Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz über das Regieren: „Ich war gut vorbereitet“
Olaf Scholz setzt auf "realistische Visionen". Mit der taz spricht er über Binsenweisheiten und Entscheidungen, die an die Nieren gehen.
taz: Herr Scholz, nach Ihrer Wahl zum Ersten Bürgermeister saßen Sie am 7. März 2011 ganz allein auf der Senatsbank im Hamburger Rathaus und schauten sehr ernst und nachdenklich vor sich hin. Wissen Sie noch, was Sie damals dachten und fühlten?
Olaf Scholz: Nicht mehr genau, aber die Erkenntnis, plötzlich Bürgermeister der Stadt zu sein, in der ich aufgewachsen bin, die ich liebe und die ich zu verstehen glaube, das ist nicht ohne.
Eine Art Ehrfurcht vor der neuen Aufgabe?
Eher Respekt. Ich finde, es ist eine große und fordernde Aufgabe, aber es ist keine, vor der ich mich gefürchtet habe.
100 Tage später sagten Sie, nichts an Ihrer neuen Aufgabe habe Sie überrascht.
Ich denke, ich war gut vorbereitet durch meine Erfahrungen in der SPD-Bundestagsfraktion und als Arbeitsminister im Bundeskabinett. Danach gibt es nicht mehr so viel, das einen vollkommen überraschen kann.
Ist das noch immer so?
Ja, die Dinge, die sich ereignet haben, waren im Rahmen des Erwartbaren.
56, Rechtsanwalt, seit 7. März 2011 Erster Bürgermeister in Hamburg, seit 2009 SPD-Landesvorsitzender. Von 1998 bis 2011 war er Mitglied des Deutschen Bundestages, zeitweilig SPD-Generalsekretär und Bundesarbeitsminister.
Sie haben also alles schon vorher gewusst?
Nein. Aber es gab nichts, was ich für unmöglich gehalten hätte. Natürlich ist manches anders gekommen, als ich es mir gewünscht habe. Dass die Elbvertiefung noch immer nicht positiv entschieden wurde, zum Beispiel.
Henning Voscherau, SPD-Bürgermeister von 1988 bis 1997, sagte mal, jeder Bürgermeister stünde auf den Schultern seiner Vorgänger. Was haben Sie als Hinterlassenschaft der CDU vorgefunden – einen Trümmerhaufen?
Ein kluger Satz von Henning Voscherau, den unterschreibe ich. Das mit dem Trümmerhaufen nicht. Aber Pläne und Konzepte für die Zukunft Hamburgs, auf denen ich hätte aufbauen können, lagen hier auch nicht in den Schubladen.
Haben Sie deshalb beschlossen, „ordentlich zu regieren“?
Das hatte ich schon vorher beschlossen und im Wahlkampf auch immer wieder betont.
Warum reicht so eine Binsenweisheit, Wahlen zu gewinnen?
Weil die Binse damals war, dass viele Menschen eben das vermisst hatten. Es gab den verbreiteten Wunsch nach ordentlichem Regieren. Und ich hoffe, dass wir das einigermaßen hinbekommen haben.
Und deshalb versprechen Sie seit vier Jahren mantramäßig, Sie würden halten, was Sie versprechen, und nicht tun, was Sie nicht versprochen haben?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Ankündigungen im Wahlkampf und spätere Regierungsrealität deckungsgleich sein müssen. Es ist wichtig, sehr konkrete Visionen zu haben, von denen man zugleich selbst glaubt und auch andere glauben können, dass man sie auch umsetzen kann.
Es geht also um Glaubwürdigkeit?
Ja. Wenn die Bürger immer nachrechnen müssen, wie viel Prozent von dem, was Politiker versprechen, am Ende wirklich gilt, dann ist das ein Problem für die Demokratie. Vertrauen darf nicht enttäuscht werden. Deshalb halte ich es für ganz zentral, dass man nur das verspricht, was man nach bestem Wissen und Gewissen auch halten kann. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.
Auch eine Voraussetzung für den Kampf gegen Politik- und Politikerverdrossenheit und Wahlmüdigkeit?
Das ist ein ganz entscheidender Punkt für die Rückeroberung von Vertrauen in die demokratische Politik. Natürlich heißt das auch, dass man sich auf das beschränkt, was man auch bewirken kann.
Wollen Sie diese Prämisse auch in der nächsten Legislaturperiode durchhalten?
Ja, unbedingt.
Deshalb steht in Ihrem Regierungsprogramm für die nächste Wahl nur das, was Sie „realistische Visionen“ nennen?
Ja, wobei es schon um leidenschaftlichen Realismus geht. Nur muss alles gut durchdacht, plausibel und glaubhaft sein. Das ist die Basis.
Als Jungsozialist, falls Sie sich noch erinnern, gehörten Sie zum linken „Stamokap“-Flügel. Können Sie noch erklären, was das war?
Mit der Theorie vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ war die Vorstellung verbunden, dass sehr große Unternehmen so mächtig sind, dass sie gesellschaftliche Verhältnisse zu ihrem Vorteil gestalten können. Diese Form der Kapitalismusanalyse bewegte sich zumindest für mich aber immer im Rahmen eines sozialdemokratischen Diskurses. Mächtige Unternehmen gibt es, Einfluss nehmen sie auch, aber die Kraft demokratischer Politik und die Funktionsfähigkeit marktwirtschaftlicher Ordnung darf man nicht unterschätzen.
Da haben Sie sich aber ganz schön gewandelt.
Sicher komme ich heute in vielen Punkten zu anderen Schlussfolgerungen. Im Grunde aber geht es weiterhin darum, einen sozialstaatlichen Rahmen wirksam durchzusetzen. In einer gefestigten Demokratie ist dieser möglich.
Betreiben Sie nicht – durch den Einstieg Hamburgs in die Reederei Hapag-Lloyd – selbst gerade eine Form von Staatskapitalismus?
Unser Ziel war nie, dort unternehmerisch aktiv zu sein, sondern das Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Nach der aktuellen Fusion von Hapag-Lloyd mit der chilenischen Reederei CSAV wird das Unternehmen auf dem Weltmarkt bestehen können. Der nächste Schritt wäre der Börsengang, der dann auch die Refinanzierung unserer Investitionen ermöglicht. Deshalb hat das nichts mit Staatskapitalismus zu tun, aber sehr viel mit Standortpolitik.
Das Engagement bei Hapag-Lloyd kostete mehr als eine Milliarde Euro. Sie haben versprochen, dass Hamburg sein Geld zurückbekommt. Halten Sie auch da Wort?
Ja, aber es wird noch etwas dauern.
Nach vier Jahren im Amt: Welche war Ihre schwerste Entscheidung?
Die Neuordnung der Elbphilharmonie. Es waren ganz harte Verhandlungen, es stand bis zuletzt auf Messers Schneide.
Als Sie kurz vor Weihnachten 2012 die Übereinkunft mit Hochtief über die Fertigstellung des Konzerthauses verkündeten, räumten Sie ein, sich „tage- und nächtelang das Hirn zermartert“ zu haben. Geht einem das auch persönlich an die Nieren?
Ja, schon. Letztendlich war das eine Wahrscheinlichkeitsentscheidung ohne hundertprozentige Sicherheiten. Als Architekten mir sagten, die Elbphilharmonie bedeute die Grenze der Baubarkeit, hatte ich eine Woche schlechte Laune. Trotzdem musste eine Entscheidung getroffen werden. Heute bin ich sicherer, als ich es damals sein konnte, dass es die richtige Entscheidung war.
Welches war Ihre schwerste Niederlage – der verlorene Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze?
Ich betrachte den nicht als Niederlage, auch wenn ich mir einen anderen Ausgang gewünscht hatte. Aber wer für Volksentscheide ist, und das bin ich ohne Wenn und Aber, muss auch ein Ergebnis akzeptieren, das man nicht will. Das ist eine demokratische Tugend. Deshalb setzen wir den Volksentscheid ohne Murren zu 100 Prozent um.
Ihr größter Erfolg?
Da gibt es mehrere wichtige Punkte. Der Bau von 6.000 Wohnungen pro Jahr, die Jugendberufsagentur, die Abschaffung der Studien- und Kitagebühren, den Ausbau der Kitas.
Haben die vier Jahre als Bürgermeister Sie persönlich verändert?
Es fällt mir schwer, das zu beurteilen. Aber ich mache die Arbeit gerne und habe den Eindruck, dass viele BürgerInnen das nicht so schlecht finden, was ich mache.
Ich persönlich habe den Eindruck, dass Sie heute deutlich lockerer und gelassener sind als vor vier Jahren.
Wenn Sie das sagen … Da will ich nicht widersprechen.
Als Sie Bürgermeister wurden, musste Ihre Frau, die langjährige Bürgerschaftsabgeordnete Britta Ernst, „zu Gunsten der Karriere des Mannes zurückstecken“, wie sie in einer persönlichen Erklärung im März 2011 schrieb. Und das, obwohl sie es „politisch für vertretbar“ halte, „wenn Ehepartner oder Lebensgefährten einer gemeinsamen Regierung angehören, sogar wenn ein Teil des Paares diese Regierung führt“.
Meine Frau hat ihre Sichtweise in dieser ausführlichen Erklärung sehr genau begründet. Ich teile ihre Auffassung.
Warum hat sie dann zurückgesteckt?
Meine Frau hat eine lange abgewogene und sehr gut durchdachte Entscheidung gefällt. Die hatte auch mit der Frage zu tun, ob es gesellschaftlich und politisch akzeptiert würde, als Ehepaar gemeinsam im Senat zu sitzen. Das ist eigentlich mehr eine Frage an die Gesellschaft als an uns beide. Dass wir professionell damit umgegangen wären, stand für uns außer Frage. Ob es allgemein akzeptiert worden wäre, nicht.
Also eine Frage der politischen Hygiene?
Wir beide haben das lange und ausführlich schon vor der Wahl besprochen, auch mit Blick auf mögliche Konsequenzen. Die Entscheidung meiner Frau trage ich mit großem Respekt mit.
Inzwischen ist sie in Schleswig-Holstein, was sie in Hamburg nicht werden durfte: Bildungsministerin.
Von dürfen war keine Rede.
Henning Voscherau war mit gut neun Jahren Amtszeit Hamburgs am längsten regierender Erster Bürgermeister. Am Ende der nächsten Legislatur, 2020, wären Sie auch neun Jahre im Amt. Wollen Sie ein drittes Mal antreten?
Das ist noch lange hin. Ich kann mir aber auch vorstellen, 2024 als Bürgermeister die Olympischen Spiele in Hamburg zu eröffnen.
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