulpolitikerin Sabine ­Boeddinghaus (Die Linke) nennt das nun eine „spontane und reflexhafte Vorverurteilung“, mit der Rabe nach dem „Top-Down-Prinzip“ Druck ausübe. „Natürlich ist Gewalt nicht das Mittel der Wahl und muss geahndet werden“, sagt sie. Sie hinterfrage aber diese Suspendierungen. Obwohl bekannt sei, dass nur ein Teil der Schüler von der Ida-Ehre-Schule kam, konzentrierten sich „alle Maßnahmen auf diese Stadtteilschule mit ausgeprägtem politischem Profil“.

Boeddinghaus will nun das gesamte Konzept „Handeln gegen Jugendgewalt“, zu dem auch Cop4U und Obachtslisten gehören, überprüft und mindestens überarbeitet wissen, damit „das Primat der Pädagogik gehört“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Also das Video ist schon krass, der Polizist ringt mit einem 'Kind' und zeigt sich total hilflos und wahrscheinlich steht zwischen Verdacht oder Sachstand und möglicher Tat auch noch eine richtig große Lücke. Allerdings wundert es mich nicht, dass die Schüler aus der Menge den Polizisten angreifen, bespucken, beschimpfen und beleidigen. Das sehen viele junge Menschen in Musik-Videos, wo einer m.M. anti-sozialen, pro-kriminellen Haltung stetig das Wort geredet wird. Allerdings hat der Polizist die Gelegenheit auch geschaffen.

    Datenschutz/Innere Sicherheit: Hamburg leidet m.M. immer noch unter den Schill/Von Beust-Jahren, denn aus dieser Zeit hat die Stadt das Bild eines gewalttätigen, jungen Menschen, meist männlich, oft migrantisch, immer noch griffbereit, wird zum Beispiel eine sonderbare Art der Prävention in Schulen gemacht und Gewalt wird nur als jugendlich, männlich, tendenziell delinquent betrachtet.

    Dass viele Schüler in den sinnlosen Stadtteilschulen überfordert werden, ihnen eine kahle, lieblose Umgebung geboten wird und stetig durch Leistungsnachweise ihnen ihre Defizite aufgezeigt werden, das alles wird nicht als Gewalt betrachtet. In jedem normalen Betrieb wäre diese Abfolge gut für einen Mobbingprozess im Arbeitsgericht, in Hamburger Schulen geht man regelmäßig Schüler so an und zwingt die in Haltungen, die sich dann in solchen Szenen hier entladen. Wobei die unsägliche Musik hier m.M. auch eine Rolle spielt, denn wenn die Polizei grundsätzlich als 'Feind' abgebildet wird, dann tritt man schon mal aus der Anonymität zu oder traut sich Beleidigungen zu.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schüler dieses Verhalten von ihren Eltern oder aus ihrem familiären Kreis gelernt haben. Wenn die Schule nun Prävention machen will, wird sie schnell bei Konzepten aus der Schill/Beust-Zeit landen, weil die SPD und Grüne nichts hinzugefügt haben. Auch das FIT ist so eine Schill/Beust-Besonderheit, gibt es nur in Hamburg.

  • Stets wird von verschiedenen Seiten (auch von Behörden) betont, dass eine Vorverurleilung von Beschuldigten (i. V. m. Straftaten) in einem Rechtsstaat nicht stattfinden darf. Im vorliegenden Fall geschieht aber genau das - und zwar öffentlich. Hier wird dem beschuldigten Schüler sein Recht auf "informelle Selbstbestimmung" (Datenschutz) einfach aberkannt.



    Gerade in den letzten Jahren ist zu beobachten, dass der Datenschutz von Jugendlichen in unserer Gesellschaft keinen Stellenwert hat. So sollen sich Jugendliche im Zusammenhang mit dem Jugendschutzgesetz gegenüber jedem mit Personalausweis ausweisen der dies kontrollieren möchte.

  • Da lohnt es für den bzw die Betroffenen sicher, den Anwalt von Herrn Jauch (ja, ich meine Günter Jauch) zu beauftragen.



    Der weiß nämlich sehr genau wo er hintreten muss damit es sogar der BILD wehtut.